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Schifffahrt

TDas Leben der Seeleute: Mit der Seemannsmission an Bord im Stader Hafen

Gleich geht’s auf die Gangway: Sören Schult vom Rotary Club Altes Land und Sabine von der Decken vom Inner Wheel Club Niederelbe bringen Geschenke an Bord.

Gleich geht’s auf die Gangway: Sören Schult vom Rotary Club Altes Land und Sabine von der Decken vom Inner Wheel Club Niederelbe bringen Geschenke an Bord. Foto: Richter

Die Seemannsmission in Bützfleth hat im Advent viel zu tun: Diakonin Kerstin Schefe geht oft auf die Schiffe, jetzt hat sie Geschenke und Besuch dabei. Das kommt gut an und macht gesprächig.

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Von Anping Richter
Freitag, 05.12.2025, 19:00 Uhr

Stade. „Die kommen bis Weihnachten in meinen Schrank“, sagt Kapitän Antonio Petinga und zeigt auf die 20 Geschenktüten. Diakonin Kerstin Schefe hat sie gerade an ihn übergeben. Er wird jede mit dem Namen eines Crewmitglieds beschriften und Heiligabend unter den geschmückten Baum legen.

Weihnachten feiert die Crew an Bord

Auf der Liesel Essberger, einem Chemietankschiff, wird Weihnachten ganz klassisch gefeiert, erzählt der Kapitän. Wo sie dann sein werden, wissen die Seeleute noch nicht. Vielleicht auf hoher See, vielleicht in einem Hafen, wo sie sich ein wenig ausruhen können. Die Überfahrt von England war stürmisch, mit so hartem Seegang, dass seine Leute fast nicht an Deck konnten. Jetzt liegen sie 36 Stunden in Stade, dann geht es nach Rotterdam.

Besuch bei Chefingenieur Mladen Rodic, 3. Offizier Stanislav Padyn, Kapitän Antonio Petinga und 1. Offizier Faris Jamajevs (von links) auf der Brücke der Liesel Essberger im Stader Hafen.

Besuch bei Chefingenieur Mladen Rodic, 3. Offizier Stanislav Padyn, Kapitän Antonio Petinga und 1. Offizier Faris Jamajevs (von links) auf der Brücke der Liesel Essberger im Stader Hafen. Foto: Richter

Hohe Wellen ist Kapitän Petinga gewöhnt: Er kommt aus Nazaré, einem Fischerort in Portugal, der wegen der ungewöhnlichen Höhe der dort brechenden Wellen zu einem weltberühmten Surfspot wurde. Seit 33 Jahren arbeitet er für die Reederei Essberger, deren Markenzeichen Chemietanker in leuchtendem Orange sind, und hat den Bützflether Hafen und den Anleger der Dow unzählige Male angelaufen.

Warum Englisch an Bord unverzichtbar ist

Petingas Crew ist international: Litauer, Letten, Kroaten, Polen, Russen, Ukrainer und natürlich Philippiner, die in der Seefahrt besonders präsent sind. „Früher gab es auch viele Portugiesen, aber inzwischen ist Englisch als Seefahrts- und Bordsprache gefordert. Damit hatten viele Probleme“, sagt der Kapitän - natürlich auf Englisch. Kerstin Schefe drückt derweil den Schiffskoch. Er war in vielen Jahren auf See schon oft bei ihr im Seemannsclub Oase der Deutschen Seemannsmission in Stade-Bützfleth.

In der Oase, wo die Diakonin von Minijobbern und Ehrenamtlichen unterstützt wird, können die Seeleute entspannen und im WLAN Videocalls mit der Familie machen, Karaoke singen oder auch Billard spielen. „Und es sind nur 20 Minuten zu Fuß zum Penny-Markt in Bützfleth“, sagt einer von ihnen. So etwas gebe es in großen Häfen wie Rotterdam nicht.

Diakonin Kerstin Schefe von der Seemannsmission.

Diakonin Kerstin Schefe von der Seemannsmission. Foto: Richter

Wenn Schefe nicht gerade in der Oase ist, macht sie Bordbesuche. Im Schiffstracker hat sie gesehen, dass im Bützflether Hafen heute fünf Schiffe liegen: „Ein ganz normaler Tag.“ Heute hat sie größeren Besuch angemeldet: Sören Schult, Präsident des Rotary-Clubs Altes Land, und Sabine von der Decken, Präsidentin des Inner Wheel Clubs Niederelbe, helfen ihr dabei, Geschenke auszuliefern. Es sind 136 Tüten, die ihre Mitglieder der Seemannsmission gespendet haben.

Blick in den Inhalt einer Geschenktüte, auf der „Frohe Weihnachten“ in vielen Sprachen steht.

Blick in den Inhalt einer Geschenktüte, auf der „Frohe Weihnachten“ in vielen Sprachen steht. Foto: Sören Schult

Neben einer warmen Mütze und Schokolade haben sie scharfe Instant-Nudelsuppen einer ganz bestimmten asiatischen Sorte hineingelegt. „Wir haben uns vorher von Kerstin beraten lassen“, erklären von der Decken und Schult.

Seelsorge-Gespräche über Heimweh und globale Krisen

In der Oase sorgt Kerstin Schefe dafür, dass die Seeleute - zu 98 Prozent Männer - ein paar Lieblingssnacks zum Einkaufspreis bekommen. Und sie kümmert sich um ihre Seele: Oft sprechen sie über Heimweh, aber auch über belastende Situationen wie die Aufnahme von schiffbrüchigen Flüchtlingen im Mittelmeer, Piratenangriffe, globale Krisen oder Konflikte an Bord.

Letztere scheint es auf dem kleinen Frachter M/V Elise nicht zu geben, wo die Geschenke-Truppe sieben Tüten abgibt: Kapitän Isaev Svyatoslav ist Russe, sein 1. Offizier Ukrainer. Frieden auf See trotz Krieg an Land?

Geschenkübergabe auf der MV Elise.

Geschenkübergabe auf der MV Elise. Foto: Richter

„Hier an Bord sind wir wie eine Familie“, sagt der Kapitän, und seine Kollegen nicken. Das hat sie schon öfter gehört, sagt Kerstin Schefe später. Doch so einfach sei es nicht immer: „Wenn jemand hört, dass seine Familie zu Hause gerade bombardiert wird und ein anderer putintreu daherredet, wird es schwierig“, berichtet sie, während sie das hellgrüne Seemannsclub-Mobil zum nächsten Schiff fährt.

Es ist die Cavalli, ein 99 Meter langer Chemietanker. Gerade gehen zwei Zollbeamte die Gangway hoch. „Mal sehen, ob die überhaupt Zeit für uns haben“, sagt Schefe. Doch, sie nehmen die 13 Geschenktüten dankbar in Empfang. Allerdings nur kurz, denn der Zoll will wissen und prüfen, ob alle Waren an Bord ordentlich deklariert wurden.

Ein Seemann sehnt sich nach seinem Baby

Der Chemietanker Agnes Essberger ist das letzte Schiff für heute. Hier schnappen sich zwei Seemänner die Obstkisten mit den 16 Tüten und huschen in Windeseile freihändig die steile Gangway hoch. An Bord gibt es gerade Mittagessen und prompt eine Einladung dazu. „Nehmen Sie bitte auch Sushi“, sagt der Schiffskoch und zeigt stolz auf sein internationales Büfett. „Er kocht immer so gut, wir bekommen davon alle einen dicken Bauch“, sagt der 1. Offizier Daniel Brosek.

Mihai Tocitu (links), 3. Offizier, und Daniel Brosek, 1. Offizier, auf der Brücke der Agnes Essberger.

Mihai Tocitu (links), 3. Offizier, und Daniel Brosek, 1. Offizier, auf der Brücke der Agnes Essberger. Foto: Richter

Das sind die schönen Seiten des Lebens an Bord, sagt Brosek, der aus Polen kommt und vor vier Monaten Vater einer kleinen Tochter geworden ist: „Als ich sie zuletzt auf dem Arm hatte, wog sie 4,5 Kilo. Jetzt sind es fast 7.“ Die Seeleute verbringen zwei Monate auf See und haben dann zwei Monate Landurlaub. Immerhin kann er seine Tochter jeden Tag sehen - online, denn seit sechs Monaten gibt es an Bord der Agnes Essberger Internetzugang über das Satellitennetzwerk Starlink. In den Armen halten wird Brosek sein Kind erst nach Weihnachten wieder. Natürlich habe er Sehnsucht, aber: „So ist das Leben als Seemann eben.“

Und noch ein Erinnerungsfoto: An Bord des Frachtschiffs Kai Oldendorff haben Sören Schult, Kerstin Schefe und Sabine von der Decken gerade 20 Geschenktüten an die Crew übergeben.

Und noch ein Erinnerungsfoto: An Bord des Frachtschiffs Kai Oldendorff haben Sören Schult, Kerstin Schefe und Sabine von der Decken gerade 20 Geschenktüten an die Crew übergeben. Foto: Richter

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