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Fußball

TD/A-Präsident und Reizfigur: Gooßen ist knallhart, subtil und fußballverrückt

Rigo Gooßen ist seit 42 Jahren Präsident der SV Drochtersen/Assel.

Rigo Gooßen ist seit 42 Jahren Präsident der SV Drochtersen/Assel. Foto: Struwe

Der Präsident des Fußball-Regionalligisten SV Drochtersen/Assel, Rigo Gooßen, polarisiert seit Jahren. Er kann knallhart sein und subtil. Vor allem aber ist Gooßen Fußball-Fan. Das Porträt entsteht bei einem Heimspieltag.

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Von Daniel Berlin
Samstag, 04.05.2024, 08:00 Uhr

Drochtersen. In einer Stunde beginnt das Spiel gegen BW Lohne. D/A-Präsident Rigo Gooßen (63) sitzt mit ein paar Sponsoren aus Leer an einem Tisch vor dem alten Vereinsheim im Kehdinger Stadion.

Gooßen kredenzt eine Bratwurst. Es ist ein Abendspiel. Da passt das Stück Schwarzwälder Kirschtorte nicht wirklich. An Nachmittagen mag Gooßen das süße Ritual. Aber an diesem Abend mag er es lieber herzhaft.

Und es ist ja auch nicht irgendeine Bratwurst. Es ist die aus der ortsansässigen Fleischerei. Die Grindel-Bratwurst, die einst im DFB-Pokal berühmt geworden ist, weil der damalige DFB-Präsident Reinhard Grindel im TV so sehr von ihr geschwärmt hatte.

Rigo Gooßen führt D/A seit 42 Jahren

Gooßen nutzt die Zeit vor dem Spiel für Gespräche. Es passiert derzeit viel im Kehdinger Stadion. Am anderen Ende des Geländes entsteht das neue Vereinsheim, die angrenzende Tennishalle will der Club zur Fußballhalle machen. Der Zaun am Stadiongelände leuchtet jetzt in den Vereinsfarben blau und rot. Über diese Projekte plaudert der Präsident dieser Tage mit seinen Vereinskollegen.

Während eines Spiels geht Rigo Gooßen auch gerne mal zur Trainerbank.

Während eines Spiels geht Rigo Gooßen auch gerne mal zur Trainerbank. Foto: Struwe

Seit 42 Jahren agiert Rigo Gooßen an der Spitze der Spielvereinigung Drochtersen/Assel, die 1977 aus den VTV Assel und dem TVG Drochtersen entstand. Seit 38 Jahren sitzt Gooßen bei Spielen auf der Bank oder der Tribüne

Er leidet mit, er feiert mit. Er ist manchmal laut, manchmal aufgebracht. Er kann schimpfen, er feuert an. Er kritisiert mit Nachdruck oder nimmt in sich gekehrt zur Kenntnis. Seine Ausbrüche auf der Bank oder der Tribüne sind legendär.

Seine Ausflüge auf die Tartanbahn an den Spielfeldrand gefallen nicht jedem im Stadion. Einige verdrehen die Augen, wenn sich Gooßen zu heftig artikuliert. Aber schließlich bezahlt Gooßen die Musik.

Er geht auch gerne mal während des Spiels zum Trainer, wenn ihm etwas gar nicht passt. Oder er weckt die Spieler während der Halbzeitpause in der Kabine. Einer, der in Drochtersen Trainer ist, muss das wissen. „Mein Wort zählt etwas in der Mannschaft“, sagt Gooßen. Er habe ein Gespür dafür, wenn etwas im Team nicht funktioniere. Gooßen glaubt, dass es für einen Trainer gut ist zu wissen, was Gooßen denkt.

Das steckt drin: Das Geheimnis der kleinen Tasche

Es bringt ihn in Rage, wenn sein Team nicht 100-prozentige Leidenschaft zeigt. Es nervt Gooßen, wenn ein Schiedsrichter bei Fouls zweierlei Maß anlegt. „Ich kann Holzerei nicht ertragen“, sagt Gooßen. Er sagt, er kennt einige Vereine aus der Regionalliga, bei denen „übertriebene Körperlichkeit zum System gehört“.

Zehn Minuten vor dem Spiel schlendert Rigo Gooßen zu seinem Tribünenplatz in der ersten Reihe.

Zehn Minuten vor dem Spiel schlendert Rigo Gooßen zu seinem Tribünenplatz in der ersten Reihe. Foto: Struwe

Zehn Minuten vor dem Anpfiff gegen BW Lohne nimmt der Präsident seine in die Jahre gekommene kleine Tasche und geht gemächlich Richtung Tribüne. Eine Mütze steckt in der Tasche, ein Trinkbecher mit dem Logo des Regionalliga-Konkurrenten Eintracht Norderstedt, ein noch eingeschweißtes Skatspiel für die Auswärtsfahrten im Bus, ein Notizblock.

Seit 22 Jahren trägt Gooßen in jeder Saison solch ein Buch mit sich herum. Er notiert sich Torschützen und besonders schöne Torchancen. Das stammt noch aus der Zeit, in denen er den Sportreportern nach den Spielen Futter für ihre Texte gab.

Gooßen schlendert fast. Er scannt die Zuschauerreihen, winkt dem einen oder anderen zu. Er klatscht mit den Spielern auf der Reservebank ab und setzt sich schließlich auf der Haupttribüne auf seinen Plastiksitz in der ersten Reihe. Dort sitzt er immer bei Heimspielen.

Schwach gegen Lohne: „Man, das nervt heute“

D/A spielt nicht gut an diesem Abend. „Gott, oh Gott, oh Gott“, ruft Gooßen in der 29. Minute vernehmlich rein, nachdem sich D/A-Spieler Miguel Fernandes einen Ballverlust leistet. Zu diesem Zeitpunkt hat Gooßen schon ein Kopfballtor von Matti Steinmann und den Ausgleich des Gastes in seinem Notizbuch notiert.

Gooßen fordert an diesem Abend Gelbe Karten und, dass der Schiedsrichter das Zeitspiel der Lohner ahndet. Aber vor allem fordert er lautstark „vorne mehr, vorne mehr“ von seinem eigenen Team. „Geht doch mal zum Ball! Man, das nervt heute.“

Tradition im Kehdinger Stadion: Gooßen, hier neben D/A-Trainer Oliver Ioannou, hat nach Heimspielen das letzte Wort.

Tradition im Kehdinger Stadion: Gooßen, hier neben D/A-Trainer Oliver Ioannou, hat nach Heimspielen das letzte Wort. Foto: Struwe

Mit versteinerter Miene nimmt Gooßen das 1:3 zur Kenntnis. Nach dem 2:3 entpuppt er sich als Motivator. „Weiter, weiter!“ Aber an diesem Tag agiert Gooßen doch seltsam milde.

Vielleicht liegt es an den 15 Spielen ohne Niederlage. Jede Serie reißt einmal. „Wir werden uns davon nullkommanull aus der Bahn werfen lassen“, sagt Gooßen nach der unglücklichen Niederlage. „Man muss das manchmal auch akzeptieren.“ In den vergangenen Wochen hatte er sich nach vielen Siegen dafür gefreut wie ein kleiner Junge.

Nicht nachtragend, aber: Rigo Gooßen vergisst nicht

Aber was beschreibt diesen Mann? Mitunter sind es seine Taten, seine Gebaren. Fußballverrückt reicht da nicht.

Gooßen hatte mal einem Fotografen für das DFB-Pokalspiel gegen Bayern München die Akkreditierung verwehrt, weil der D/A Wochen vorher einen Abmahnanwalt auf den Hals hetzte. D/A hatte online ein Foto benutzt, das es so nicht hätte benutzen dürfen. „Ich bin nicht nachtragend. Ich vergesse nur nicht“, sagt Gooßen.

Dabei ist es Gooßen, der auch mal schweres Geschütz auffährt, wenn es gegen den, seinen, Verein geht. Als Rassismusvorwürfe gegen D/A nach einem Spiel der dritten Mannschaft im Raum standen, schaltete Gooßen seinen Rechtsbeistand ein gegen das Team aus Cuxhaven, das die Vorwürfe formulierte. Dem TAGEBLATT, das den Fall journalistisch begleitet hatte, drohte der Präsident mit Liebesentzug. „Es ist indiskutabel, wenn man uns angreift. Wir mussten kämpfen für das, was wir jetzt haben“, sagt Gooßen. „Wir wehren uns, wenn wir ungerecht behandelt werden.“ Da passt das Bild von der Löwin, die ihre Jungen verteidigt.

Van Lessen neben der Toilette im Gästeblock

Gooßen kann knallhart und subtil. Der D/A-Präsident hatte ganz kurz überlegt, ob er dem Drochterser Lokalpolitiker Cornelius van Lessen nach dessen Dauerfeuer auf den Verein einen ganz besonderen Platz im Kehdinger Stadion zuweist. Hinten im Gästeblock, gleich neben dem Toilettencontainer. Gooßen hat es gelassen und setzt heute auf ignorierende Gleichgültigkeit.

Van Lessen stellt seit Jahren nahezu alles, was D/A macht, infrage. D/A hat sich in den sozialen Netzwerken einen Post überlegt, als Antwort auf van Lessens Beiträge. „D/A ist nicht Anwalts Liebling.“

Zuletzt war ihm die Finanzspritze durch die Gemeinde für das Vereinsheim ein Dorn im Auge, obwohl durch eine politische Mehrheit autorisiert. Im letzten Sommer gipfelte der Zwist in einem nicht haltbaren Stadionverbot. Freunde werden Gooßen und van Lessen in diesem Leben nicht mehr.

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Aber von solchen Scharmützeln mal abgesehen: Im Verein feiern ihn die meisten. Zu seinem 40-jährigen Jubiläum als Präsident haben ihm seine Mitstreiter eine große Party auf Krautsand beschert. Unter Gooßen ist D/A in der Region ein erfolgreicher Verein geworden. „Manchmal haben uns die Fußballgötter gezürnt. Heute behandeln sie uns ordentlich“, sagt Gooßen. Ende der 1990er-Jahre verschwand D/A in der Bezirksliga. Die 2000er-Jahre laufen bislang erfolgreich. D/A spielt seine neunte Saison in der Regionalliga.

Bei der Blau-Roten Nacht feiert der ganze Verein

„Wir haben uns ein Standing erarbeitet“, sagt Gooßen. Der Präsident, der als Steuerberater sein Geld verdient, öffnete in den vergangenen Jahren auch gern mal seine Privatschatulle. Wie viel er investiert hat, mag er nicht erzählen. „Es war nicht wenig“, sagt er. Er habe es gern getan. Das und die Tatsache, dass er Spielern auch gern mal väterlich unter die Arme greift, sind auch Wesenszüge dieses Mannes.

Die Regionalliga sei anfänglich ein Abenteuer gewesen. Dann habe sich D/A etabliert und sei jetzt eine feste Größe. Spätestens bei der traditionellen Blau-Roten Nacht, die der Verein alljährlich im Winter für seine Mitglieder veranstaltet, ist eines deutlich zu sehen. Gooßen sind die Kicker aus der Kreisklasse genauso wichtig wie die Fußballer in Liga vier.

Rigo Gooßen hat noch nicht fertig. Wenn ein Aufstieg in die 3. Liga einmal zur Debatte stehen würde, wäre D/A bereit. „Wenn das akut wird, dann planen wir“, sagt Gooßen. Wie lange Gooßen noch den Präsidenten gibt, darüber habe er nicht nachgedacht. Warum auch? „Wenn es mir gesundheitlich gut geht, gibt es keinen Grund“, sagt er.

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