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Interview

TPsycho-Docs bereiten Chris Tall auf den Auftritt seines Lebens vor

Chris Tall auf der Bühne.

Chris Tall auf der Bühne. Foto: Robert Mascke

Chris Tall ist ein Shooting-Star unter den Comedians. Was der Hamburger tut, um den Moment genießen zu können, was der HSV ihm bedeutet und was Wacken ihn gelehrt hat.

Von Dagmar Leischow Sonntag, 23.02.2025, 10:00 Uhr

Hamburg. TAGEBLATT: Sie treten am 7. Juni im Volksparkstadion auf. Was reizt Sie gerade an diesem Ort?

Chris Tall: Das ist ein purer Ego-Push (lacht). Als ich zehn Jahre alt war, bin ich zum ersten Mal zu einem HSV-Spiel ins Volksparkstadion gegangen. Damals war ich kein Fan, doch das hat sich innerhalb von 90 Minuten dank der Stimmung geändert. Ich habe beschlossen: Jetzt supporte ich den Verein meiner Stadt. Als Kind war es natürlich mein Traum, irgendwann als Fußballer im Volksparkstadion zu spielen. Weil das wohl nichts mehr wird, mache ich dort eben eine Comedy-Show.

Sie haben doch bei Raphael van der Vaarts Abschiedsspiel auf dem Rasen gestanden.

Ich habe fünf Minuten gespielt, aber geatmet, als hätte ich 90 Minuten durchgepowert. Weil ich mir mehr Spielzeit erhofft hatte, gehe ich nun halt mit meiner Show „Laugh Stories“ in die Verlängerung.

Stichwort Fußball: Waren Sie als Junge in einem Verein?

Ich bin in Lohbrügge aufgewachsen, deshalb habe ich im Hamburger Osten so ziemlich jede Mannschaft durch – vom VfL Lohbrügge über Bergedorf 85 bis zum SC Europa in Mümmelmannsberg.

Geboren wurden Sie aber in Reinbek, also im Kreis Stormarn.

Genau. Für mich ist es immer ein bisschen schwierig: Ich blute blau, ich bin Hamburger durch und durch. Trotzdem behaupten böse Menschen, ich sei streng genommen Schleswig-Holsteiner. Dann kontere ich: „Nee. Reinbek hat die Vorwahl 040, das ist Hamburg.“

Bleiben wir noch etwas in Ihrer Vergangenheit. Waren Sie schon in der Schule ein witziger Typ?

Wenn es um Spaß ging, war ich immer weit vorne dabei. Auf jeden Fall habe ich mich sehr gut gefühlt, wenn die Leute über das, was ich gesagt habe, gelacht haben. Natürlich gab es auch Phasen, wo ich einfach nur genervt habe. Manchmal konnte ich meinen eigenen Namen selbst nicht mehr hören, weil ich so oft ermahnt wurde.

Schüchternheit kannten Sie als Kind also nicht?

Nee. Mittlerweile bin ich allerdings viel ruhiger als damals. Vielleicht sucht man automatisch ein Gegengewicht, wenn man im Beruf dauernd Halligalli hat. Falls ich tatsächlich mal auf eine Party gehe, was selten vorkommt, trete ich eher einen Schritt zurück. Aber als Junge war ich laut, ich wollte unbedingt gesehen werden.

Warum haben Sie sich dennoch für eine Ausbildung als Versicherungskaufmann entschieden?

In der Realschule war ich in einer Theater-AG. Weil mir das total lag, wollte ich Schauspieler werden. Meine Mutter war jedoch dafür, dass ich erst mal was Normales mache. Also habe ich das Fachabi, das in Richtung Finanzen ging, drangehängt. Dann habe ich eine Bewerbung an die Allianz geschickt, aus Versehen haben die mich genommen. Die zweieinhalb Jahre Ausbildung haben mich sehr weitergebracht, sie haben mich nämlich erwachsener werden lassen.

Wann ist Ihnen klar geworden, dass Sie doch als Komiker Ihren Lebensunterhalt verdienen können?

Normalerweise ist das ein schleichender Prozess, bei dem man irgendwann alles auf eine Karte setzen muss. Bei mir war es zum Glück anders. Nachdem ich 2013 den RTL Comedy Grand Prix gewonnen hatte, bekam ich mit Luke Mockridge und Tahnee Schaffarczyk im KiKA die Sendung „Occupy School“. Diese Folgen ermöglichten es mir finanziell, mindestens neun Monate meinen damaligen Lebensstandard halten zu können. Darum konnte ich auf Tour gehen und gucken, wie das so funktioniert.

Sie treten als Chris Tall auf. Wie unterscheidet sich Ihr Bühnen-Alter-Ego von Christopher Nast?

Die Geschichten, die ich erzähle, sind komplett Christopher Nast. Die Art und Weise, wie ich sie erzähle, das ist eher Chris Tall. Noch mal anders: Wenn man in der Öffentlichkeit steht und sich selbst so sehr preisgibt, ist man komplett dem Feedback der Menschen ausgeliefert. Unabhängig davon, wie positiv oder negativ die Kritik ausfällt, ist es gut, sie allein auf die Arbeit zu münzen. Wenn jemand sagt: „Die Show war scheiße“, dann heißt das nicht, dass ich als Mensch scheiße bin. Denn die Leute haben keine Ahnung, wie die Person Christopher Nast wirklich ist.

Fragen Sie sich trotzdem vor Ihrem Auftritt im Volksparkstadion manchmal: „Chris Du das hin?“

Klar. In meinem Familien- und Freundeskreis höre ich ständig: „Das wird so geil!“ Ich selbst bin ganz weit entfernt von diesem Partymodus. Denn ich bin total darauf fokussiert, was es überhaupt bedeutet, vor so vielen Menschen zu stehen. Weil ich nicht Taylor Swift bin, sind 30.000 Leute für mich überwältigend. Deshalb bereite ich mich mit Coaches und Psycho-Docs auf diesen Moment vor, damit ich ihn während der Show wenigstens ansatzweise genießen kann.

In Wacken mussten Sie mal 500 Gramm Haare von Metal-Fans sammeln. Wie war das?

Diese Musik ist gar nicht meins, sie wirkt auf mich sehr rau. Naiverweise habe ich diese harten Klänge auf den Charakter der Menschen gemünzt. Ich dachte: Wie reagieren sie auf jemanden, der ganz offensichtlich nicht nach Wacken passt und ihnen auch noch die Haare abschneiden will? Hinzu kam, dass wir nicht auf dem Festivalgelände drehen durften. Das war im Nachhinein viel geiler.

Inwiefern?

Die Wackener saßen vor ihren Häusern und haben mit den Festivalbesuchern gefeiert. Auch für mich war das wie eine Party, ein Festival vor dem Festival. Die Leute haben Fotos mit mir gemacht, jeder hat mir einen Drink angeboten. Wenn ich alles getrunken hätte, hätte ich nach einer Stunde nicht mehr drehen können. Diese Lebensfreude war jedenfalls überwältigend, ich hatte nicht mit so viel Spaß und so einer krassen Toleranz gerechnet.

Sind Sie ein Mensch, der generell Herausforderungen liebt?

Ja. Ich glaube, dass man nur daran wachsen kann. Anfangs habe ich mir das Ziel gesetzt: Ich möchte jetzt 100 Leute im Publikum haben, dann habe ich 200 anvisiert. Auch auf dem Golfplatz versuche ich, immer wieder aus meiner Komfortzone zu kommen. Für mich wäre es nichts, morgens aufzustehen, mir einen Kaffee zu machen und dann den ganzen Tag Fernsehen zu gucken. Ich möchte etwas erleben und immer wieder Veränderung spüren.

Schätzen Sie am Golfen vor allem die Ruhe?

Wenn ich auf dem Rasen bin, ist es dort gar nicht so ruhig. Ich bin der Fußballer unter den Golfern, der Assi unter den Snobs. Wobei dieser Sport überhaupt nicht mehr so elitär ist. Man sieht nicht nur den klassisch karierten Pullunder. Es gibt sehr viele coole Leute, die Golf spielen.

Auf dem Golfplatz gelten Regeln, in unserer Gesellschaft wird auf Political Correctness geachtet. Was halten Sie von der daraus resultierenden Cancel Culture?

Was mir nicht gefällt, ist, dass mittlerweile fast alles, was man sagt oder tut, sofort Konsequenzen hat. Weil jeder Mensch direkt eine Meinung dazu hat. Das ist in der Comedy total schwierig. Ich finde, erst mal kannst du jeden Witz machen, aber du musst nicht jeden Witz mögen. Trotzdem muss man nicht gleich jemanden wegen eines Witzes verklagen. Ich gebe zu: Inzwischen gibt es auch für mich absolut Themen, wo ich Grenzen habe.

Zum Beispiel?

Darüber müssten wir eigentlich stundenlang sprechen, alles andere würde dieser Frage nicht gerecht werden. Ich formuliere es mal so: Ich habe schon Gags gemacht, die ich heute nicht mehr machen würde – weil sich meine persönliche Haltung geändert hat. Ich bin halt nicht mehr 23, sondern 33. Und wenn ich 43 bin, werde ich manche Dinge sicher noch mal aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Das ist ein Prozess, der völlig okay ist.

Zur Person: RTL und HSV

Christopher Nast alias Chris Tall wurde am 4. Mai 1991 in Reinbek geboren, aufgewachsen ist er in Hamburg. Nach dem Fachabitur machte er eine Ausbildung zum Versicherungskaufmann. Seine Karriere nahm Fahrt auf, nachdem er 2013 den RTL Comedy Grand Prix gewonnen hatte. Von 2018 bis 2021 hatte er bei RTL seine eigene Late-Night-Show „Darf er das? – Die Chris Tall Show“. Derzeit hat er bei ProSieben die TV-Show „Chris Du das hin?“ Am 15. März tritt er mit „Laugh Stories“ in der Wunderino Arena in Kiel auf, am 7. Juni gastiert er im Volksparkstadion in Hamburg. Der HSV-Fan wünscht sich, dass sein Verein und der FC St. Pauli bald wieder in einer Liga spielen, weil dieses Lokalderby für ihn das Größte ist. Ebenso verbunden wie dem HSV ist er Hamburg. Nachdem er zwei Jahre in Köln gewohnt hat, ist ihm die Schönheit dieser Stadt bewusst geworden. Ob Alster, Stadtpark oder Hafen: Er liebt alles.

Persönlich: Vorbild Bastian Pastewka

Humor definiere ich... als mein Lebenselixier.

Zum Lachen bringt mich... mein Bruder.

Mein größtes Vorbild... ist Bastian Pastewka.

Als Comedian habe ich am meisten gelernt... von den Erfahrungen vieler Shows.

2014 den Hamburger Comedy Pokal zu gewinnen... war für mich sehr besonders.

Joko und Klaas finde ich... super.

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