Zähl Pixel
Bildung

TDie Schul-Revoluzzer: 15 Jahre Integrierte Gesamtschule in Stade

Das Schulleitungs-Team der IGS: Jörg Moser-Kollenda, Lars Schlegel, Henriette Demski, Jan Bolten und Ute Bruns (von links).

Das Schulleitungs-Team der IGS: Jörg Moser-Kollenda, Lars Schlegel, Henriette Demski, Jan Bolten und Ute Bruns (von links). Foto: Richter

Vor 15 Jahren ist mit der IGS Stade die erste Integrierte Gesamtschule im Landkreis gestartet. Die Gründungsjahre waren wild. Doch es kam frischer Wind in die Schullandschaft.

author
Von Anping Richter
Montag, 18.08.2025, 13:50 Uhr

Stade. Die Integrierte Gesamtschule (IGS) ist im Landkreis Stade eine beliebte Schulform: In Buxtehude und in Stade übersteigt die Nachfrage regelmäßig das Angebot.

In Stade gab es diesmal 247 Anmeldungen, aber nur 137 Plätze. „Für uns bedeutet das 110 Briefe, in denen wir den Eltern schreiben müssen, dass es uns sehr leid tut“, erklärt Henriette Uwadia, die Leiterin der Sekundarstufe I an der IGS Stade.

110 Familien haben Absage-Briefe bekommen

In den Familien kann so eine Ablehnung für große Unruhe sorgen. Jörg Moser-Kollenda, dem Leiter der IGS Stade, ist das bewusst: „Für die Kinder geht es auch darum, dass Freundesgruppen auseinandergerissen werden.“ Doch die Entscheidung fällt das Los.

Dafür gibt es ein qualifiziertes Losverfahren, das von der Stadt Stade als Schulträgerin beaufsichtigt wird. „Wir gehen nach der Notensumme in den Fächern Deutsch, Mathematik und Sachunterricht“, erklärt Moser-Kollenda. Der beste Durchschnitt ist nicht unbedingt ein Vorteil - die Mischung muss stimmen.

Eine heterogene Lerngruppe wirke für manche Lehrkräfte auf den ersten Blick anstrengend. Für das Lernen sei sie aber besser, erklärt Moser-Kollenda: „Davon profitieren alle, das ist sehr gut untersucht.“

Bis 2008 waren IGS-Gründungen sogar verboten

Er und seine Kollegen sind überzeugt: Der Landkreis Stade könnte eine weitere IGS gut gebrauchen. Heute ist kaum noch jemandem präsent, dass die Gründung von Integrierten Gesamtschulen in Niedersachsen sogar verboten wurde - von 1976 bis 1989 und dann erneut von 2003 bis 2008.

Schwarz-Gelb wollte am dreigliedrigen Schulsystem festhalten. Doch im Land wuchs Protest, vor allem von Eltern, die ihren Kindern möglichst lange alle Bildungswege offenhalten wollten. Die Hauptschulen trockneten aus. Das führte dazu, dass das Verbot 2008 fiel.

Gemütlich: Bibliothek und Sitzsäcke im Selbstlernzentrum der IGS.

Gemütlich: Bibliothek und Sitzsäcke im Selbstlernzentrum der IGS. Foto: Richter

Damit waren aber nicht alle Hürden ausgeräumt. In Stade löste die IGS-Gründungsinitiative eine große Debatte aus. „Die war auch teilweise wirklich fies“, erinnert sich Jörg Moser-Kollenda.

Auch Henriette Uwadia und Ute Bruns, die heutige didaktische Leiterin der IGS Stade und damalige Rektorin der Realschule Camper Höhe, gehörten zu den Mitstreitern der ersten Stunde.

Eine Schule ohne demotivierendes Sitzenbleiben

„Wir wurden gefragt, warum wir unsere tollen pädagogischen Ideen nicht an unseren Schulen umsetzen“, berichtet Ute Bruns. Die Antwort: Das bestehende Schulsystem ließ das nicht zu.

„Ich wollte Schüler nicht mehr trennen, nicht mehr in andere Schulen abschieben und nicht sitzenbleiben lassen müssen.“ Henriette Uwadia ergänzt: „Das demotiviert, es prägt als Verlierer, und oft bleibt es ein Knick im Leben.“

Lesen Sie auch:

Die Stader IGS-Gründungsbestrebungen fielen in eine Zeit, in der geplant war, das Athenaeum zu erweitern. Angesichts der Möglichkeit einer neuen Schule am Horizont wurden die Mittel eingefroren. „Mein damaliger Schulleiter Hermann Krusemark fand das nicht lustig“, berichtet Jörg Moser-Kollenda, damals noch Oberstufenkoordinator am Athenaeum.

Eine Elternumfrage sollte entscheiden. CDU und FDP schalteten Zeitungsanzeigen, um vor Nachteilen zu warnen, doch am Ende sprachen sich mehr als 600 Stader Eltern für die IGS aus. Im ehemaligen Schulzentrum Hohenwedel wurde sie eingerichtet und in mehreren Abschnitten ausgebaut.

2010 startete der erste Jahrgang der IGS Stade mit der Möglichkeit, sämtliche Schulabschlüsse ohne Schulwechsel zu erwerben.

Bis zur achten Klasse gibt es keine Noten, sondern Lernberichte. Ihren ersten Abiturjahrgang hat die IGS Stade im Juni 2019 feierlich entlassen.

Heute hat die Schule 1050 Schüler und eine Lehrkräfteversorgung, „die gar nicht so schlecht wäre, wenn wir nicht 125 Stunden an andere Schulen abgeben müssten“, sagt Moser-Kollenda.

Seine Kollegen vom Leitungsteam bescheinigen ihm ein gutes Händchen für die Personalakquise und freuen sich über ein junges Kollegium, zu dem viele Lehrkräfte gehören, die selbst früher eine IGS besucht haben.

Heute haben Stader bei weiterführenden Schulen große Auswahl. Die IGS als Schulform hat sich etabliert. Zu etabliert soll sie aber nicht werden, findet das Leitungsteam und will vor allem die Freiräume im Blick behalten, die Schule in Niedersachsen bietet.

Die IGS als 15-jähriger Teenie

Schließlich ändere sich auch die Welt: Massiver Einfluss von sozialen Medien und KI, viele Schüler mit Migrationserfahrung, die Nachwirkungen der Pandemie - mit all diesen Dingen müsse Schule umgehen.

In diesem Jahr sollen darum die Konzepte darauf geprüft werden, wo Ballast abgeworfen werden kann und wo der Kompass neu justiert werden muss. „Ich sehe unsere Schule als 15-jährigen Teenie, der sich jetzt orientiert und fragt: Wo geht es hin?“, sagt Moser-Kollenda.

Copyright © 2025 TAGEBLATT | Weiterverwendung und -verbreitung nur mit Genehmigung.

Weitere Artikel