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TDer Steve Jobs der Botanik: Auf den Spuren von Jost Fitschen

Wanderung zu Jost Fitschen durch den Tadel.

Wanderung zu Jost Fitschen durch den Tadel. Foto: Fehlbus

Was dieser Mann aus Brest geleistet hat, vergleicht Apotheker Martin Berl mit einem Computergenie. Seine Wandergruppe führt er zum Ursprung der anwenderfreundlichen Botanik.

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Von Miriam Fehlbus
Sonntag, 03.08.2025, 15:50 Uhr

Brest. Es ist ein Wäldchen. Auf den ersten Blick unscheinbar und schlecht zu erreichen. Das Naturschutzgebiet „Im Tadel“ bei Brest dient als Rückzugsort für seltene Insekten und Pflanzen, die in Feuchtwald und Gehölzen leben.

Hier kommen weder Autos noch Radfahrer durch. Spaziergänger und Wanderer müssen auf den Wegen bleiben. Und das macht auch der Harsefelder Apotheker Dr. Martin Berl mit seiner Exkursionsgruppe.

Die achtköpfige Gruppe ist auf den Spuren eines Mannes, der schon um die Zeit um 1880 herum an dieser Stelle durch die Natur gestreift sein dürfte: Jost Fitschen, Botaniker und Volksschullehrer, der in gedruckter Form große Spuren hinterlassen hat.

Botaniker ist er nicht, aber Apotheker und seit 25 Jahren mit Gruppen im Auetal auf Kräuter- und Beerenwanderungen: Dr. Martin Berl lud jetzt zum ersten Mal in den Tadel bei Brest ein.

Botaniker ist er nicht, aber Apotheker und seit 25 Jahren mit Gruppen im Auetal auf Kräuter- und Beerenwanderungen: Dr. Martin Berl lud jetzt zum ersten Mal in den Tadel bei Brest ein. Foto: Fehlbus

Der „Schmeil-Fitschen“, wie das Buch nach den Begründern der Bestimmungsmethode genannt wird, wurde seit 1903 schon über 2,5 Millionen Mal verkauft. Im vergangenen Jahr erschien die 98. Auflage.

Ein Schlüssel, mit dem jeder Laie umgehen kann

Martin Berl hat viele der Bücher aus verschiedenen Jahren zu Hause im Regal. Für den Doktor der Naturwissenschaften und Inhaber der Auetal-Apotheke in Harsefeld haben hier Prof. Otto Schmeil und besonders der Lehrer Jost Fitschen „etwas Unglaubliches geschaffen.

Ein botanisches Bestimmungsbuch, das aus einem riesigen System einen Schlüssel entwickelt, mit dem jeder Laie umgehen kann“, sagt Berl. Auch deshalb vergleicht er Jost Fitschen mit Apple-Mitgründer Steve Jobs. Das Konzept des Heimcomputers für jeden und die Botanik für Laien dienen einer besonderen Anwenderfreundlichkeit.

Die ersten Auflagen des Schmeil-Fitschen waren noch sehr dünn. Das Buch ist heute bereits in der 98. Auflage erschienen.

Die ersten Auflagen des Schmeil-Fitschen waren noch sehr dünn. Das Buch ist heute bereits in der 98. Auflage erschienen. Foto: Fehlbus

Während die Gruppe die ersten Blüten sichtet, die auf eine Kamillenpflanze hinweisen, erklärt Berl, wie das System Schmeil-Fitschen funktioniert.

Auch heute noch, wo dank künstlicher Intelligenz oft ein Foto mit dem Smartphone reicht, um einen Pflanzennamen zu finden, werde es von Botanikern, Landschaftsgärtnern, Apothekern und Botanikinteressierten verwendet.

Immer zwei Fragen führen durch das Pflanzenreich

Martin Berl selbst nutzte es erstmals während seines Studiums in Freiburg im Breisgau. Auch als er vor etwa 25 Jahren nach Harsefeld kam und quasi gleich zum ersten Herbstzauber in seinem neuen Heimatort Pflanzen- und Beeren-Sammlungen begleitete, wusste er nicht, dass Jost Fitschen aus der Samtgemeinde kam.

Das erfuhr er erst viel später während einer seiner Kräuter- und Beerenwanderungen, die er bis heute ehrenamtlich gemeinsam mit dem Stadtmarketing Harsefeld anbietet.

Das ist doch Blutweiderich? Ute Gründer, Malu Wetzlar, Manuela Teufel und Wolfgang Tobaben (von links) nehmen den Fund unter die Lupe.

Das ist doch Blutweiderich? Ute Gründer, Malu Wetzlar, Manuela Teufel und Wolfgang Tobaben (von links) nehmen den Fund unter die Lupe. Foto: Fehlbus

Der Schmeil-Fitschen kommt fast ohne Bilder aus. Es gebe immer zwei Fragen, ja oder nein, mit denen sich der Nutzer des Buches durch die Seiten und Tabellen bewegt. Nacktsamer oder nicht? Pflanze zur Blütezeit mit vollentwickelten grünen Blättern oder ohne? Ein- oder zweikeimblättrige Pflanze? Blüte radiär symmetrisch oder zygomorph?

Anfänger biegen bei dem System auch mal falsch ab

Immer führt eine Antwort mit der entsprechenden Seitenzahl weiter. „So kommt man durch das Pflanzenreich durch, und es kann sein, dass man als Anfänger einmal falsch abbiegt“, sagt Martin Berl. Geht es immer auf die richtigen Seiten, steht am Ende der botanische Name.

Keine echte Kamille: Der gelbe Korb der Blüte sollte etwa zweimal so hoch wie breit sein und innen hohl. Das Rasiermesser beweist, dass dies nicht der Fall ist.

Keine echte Kamille: Der gelbe Korb der Blüte sollte etwa zweimal so hoch wie breit sein und innen hohl. Das Rasiermesser beweist, dass dies nicht der Fall ist. Foto: Fehlbus

Die weiß-gelbe Blüte des Fundstücks kommt gerade unter das Messer. Martin Berl hat eine Rasierklinge mitgebracht und zerteilt den Blütenkorb in zwei Hälften. Ist es echte Kamille, muss der Korb hohl sein. Das ist er nicht. Damit ist die Blüte nur eine Zier.

„Geruchlose Kamille“ ist einer der Beinamen. Anders verhält es sich mit dem Johanniskraut auf der anderen Wegseite. Das gehört zu den Heilkräutern. Die Pflanze mit den leuchtend gelben Blüten soll eine beruhigende und antidepressive Wirkung haben.

Gut erkennbar sind die Öldrüsen, die - gegen das Sonnenlicht gehalten - als durchscheinende Punkte auf den Blättern erscheinen. Und auch die Samenzahl stimmt mit der Angabe im Schmeil-Fitschen überein.

Von der Blüte bis zum Standort dokumentiert

2000 bis 3000 Arten hat Jost Fitschen bearbeitet. Von oben bis unten zur Wurzel, zu verschiedenen Jahreszeiten und mit Standortverweis.

„Damals gab es noch nicht so eine Ordnung mit Familien und Spezies, heute kann alles gentechnisch untersucht werden“, sagt Berl und unterstreicht, dass er selbst kein Botaniker ist.

Dass der Schlüssel von Otto Schmeil und Jost Fitschen bis heute funktioniert, fasziniert ihn aber. Und so hat er auch einiges über den Menschen hinter dem Namen aus Brest zusammengetragen.

Magdeburg und Altona: Das war Jost Fitschen

1869 wurde Jost Fitschen in Brest geboren. Die Familie bewohnte eine Hofstelle an der heutigen Ringstraße in Brest. Der Bauernsohn besuchte die Brester Dorfschule. Im Herbst 1886 trat er in das Stader Lehrerseminar vor dem Salztor ein und verließ es 1889, um als Hilfslehrer in Neuhaus an der Oste zu arbeiten.

Im April 1893 habe Jost Fitschen dann im Stader Seminar seine zweite Lehrerprüfung mit ausgezeichneten Noten abgelegt, heißt es im Jahrbuch des Vereins für Kloster- und Heimatgeschichte Harsefeld 1988 weiter. Der Artikel stammt von Gerhard Brunkhorst.

Hier geht es in den Tadel: Seit 1988 steht das Gebiet bei Brest unter Naturschutz.

Hier geht es in den Tadel: Seit 1988 steht das Gebiet bei Brest unter Naturschutz. Foto: Fehlbus

Ihm sei ausdrücklich die Lehrbefähigung in der Unterstufe von Mittelschulen und höheren Mädchenschulen zugesprochen worden. So zog der Brester nach Magdeburg, wo er, inzwischen verheiratet, in der sogenannten Wilhelmstadt mit 1400 Schülern und 40 Lehrern unter dem Rektorat von Otto Schmeil arbeitete.

Als das Buch „Flora von Deutschland“ im Herbst 1903 erstmals erscheint, ist Fitschen samt Ehefrau und Tochter Edith bereits in Altona. Hier blieb er bis zu seiner Pensionierung 1932 Lehrer.

Grabstätte der Familie ist auf dem Altonaer Friedhof

Die Beziehungen zur Brester Verwandtschaft hat laut Brunkhorsts Recherchen Tochter Edith neu geknüpft. So kam Jost Fitschen wohl immer wieder in den Tadel.

In der 1914 veröffentlichten Schrift „Die Brombeeren des Regierungsbezirks Stade, von Jost Fitschen in Altona“ kommt zwei Mal als Fundort der Wohlerster Busch unweit Harsefeld und der Tadel bei Brest vor. Aber auch viele andere Fundorte in und um Harsefeld werden genannt.

Jost Fitschen starb am 26. Januar 1947. Die Grabstätte der Familie befindet sich auf dem Altonaer Hauptfriedhof, wo 1968 auch Tochter Edith ihre Ruhestätte erhielt.

Jost-Fitschen-Weg im Neubaugebiet Brest

Der Schmeil-Fitschen ist heute nach Angaben des 1906 gegründeten Quelle & Meyer Verlags mit über 2,5 Millionen verkauften Exemplaren die erfolgreichste Exkursionsflora ihrer Art auf dem Markt. Es lassen sich damit jetzt mehr als 5450 Arten und Unterarten und seltene Varietäten der heimischen Flora bestimmen.

Hier bleibt die Rasierklinge aus dem Botaniker-Besteck im Mäppchen: Der Breitblättrige Stendelwurz, eine heimische Orchideenart, steht unter Naturschutz.

Hier bleibt die Rasierklinge aus dem Botaniker-Besteck im Mäppchen: Der Breitblättrige Stendelwurz, eine heimische Orchideenart, steht unter Naturschutz. Foto: Fehlbus

Eine relativ seltene Pflanze aus der Familie der Orchideengewächse findet die Gruppe bei der Wanderung am Wegesrand: den Breitblättrigen Stendelwurz. Es handelt sich um eine heimische Orchideenart, die unter Naturschutz steht.

Der Tadel, seit 1988 Naturschutzgebiet, ist die eine Erinnerung an den berühmten Botaniker in Brest. Die andere befindet sich im Neubaugebiet des kleinen Ortes. Dort gibt es seit 2020 einen Jost-Fitschen-Weg.

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