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2. Weltkrieg

TDas tragische Ende von Gerken Hini auf Kreta

Hinrich Brunkhorst steht vor dem elterlichen Hof am Fuhrwerk, mit dem er vor dem Krieg die Milchkannen zur Molkerei nach Zeven brachte.

Hinrich Brunkhorst steht vor dem elterlichen Hof am Fuhrwerk, mit dem er vor dem Krieg die Milchkannen zur Molkerei nach Zeven brachte. Foto: Borchers

Unzählige Kondolenzbriefe erreichen Anna Brunkhorst nach dem Tod ihres Mannes Hinrich. Vom kurzen Leben eines Milchmannes, der von der Wehrmacht eingezogen wurde und 1943 fern der Heimat den Tod fand.

Von Dieter Borchers Samstag, 11.01.2025, 15:00 Uhr

Oldendorf. Das Herz von Dieter Bochers hängt an Altem. Schon als Kind hat er gesammelt, was anderen nichts wert war. Auch hat er stets die Ohren gespitzt, wenn von früher die Rede war. Zu Hause schrieb er auf, was er gehört hatte. So ist aus ihm ein Biograf der Familie und ein Chronist seines Heimatdorfes Oldendorf (Zeven) geworden.

Mit einem Abriss der Lebensgeschichte von Hinrich Brunkhorst fügt er der Dorfchronik ein Kapitel hinzu. Den Anstoß gaben erhaltene Kondolenzbriefe an die Witwe und ein Dutzend Fotos vom Soldatenbegräbnis in der Fremde.

Gerken Hini holt die Milch

Die ältesten Oldendorfer werden Hinrich Brunkhorst vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges tagtäglich zu Gesicht bekommen haben. Gerken Hini kam zu ihnen auf den Hof, um volle Milchkannen abzuholen und geleerte zurückzubringen. Mit seinem Pferdefuhrwerk brachte der Fuhrmann die Milch zur Molkerei nach Zeven. Ein einträgliches Geschäft, das er sich mit Hinrich Holsten vom Hof Nr.1 im Dorf teilte.

Michfuhrmann: Ein einträgliches Geschäft für die Brunkhorsts

Schon Hinrichs Vater Paul Brunkhorst (1872-1959) war als ,Milchfuhrmann für die Molkerei gefahren. 1931 erhielt Paul Brunkhorst für ein halbes Jahr 460 Reichsmark Fuhrlohn von der Molkerei.

In des Vaters Fußstapfen tritt der 1907 geborene einzige Sohn von Paul und Anna Brunkhorst (geborene Gerken). Der Jungbauer Hinrich Brunkhorst zählt 31 Jahre, als er Anna Eckhoff aus Steddorf (1909-1990) heiratet. Die jungen Eheleute übernehmen von den Eltern die kleine Hofstelle Gerken Hus Nr.23, am Rande des Dorfes. Im Januar 1940 wird ihnen Sohn Johann geboren.

Zu diesem Zeitpunkt steht Hinrich Brunkhorst bereits, wie Hunderttausende andere junge Männer, im Kriegseinsatz. Da sein 68-jähriger Vater noch rüstig und arbeitsfähig ist, liegt kein Grund vor, um Hinrich vom Dienst freizustellen.

Militärische Auseinandersetzung um Kreta

Hinrich Brunkhorst ist als Obergefreiter bei der 1. Kompanie des Luftwaffenbau-Bataillons 21/ XI eingesetzt. Er ist mit seiner Einheit auf der Mittelmeerinsel Kreta im Einsatz. Die Wehrmacht hatte die von Briten, Australiern und Neuseeländern besetzte Insel nach Ende des Balkanfeldzugs im Mai 1941 unter hohen Verlusten erobert.

Obergefreiter Hinrich Brunkhorst in seiner Kriegswerkstatt. Brunkhorst tat Dienst in einer Luftwaffen-Baukompanie. Foto: Borchers

Obergefreiter Hinrich Brunkhorst in seiner Kriegswerkstatt. Brunkhorst tat Dienst in einer Luftwaffen-Baukompanie. Foto: Borchers Foto: Borchers

Als die Wehrmacht an der Ostfront Schlag um Schlag versetzt bekommt und längst auf dem Rückzug ist, das Afrika-Korps besiegt ist, Italien die Seiten gewechselt hat, die Alliierten auf Sizilien gelandet sind und Bomberflotten deutsche Städte in Schutt und Asche legen, glaubt Hinrich Brunkhorsts Familie ihn auf Kreta einigermaßen in Sicherheit. Schließlich kommt es dort nicht zu offenen Feldschlachten.

Hinrich Brunkhorst stirbt auf der Insel

„Hinrich Brunkhorst wird von seinen Freunden daheim beneidet. Doch auf dieser schönen Insel findet er den Tod.“ Er erkrankt, wie einige Kameraden seiner Einheit, an der Ruhr - einer bakteriellen Durchfallerkrankung. Die Infektion wird beispielsweise durch Aufnahme verunreinigten Wassers ausgelöst. Nach nur fünf Tagen Krankheit stirbt Brunkhorst am 24. Oktober 1943 im Lazarett in Agia/Wawona südlich der Inselhauptstadt Heraklion an der Südküste mit nur 36 Jahren.

Begräbnis mit militärischen Ehren

In der Kompanie herrscht über seinen Tod und den eines weiteren Kameraden tiefe Betroffenheit. Beide Soldaten erhalten ein feierliches Begräbnis im Beisein der gesamten Kompanie mit militärischen Ehren. Die Todesnachricht wird den Angehörigen übermittelt. Sie trifft sie unvermittelt. Der Witwe werden wenige persönliche Habseligkeiten zugeschickt. Und sie bekommt Briefe.

Zu den wenigen Habseligkeiten, die an die Witwe geschickt werden, gehört die Brille des Verstorbenen. Foto: Borchers

Zu den wenigen Habseligkeiten, die an die Witwe geschickt werden, gehört die Brille des Verstorbenen. Foto: Borchers Foto: Borchers

„Kreta, den 11.11.1943. Werte Frau Brunkhorst! An dem schweren Verlust, von dem Sie und Ihr Sohn betroffen wurden, möchte ich Ihnen mein innigstes Beileid aussprechen. Ihr Schmerz wird groß sein, und werden meine Zeilen Ihnen nur wenig Trost geben können, aber mögen sie Ihnen Beweis dafür sein, dass der plötzliche Tod Ihres Mannes und unseres lieben Kameraden auch uns schwer getroffen hat, denn er war uns allen doch stets ein freundlicher und guter Kamerad. Möge es Ihnen ein gelinder Trost sein zu wissen, dass Ihr Mann ein gutes kirchliches Begräbnis mit allen militärischen Ehren erhalten hat, auf einem gepflegten Ehrenfriedhof mit dem Blick übers Meer zur Heimat hin ruht. Als letzten Dienst für ihn konnte ich den Ehrenzug führen und das ,Feuer‘ für die Ehrensalve übers Grab kommandieren. Nun wünsche ich, dass auch Ihnen die Sonne einst wieder scheinen werde, und wenn Sie alle Liebe, die sonst Ihrem Manne galt, nun dem Sohn zuteilwerden lassen, so werden Sie dem lieben Verstorbenen damit das beste Gedenken bewahren. Heil Hitler! Feldwebel W. Brüggemann.“

Die in der "Zevener Zeitung" erschienene Todesanzeige von Hinrich Brunkhorst.

Die in der "Zevener Zeitung" erschienene Todesanzeige von Hinrich Brunkhorst. Foto: Borchers

Nicht nur der Kompaniefeldwebel, sondern auch einige Kameraden des Verstorbenen sprechen der Witwe schriftlich ihre Anteilnahme aus und richten Kondolenzbriefe an die Trauernde.

Ein Kamerad sendet der Witwe Fotos vom Begräbnis

So Bruno Pelz. Er schreibt: „Auf Kreta, den 15.11.1943. Wehrte Frau Brunkhorst; Wenn Sie mich auch nicht weiter kennen, so muß ich Ihnen ein paar Zeilen schreiben und mir erlauben, zu Ihrem großen Verlust im Dahinscheiden Ihres lieben Mannes mein aufrichtiges Beileid auszusprechen. Ich weiß, wie schmerzlich Ihr Verlust ist, aber auch wir, insbesondere ich traure sehr darüber. War ich mit Hinrich doch ½ Jahr bei seiner Arbeit und in seiner Stube beisammen und habe oft Freud und Leid geteilt. Sehr oft sprach er von Ihnen und zeigte mir Bilder, die er von Ihnen bekommen hatte, und sprach mit Tränen in den Augen, wie schwer Sie es dort haben und er kann Ihnen nicht helfen. Seine Gedanken waren immer zu Haus. Er hat sich so auf seinen Urlaub gefreut, der ihn bestimmt bald nach Hause gebracht hätte. Nun liegt er hier und hat seinen langen Schlaf begonnen, während wir weiterleben und kämpfen, bis der Sieg unser ist und wir in der lieben Heimat unseren Kindern eine bessere Zukunft bringen können. Die Beerdigung war groß, in alter Freundschaft habe ich für alle, besonders für Sie, viele Aufnahmen gemacht, zur letzten Erinnerung. Filme anbei. In tiefer Trauer Ihr Bruno Pelz.“

Die Kompanie hat sich am Grab versammelt, um Hinrich Brunkhorst zu verabschieden.

Die Kompanie hat sich am Grab versammelt, um Hinrich Brunkhorst zu verabschieden. Foto: Bruno Pelz

Ein weiterer Brief war an die Mutter von Hinrich Brunkhorst gerichtet. Darin steht geschrieben: „Sehr geehrte Frau Brunkhorst, den 1.11.1943. Als Stubenkamerad Ihres verstorbenen Sohnes Hinrich mein herzliches Beileid. War einige Wochen von unserer Kompanie weg, so erfuhr ich nach meiner Rückkehr das Verscheiden Ihres Sohnes. Hinrich war uns ein sehr lieber guter Freund und wir selbst bedauern sehr, dass er nicht mehr unter uns ist. Fand heute einige Briefe von Ihnen gesandt an Hinrich. Ich sende Ihnen selbige zurück, da ich annehme, dass es für Sie ein Andenken ist. Freundliche Grüße und alles Gute. Richard Becker“

Nach fünf Tagen Krankheit ganz ruhig eingeschlafen

Am 9. November 1943 geht ein Feldpostbrief aus Wien ab. „An Familie Hinrich Brunkhorst, Oldendorf bei Zeven. Er ist nicht an Typhus, sondern an Ruhr gestorben. Es ging so schnell, daß man es immer noch nicht fassen kann. Die ganze Krankheit hat nur etwa 5 Tage gedauert. Gestern haben wir ihn noch mit einem Kameraden von den Pionieren in Kretas Erde gebettet zum letzten langen Schlafe. Es war eine ergreifende Feier. Es sprach ein Feldgeistlicher Worte des Trostes, wie ich sie schlichter und ergreifender nie auf einem Begräbnis gehört habe. Die Kapelle spielte das Lied vom guten Kameraden und dann krachte die Ehrensalve von seinen Kameraden. Dann sprach unser Hauptmann seine letzten Worte ‚... ich kann nur den Deinen melden, daß du immer deine Pflicht getan hast.‘ Dann sprach noch ein Oberleutnant und ein Leutnant von den Pionieren. Letzterer fand ganz besonders herzliche Worte für seine besten Kameraden, die man wohl nicht vergessen wird. Aber es ist vorbei und die hier so blutgetränkte Erde Kretas deckt einen lieben Menschen zu. Er ist ganz ruhig eingeschlafen. Der Pfarrer sprach am Grabe die Worte: ‚Der Du die Menschen lassest sterben, denn 1000 Jahre sind vor Dir wie der Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Nachtwache.‘ Abs.: Feldwebel H.Treu, Wien“

Witwe Anna Brunkhorst heiratet 1948 Hinrich Rugen aus Zeven

Selten sind nach dem Tode eines Soldaten so viele Kondolenzbriefe mit tröstenden Worten an die unbekannten Angehörigen geschrieben worden, wie nach dem Tode von Hinrich Brunkhorst. Meist wurden die Hinterbliebenen allein vom verantwortlichen Feldwebel über den Tod des Angehörigen in einem förmlichen Schreiben informiert. Die persönliche Habe wurde an die Angehörigen zurückgeschickt.

Die ihr zugedachten Schreiben und die von Bruno Pelz zugesandten Aufnahmen hat Gerken Anni bis an ihr Lebensende sorgsam gehütet.

Anna Brunkhorst mit ihrem Sohn Johann, den Schwiegereltern Paul und Anna Brunkhorst sowie Johanns Cousine Annegret Bammann aus Wistedt im Sommer 1943.

Anna Brunkhorst mit ihrem Sohn Johann, den Schwiegereltern Paul und Anna Brunkhorst sowie Johanns Cousine Annegret Bammann aus Wistedt im Sommer 1943. Foto: Borchers

Nach dem Tod ihres Mannes steht die Witwe mit ihrem dreijährigen Sohn vor schwierigen Zeiten. Der Schwiegervater ist mittlerweile 71 Jahre alt. Seine Kräfte lassen nach.

Anna Brunkhorst heiratet 1948 ein zweites Mal. Hinrich Rugen (1898-1971) aus Zeven wird der neue Vater für Johann und der Bauer auf dem Hof. Das Paar bekommt eine gemeinsame Tochter, Anneliese Rugen.

Bruno Pelz dokumentiert die Bestattung seines Kamerads Hinrich Brunkhorsts mit dem Fotoapparat. Das Foto der Sargträger sendet er an die Witwe.

Bruno Pelz dokumentiert die Bestattung seines Kamerads Hinrich Brunkhorsts mit dem Fotoapparat. Das Foto der Sargträger sendet er an die Witwe. Foto: Bruno Pelz

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