TDie Reitschulen in der Region stecken in Schwierigkeiten

Steigende Kosten und Fachkräftemangel setzen den Reitschulen in der Region zu. Foto: pixabay.de
Das Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde – eine bekannte Redewendung. Allerdings können es sich zunehmend weniger Reitvereine leisten, Schulpferde zu halten. Die mittelfristige Existenz der Pferdebranche ist dadurch in Gefahr.
Zeven. „Reitschulen sind das Fundament des organisierten Pferdesports, sie leisten Nachwuchsarbeit und stellen den Pferdesport in Deutschland sicher. Die Reitanfänger von heute sind die Kunden von morgen.“ Deutliche Worte von Thomas Ungruhe, Leiter der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) - Abteilung Pferdesportentwicklung.
Schulpferde spielen dabei eine tragende Rolle, damit immer wieder neue Menschen zum Pferdesport finden. Ohne vierbeinige Lehrer lässt sich das Reiten oder Voltigieren kaum erlernen. Und fast jeder Reiter begann seine „Karriere“ auf dem Rücken eines dieser speziellen Pferde.
10.000 Schulpferde weniger als vor Corona
Die Entwicklung ist rückläufig. In Deutschland gab es nach Angaben der Reiterlichen Vereinigung vor Corona rund 65.000 Schulpferde. Zwei Jahre später, nach der Pandemie, waren es 10.000 weniger. Die Hälfte aller Vereine hält Schulpferde. Bei den großen Höfen sind es sogar 67 Prozent.
„Ein geeignetes und bezahlbares Pferd für den Unterricht zu finden, betrifft also mehr als die Hälfte aller unserer Vereine und Betriebe“, erklärt Thomas Ungruhe und fügt weiter hinzu: „Die Wartezeiten auf einen Reitstundenplatz lagen schon 2020 bei 4,4 Monaten und sind bestimmt eher länger als kürzer geworden, zusätzlich steht den Reitschulen durch die steigenden Kosten das Wasser bis zum Hals.“
FN will die Reitbetriebe vielfältig unterstützen
Auch im Landkreis Zeven sind die Auswirkungen der Pandemie und gesellschaftlicher Veränderungen zu spüren. Die Herausforderungen für Reitschulen und -vereine heutzutage sind groß. Es ist nicht nur schwierig, geeignete und bezahlbare Pferde zu finden, sondern auch Reitlehrer und Stallhelfer. Außerdem steigen Unterhaltskosten mehr und mehr, und diese Kosten können nicht eins zu eins an Kunden weitergegeben werden. Reiten entwickelt sich ohnehin zunehmend zu einem Luxus, den sich Normalverbraucher kaum noch leisten können.
Hilfe soll nun aber das Projekt „100 Schulpferde plus“ der Reiterlichen Vereinigung bringen. Dabei geht es um den mittelfristigen Erhalt der ganzen Pferdebranche. 100 neue Schulpferde für Vereine und Betriebe sollen bezuschusst werden. Weitere finanzielle Hilfen erhalten sie für 20 Trainerausbildungen, 50 kostenlose Krankenversicherungen für die Pferde sowie 100 kostenlose Eintragungen von den Schulpferden als Turnierpferde, damit auch die Hobbyreiter ein wenig Wettkampfluft schnuppern und erste Erfahrungen im Reitsport sammeln können.
Der FN-Hauptsponsor, die Agria Tierversicherungsgesellschaft Düsseldorf, unterstützt darüber hinaus, indem alle Vereine und FN-Mitgliedsbetriebe bei ihnen einen Schulpferderabatt in Höhe von zehn Prozent auf Pferdeversicherungen erhalten. Auch Zuschüsse für Futter, Ausrüstung und Gesundheitsvorsorge der Tiere sind geplant.
Für Hans-Peter Jagels, Vorsitzender des Reitverein Tarmstedt, seine Tochter Wiebke Jagels, Kassenwartin, und ihre angestellte Reitlehrerin Ariane Haake ist das Programm der FN jedoch eher eine Nebelkerze. Die Idee wäre zwar gut, die Frage bleibt nur, ob 100 bezuschusste Pferde das Problem der Vereine nachhaltig beseitigen. Auch sei ihnen nicht klar, wie und wo und wer von diesen Bezuschussungen profitieren soll.
„Die Rahmenbedingungen sind nicht klar“, so Wiebke Jagels. Finanziell belastender ist für die Familie ohnehin eher der Unterhalt des Betriebes und der Pferde und nicht die reine Anschaffung. Ohne ihre Sponsoren und den Turnierbetrieb auf dem Hof wäre der Schulpferdebetrieb nicht tragbar, und mehrfach haben sie bereits über die Einstellung nachgedacht. Die Nachfrage nach Reitunterricht ist jedoch ungebrochen groß, und für den gemeinnützigen Verein sehen sie eine Verantwortung für die Kindern in der Region.
Wie schwer es ist, einen solchen Betrieb am Laufen zu halten, erlebt auch der Reitverein Zeven - der größte in der Region ansässige Verein. Von sieben sind es jetzt nur noch vier Schulpferde, lediglich eine fest angestellte Reitlehrerin, Susanne Arndt, betreut in über 15 Reitstunden pro Woche alleine die Reiter und Pferde. Nachfragen nach Reitunterricht gingen leicht zurück.
„Die Leute haben einfach kein Geld mehr“, erzählt die 48-Jährige. Auch sie spürt die Veränderungen in der Branche deutlich und ist traurig über die Entwicklung des Reitsports, der zunehmend ein Luxusgut für Reiche zu werden scheint. Zudem ließe die Begeisterung der Kinder für den Pferdesport und die Tiere nach. Richtige Pferdemädchen wie die zehnjährige Fryda Kamin gibt es kaum noch.
Die Nachfrage nach Reitunterricht ist überall da
Verantwortung möchte oder kann keiner mehr so wirklich übernehmen, die Familien hetzen mit ihren Kindern nachmittags von Termin zu Termin. Für die 48-Jährige gehört das „Drumherum“ jedoch dazu. „Die Kinder sollen das Pferd als einen Freund ansehen“, sagt Arndt. Und dazu gehört eine gewisse Vor- und Nachsorge der Tiere, um eine Bindung zwischen Reiter und Pferd herzustellen. Von dem FN Projekt habe sie zwar gehört, sich aber nicht näher damit befasst.
Der Reitverein in Selsingen stimmt seinen Vereinskollegen der Region in den meisten Punkten zu. Besonders betont Wiebke Oetjen, Vorstandsmitglied des Vereins, dabei auch den Weg hin zu einem elitären Sport, den sie nicht befürwortet und sehr schade findet. Denn nicht nur die Zahlen an Reitschülern gehen zurück, sondern auch die Nennzahlen der Turniermeldungen. Von bisher 500 Meldungen im Jahr sind es jetzt 350. „Die Kosten schrecken viele ab“, sagt sie. Und eine Aussicht auf Erfolg hätten auch fast nur noch Leute mit dem entsprechenden finanziellen Hintergrund.
Dabei möchte der Verein Menschen aus allen sozialen Schichten die Erfahrung, reiten zu lernen und den Pferden ein artgerechtes Leben ermöglichen. Zusätzlich dazu fehle es an Reitlehrern, Stallhelfern und Pflegern. Die Ehrenämter, die vor einigen Jahren den Großteil dieser Arbeiten erledigt haben, brechen weg. Ebenfalls problematisch ist die Anschaffung eines neuen Schulpferdes, da nach ihrer Erfahrung viele Verkäufer ihre Pferde nicht an einen Reitschulbetrieb verkaufen möchten.
Ähnlich, jedoch etwas positiver, blickt der Verein aus Sittensen in die Zukunft seines Schulpferdebetriebs. Laut Geschäftsführerin Birgit Rathjen-Stemmann sei der Einsatz ihrer vier Schulpferde zwar nicht kostendeckend, durch ihre guten Sponsoren im Turnierbetrieb aber glücklicherweise tragbar. Dadurch könne der Verein seiner sozialen Aufgabe gerecht werden. Trotz allem kämpfen auch die Sittenser mit Problemen bei der Anschaffung und Unterhaltung der Pferde.
Aus Liebe zum Sport machen sie weiter
Der Reitschulbetrieb ist für fast alle Vereine zu einem defizitären Geschäft geworden. Doch entgegen aller wirtschaftlicher Vernunft, aus Liebe zu ihrem Sport und den Menschen der Region, machen sie weiter.
Gute Nachwuchsreiter werden gebraucht und müssen gefördert werden, und die gibt es nicht, wenn keine Schulbetriebe und -pferde mehr da sind. In diesem Punkt sind sich FN mit ihrem Schulpferde-Projekt und Vereine der Region Zeven zumindest einig.