TDer Mythos des Jungfernhäutchens: Hebamme Iris Freyer über die Geburt Jesu
Die Hebamme Iris Freyer vor der Krippe an der katholischen Kirche St. Josef in Stade. Foto: Richter
Es wird viel zu wenig über Geburten gesprochen, findet Hebamme Iris Freyer. Weihnachten ist das anders: Alle haben Jesus und den Stall vor Augen. Eine gute Gelegenheit, mit ein paar Mythen aufzuräumen.
Landkreis. Die Geschichte ist bekannt, spätestens seit Lukas: Die schwangere Maria und Josef bekommen in Bethlehem keine Herberge mehr und müssen in einem Stall übernachten. Dort kommt Jesus zur Welt. „Kein Wunder, nach den Strapazen. Vielleicht wurden davon die Wehen ausgelöst“, sagt Iris Freyer.
Maria tut ihr leid, weil sie ihr Baby ohne Hebamme gebären muss: „Frauen können alleine Kinder kriegen. Aber das ist nicht empfehlenswert“, sagt die Hebamme, die eine Praxis in Jork hat. Die Zahl der Alleingeburten steige dennoch wieder. Statistiken dazu gibt es zwar nicht, aber einen Trend, der vor allem in den sozialen Medien propagiert wird.
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Daran hatte auch die Pandemie ihren Anteil, sagt Freyer: „In der Corona-Zeit gab es Frauen, die ihr Kind bewusst alleine bekommen haben, weil sie sich den Vorschriften im Krankenhaus nicht unterwerfen wollten - und weil sie auch keine Hausgeburtshebamme fanden.“
Zwei Hausgeburtshebammen im Kreis Stade
Apropos Hausgeburten: Die bot in der näheren Umgebung lange Jahre nur Edith Winter aus Rosengarten im Nachbarlandkreis Harburg an. Inzwischen gibt es im Landkreis Stade wieder zwei Hausgeburtshebammen: Manuela Raydt aus Hollern-Twielenfleth und Anne Eckhoff aus Burweg.
Eine Krankenhausgeburt stand vor 2000 Jahren bei Jesus natürlich nicht zur Debatte. Doch erfahrene Frauen, die den Gebärenden beistanden und zum Teil auch Heilerinnen waren, gab es schon immer, sagt Iris Freyer.
Hatte Maria doch eine Hebamme?
Dass Maria und Josef bei der Geburt wirklich alleine waren, bezweifeln einige. Im Protoevangelium des Jakobus, das um 150 nach Christus entstand, ist sogar von zwei Hebammen die Rede: Eine kümmert sich während der Geburt um Maria. Sie berichtet einer zweiten, Salome, die später dazukommt, dass Maria nach der Geburt noch immer jungfräulich ist. Salome glaubt das erst, als sie sie untersucht hat.
Der Text ist allerdings apokryph, was bedeutet, dass er im Umfeld der Bibel entstand, aber nicht in den Kanon aufgenommen wurde. Salomes Grabstätte im Wald von Lachisch nahe Jerusalem wurde zum Wallfahrtsort für Christen und kann bis heute besichtigt werden.
Iris Freyer findet das höchst interessant: „Ich hoffe ja, dass Maria eine Hebamme bekam und in Bethlehem nicht so ein Mangel herrschte wie heute im Landkreis Stade.“ Freyer ist auch Koordinatorin der Hebammenzentrale, wo Frauen abfragen können, ob und wo es freie Plätze gibt. „Es gibt eine Warteliste, aber seit wir die Zentrale haben, ist sie nicht mehr so lang wie früher.“
Und Marias Jungfräulichkeit? „Blödsinn“, sagt Iris Freyer. Dieser Mythos sollte aus ihrer Sicht nicht erhalten werden. Schon das Wort „Jungfernhäutchen“ lehnt sie ab: „Weil das mit Jungfräulichkeit nichts zu tun hat. Ich sage Hymen.“
Am Hymen sei überhaupt nicht erkennbar, ob eine Frau schon Geschlechtsverkehr hatte. Manche bekämen dabei keine Blutungen, weil es gar nicht beschädigt werde: „Manche haben nur so einen Saum - und der geht auch bei der Geburt nicht kaputt.“
Gib es eine Geburt ohne Schmerzen?
In einem bekannten Weihnachtslied heißt es: „Ein kleines Kindlein ohne Schmerzen, das trug Maria unter ihrem Herzen.“ Eine Geburt ohne Schmerzen gibt es aus Freyers Sicht allerdings nicht: „Jedenfalls nicht ohne Schmerzmittel.“ Doch Stress, der in unserer Kultur mit dem Gebären verbunden sei, könne Schmerzen verstärken. „Und wenn Frauen eine Hebamme haben, die sie im Idealfall schon kennen und der sie vertrauen, und wenn sie in einer bekannten Umgebung ihr Kind bekommen, kann das viel Stress nehmen“, sagt Freyer.
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Maria musste ihr Kind in der Fremde bekommen, im Stall statt zu Hause im Schlafzimmer. „Vielleicht war es auch kalt“, sagt Iris Freyer. Ochs und Esel könnten für etwas Wärme gesorgt haben. „Aber hygienisch ist das Ganze natürlich eine Katastrophe.“ Sie hofft, dass Maria sich zur Geburt wenigstens auf ein sauberes Laken knien konnte - und saubere Tücher hatte, um das Kind einzuwickeln.
Besuch der Weisen aus dem Morgenland: eine Katastrophe
Nach der Geburt nahte aus ihrer Sicht schon die nächste Katastrophe: Besuch im Wochenbett. „So wie das mit den Weisen aus dem Morgenland klingt, konnte sie die ja nicht gut ablehnen.“ Iris Freyer rät zu mindestens zehn Tagen ungestörtem Wochenbett. Ganz ruhig, im Bett oder auf dem Sofa und mit der Möglichkeit, Besuch nicht zu empfangen.

Besuch am Wochenbett: In diesem Krippenbild am Altar der St.-Petri-Kirche in Buxtehude stehen die drei Weisen aus dem Morgenland betend vor Jesus, Maria und Josef. Foto: Richter
Lobende Worte hat sie für Josef: „Männer waren damals eher nicht bei der Geburt dabei. Wenn sie wirklich alleine waren, wird er ihr beigestanden und das Kind aufgefangen haben.“ Und die Nabelschnur? „Man kann warten, bis der Mutterkuchen kommt, dann alles einwickeln und warten, bis die Nabelschnur von selbst abfällt. Aber auf so einer Reise hatte Josef bestimmt ein Messer dabei.“
All das gemeinsam zu bewältigen, habe die kleine Familie vielleicht besonders zusammengeschweißt. Für Iris Freyer ist das eigentliche Wunder dieser Geburt genau das: „Dass sie alles gut überstanden haben und Jesus dann auch noch so ein toller Typ geworden ist.“
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