T„Die Augen brannten“: Bruder des Getöteten in Stader Tatnacht unmittelbar dabei

Der 34-jährige Angeklagte sitzt zwischen seinen Anwälten Dinah Busse und Dirk Meinicke. Ihm wird vorgeworfen, im März dieses Jahres einen 35-Jährigen durch einen Messerstich in den Kopf getötet zu haben. Foto: dpa Foto: dpa
Es war wild, unübersichtlich, es war laut: Im Stader Prozess um Mord im Clan-Milieu drehte sich am Dienstag viel um die Tat selbst. Weitere Details kamen ans Licht.
Stade. Der 34-Jährige, Angehöriger des Al-Zein-Clans, tritt in dem Verfahren gemeinsam mit einem weiteren Bruder als Nebenkläger auf. Da er die Geschehnisse am 22. März direkt miterlebt hat, wurde er nun schon den zweiten Tag als Zeuge befragt - und die Vernehmung ist noch nicht abgeschlossen.
Der Vorsitzende der 1. Großen Strafkammer, Erik Paarmann, griff erneut die Situation am Salztor auf. Der Nebenkläger berichtete, er habe zunächst nur Jalal M. und zwei Polizisten gesehen; kurze Zeit später auch Karim M. - beide Angehörige des Miri-Clans, so wie der Angeklagte.
Es habe „eine Rangelei“ gegeben und er sei mit Pfefferspray besprüht worden. „Von da an habe ich Schläge gespürt. Die Augen brannten“, sehen konnte er nichts, aber er habe die Stimmen erkannt. Erst später habe er den mutmaßlichen Mörder, Mustafa M., gesehen, wie er rief „Komm, Bruder, komm“. „Wir wussten nicht, wer der Täter war, aber wir hatten Mustafa schnell im Fokus: Entweder er hatte es gesehen oder er war es selber“, so seine Vermutung.

Auch am sechsten Prozesstag des Prozesses im Clan-Milieu zeigte die Polizei Präsenz vor dem Landgericht. Foto: Susanne Helfferich
Nebenkläger: Ich war wie in Schockstarre
Viele hätten auf ihn eingeschlagen. Er habe versucht, sein Kinn zu schützen, „damit ich nicht k.o. gehe“, so der Bruder des Opfers. Schließlich habe er unter dem Gerangel wegtauchen und aufstehen können. „Erst dann habe ich gesehen, dass mein Bruder auf dem Boden lag.“ Karim habe gerufen: „Ist es das, was Ihr wolltet? Ich konnte nicht antworten, war wie in Schockstarre.“ Er habe den Ausruf als Verhöhnung verstanden, antwortete er auf Nachfrage des Vorsitzenden, im Sinne von „das habt Ihr nun davon“.
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Paarmann befragte den Zeugen auch zu seinem Verhältnis zum Angeklagten: Sie seien keine besten Freunde gewesen, aber öfter zusammen essen gegangen. Mustafa habe viel gearbeitet. Erst seit der „Buchholzer Sache“ - die Eröffnung eines Shisha-Shops durch einen Familienzweig der Al-Zeins in Buchholz, obwohl es dort schon eine Shisha-Bar der Miris gab - habe es Spannungen gegeben.
Schließlich wurde ein Video gezeigt, das vom Parkplatz am Holzhafen aus aufgenommen wurde. Darin ist zu sehen, wie sich der Nebenkläger aus der Menge befreit und auf die Straßenseite zum Hafen läuft, umdreht und dann wieder in der Menge verschwindet; weil er gesehen habe, dass sein Bruder auf der Straße liegt, erklärt er.
Shisha-Laden in Buchholz sorgte für Spannungen
Staatsanwältin Dawert fragte, wie es zu dem neuen Shisha-Laden in Buchholz gekommen sei. Der 34-Jährige berichtete, dass er erst davon erfahren habe, als er schon in Bau war. Er habe keinen Sinn darin gesehen, weil die Miris ja schon dort einen Laden hatten. Im Gespräch mit seinen Brüdern habe er gesagt, er würde das nicht machen. „Weil es Ärger geben könnte?“, fragte die Staatsanwältin. „Ja, daran habe ich gedacht“, so der 34-Jährige, „aber ich hätte niemals gedacht, dass es so eskaliert.“

Rückblick: Tatortaufnahme durch die Polizei in der Nacht nach der tödlichen Messerattacke am Salztor in Stade. Foto: Polizei Stade
Die Staatsanwältin fragte auch nach dem angeblichen Blutgeld in Höhe von 300.000 Euro, das die Miris den Al-Zeins angeboten haben sollen. Das sei im Libanon, am Tag der Beerdigung oder am Tag danach geschehen. Allerdings konnte der 34-Jährige nicht sagen, wer das Geld angeboten hatte. Es sei ihm auch egal gewesen, denn damit habe er seinen Bruder nicht zurückholen können. Die Gerüchteküche sei hochgekocht. Via Social Media habe es viele Sticheleien gegeben.
Beweismittel zeigt den falschen Mann
Hier hakte auch die Verteidigung nach: Rechtsanwalt Dirk Meinicke wollte wissen, wer, wann und wo die 300.000 Euro angeboten habe. „Ich weiß es nicht“, so der Nebenkläger, „vielleicht ein Mann mittleren Alters, vielleicht 45, arabisch sprechend.“
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Meinicke wollte wissen, ob so ein Angebot üblich sei in seiner Kultur. „Wir hatten noch nie so einen Fall in unserer Familie“, entgegnete der Befragte. Wer denn die Verantwortung in der Familie trage? Es gebe kein Oberhaupt, so die Antwort. Ob er sich in seiner Ehre verletzt gefühlt habe? Es seien Schwellen überschritten worden. Ob Jalal M. eine Grenze überschritten habe, als er die Tür zum Elternhaus eingetreten habe? „So etwas macht man nicht, das hat nichts mit Arabisch oder Islam zu tun“, so der Nebenkläger deutlich.
Der Prozess wird am Freitag, 29. November, fortgesetzt.