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TDie verzweifelte Suche nach dem kleinen Arian endet mit einem Schock

Ballonfiguren wehen auf einem Feld bei Behrste, am Stab ist eine Wildkamera angebracht. Die Ballons sind wehendes Zeichen dafür, dass die Polizei viele Strategien ausprobierte, um Arian zu finden.

Ballonfiguren wehen auf einem Feld bei Behrste, am Stab ist eine Wildkamera angebracht. Die Ballons sind wehendes Zeichen dafür, dass die Polizei viele Strategien ausprobierte, um Arian zu finden. Foto: Klempow

Neun Wochen im Frühjahr, zwischen Hoffnung und tiefer Trauer. Die Suche nach Arian aus Elm hielt die Menschen in der Region in Atem. Die Frage, warum alles vergeblich war, bleibt.

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Von Grit Klempow
Samstag, 04.01.2025, 06:55 Uhr

Oldendorf-Himmelpforten. Diese Wochen haben die Region erschüttert. Arian verlässt am Abend des 22. April sein Elternhaus, nur bekleidet mit einem gelben Langarmshirt, einer dünnen Hose und Socken. Neun Wochen später wird er in Behrste tot aufgefunden.

In diesen Wochen der Suche und des Bangens sucht jeder seinen Garten ab, durchforstet Schuppen und Scheunen. Immer wieder. Von Elm bis nach Kranenburg und weiter die Oste hinauf. Alle hoffen, den Sechsjährigen zu finden - und sie fürchten ihn zu finden.

Polizisten durchkämmen im April auf der Suche nach Arian die Dörfer an der Oste.

Polizisten durchkämmen im April auf der Suche nach Arian die Dörfer an der Oste. Foto: Sina Schuldt/dpa

Hundertschaften der Polizei durchkämmen die Dörfer, verteilen Handzettel und suchen das Gespräch. Die Polizei lässt von Beginn an nichts unversucht, um sich auf ein besonderes Kind einzustellen: Nachts werden Lichtkegel in den Himmel geworfen, um den autistischen Jungen anzulocken. Bunte Luftballons wehen auf Feldern.

Elmer Kinder hofften und bangten - und schrieben ihre guten Wünsche für Arian auf Kleeblätter.

Elmer Kinder hofften und bangten - und schrieben ihre guten Wünsche für Arian auf Kleeblätter. Foto: Jonas Walzberg/dpa

Die Menschen folgen der Bitte der Eltern und hängen Spielzeug und Süßigkeiten an Zäune. Über Lautsprecher klingen die Stimmen der Mutter und seines Bruders durch die eiskalte Nacht. Soldaten unterstützen die Suche, „leise“ Suchstrategien in späteren Nächten oder ein Feuerwerk - alle Versuche sind vergebens.

An der Oste werden Fußspuren gefunden. Taucher suchen den Grund ab, auch mit Sonarbooten. Da ist die Angst, Arian könnte es zum Ufer gezogen haben. Er mochte Wasser so gern.

Nicht alle Hunde dürfen suchen

Schon in der ersten Nacht suchen die Einsatzkräfte mit Drohnen und Hunden nach Arian. Auch Mantrailer zieht es zum Fluss. Diese Hunde sind ausgebildet, der Geruchsspur einer bestimmten Person zu folgen. „In erster Linie wird dabei auf die Personenspürhunde der Polizeibehörden zurückgegriffen. Andere Spürhunde werden nur bei Bedarf und vorliegender Zertifizierung eingesetzt“, sagt Marvin Teschke. Er ist Sprecher der für den Fall Arian zuständigen Polizeiinspektion Rotenburg.

Einsatzkräfte des Deutschen Roten Kreuzes sind mit einem Suchhund in einem Waldstück im Einsatz.

Einsatzkräfte des Deutschen Roten Kreuzes sind mit einem Suchhund in einem Waldstück im Einsatz. Foto: Daniel Reinhardt/dpa

Diese anderen Spürhunde sind Mantrailer von ehrenamtlichen Rettungshundeführern. Um bei Vermisstensuchen unter Polizeileitung im Einsatz zu sein, müssen sie durch ihren Verband geprüft sein, aber auch erfolgreich beim zentralen Diensthundewesen der niedersächsischen Polizei gesichtet und damit zertifiziert werden.

Drohnen mit Wärmebildkameras

Diese Vorschrift soll sicherstellen, dass auf die ehrenamtlichen Mensch-Hunde-Teams wirklich Verlass ist - zu viel hängt im Ernstfall von ihnen ab. Auch Flächenhunde sind bei Elm im Einsatz. Sie sind darauf trainiert, in einem Suchgebiet jede hilflose Person aufzuspüren und ihren Hundeführer dorthin zu lotsen. Die Rettungshundestaffeln finden Arian nicht.

Die Polizei setzt auch Wärmebildkameras ein, per Hubschrauber oder Drohne. Die Freiwillige Feuerwehr Estorf lässt ihre Hightech-Drohne Stunde um Stunde fliegen - nichts. Später wertet die Polizei den Einsatz der Drohnen positiv und plant, möglichst jede Dienststelle künftig damit auszurüsten.

Menschenkette ist nach einer Woche die letzte Hoffnung

Mehr als 2000 Feuerwehrkräfte sind laut Teschke insgesamt über Tage und Nächte im Einsatz. Die bislang größte Personensuche mit einer Kette von 1200 Helfern auf einer Breite von eineinhalb Kilometern ist die letzte Hoffnung und fordert alle noch einmal bis an ihre Grenzen.

Hunderte Einsatzkräfte versammelten sich in der Sporthalle in Elm.

Hunderte Einsatzkräfte versammelten sich in der Sporthalle in Elm. Foto: Polizei

Am Tag darauf, am 29. April, bricht die Polizei die intensive Suche nach einer Woche ab. Hoffnungslosigkeit verdrängt den Optimismus. Ein Schritt, der merklich allen Verantwortlichen vor Ort zu schaffen macht. Sie sind gescheitert, obwohl sie alles gegeben haben. Aber der kleine Kerl im gelben Shirt - er geht den Menschen auch in den nächsten Wochen nicht aus dem Kopf.

Abstruse Berichte und Theorien

Nicht denen, die im Internet abstruse Theorien verbreiten - ohne Rücksicht auf eine Familie, die für Wochen im Ungewissen ist. Bemerkenswert faktenarm spekuliert die Bild-Zeitung über einen Jagdunfall, andere über einen Wolfsangriff.

Aber Arian geht auch den Helfern und jenen, die still und leise Anteil nehmen, nicht aus dem Sinn. Die Welle des Mitgefühls für die Familie ist greifbar. Und die große, ehrliche Hilfsbereitschaft der einzige Lichtblick, der aus dieser Zeit bleibt.

Einsatzkräfte der Feuerwehren aus der Samtgemeinde Oldendorf-Himmelpforten werden bei der Personensuche von Feuerwehreinheiten mit Luftkissen-Booten auf der Oste unterstützt.

Einsatzkräfte der Feuerwehren aus der Samtgemeinde Oldendorf-Himmelpforten werden bei der Personensuche von Feuerwehreinheiten mit Luftkissen-Booten auf der Oste unterstützt. Foto: Hillyer-Funke/Feuerwehr

Die Familie beauftragt nach Einstellung der offiziellen Suche noch ein Suchhunde-Team. Ohne Ergebnis. Die Polizei kehrt im Mai auf die Oste zurück. An Bord der Boote sind nun Leichenspürhunde. Auch die Oste gibt Rätsel auf: Wo wäre der Junge im Falle eines Unfalls? Wohin haben ihn die Gezeiten getragen? Kaum einer kann ein solches Szenario berechnen.

Ein Polizeihubschrauber sucht die Oste nach Arian ab.

Ein Polizeihubschrauber sucht die Oste nach Arian ab. Foto: JOTO

Hilflos trotz aller Suchmittel

Das idyllische Bild der vertrauten Landschaft bekommt Risse. Wie kann es sein, dass der Junge spurlos verschwindet? Dass etwas so Furchtbares passiert? Dass kein noch so großer Suchtrupp, keine Technik daran etwas ändern kann? „Wir haben doch alles abgesucht, mehrfach“, sagt ein Ortsbrandmeister ratlos. „Wir wussten doch, worum es geht und haben alles gegeben“, sagt ein anderer. „Warum haben wir ihn nicht gefunden?“

Eine teilweise abgemähte Wiese. Hier wurde Arian im Juni tot aufgefunden.

Eine teilweise abgemähte Wiese. Hier wurde Arian im Juni tot aufgefunden. Foto: Sina Schuldt/dpa

Eine Frage, auf die es keine Antwort geben wird. Es ist für viele ein Schock, als Arian nach neun Wochen am 24. Juni am Rande einer mit Binsen bewachsenen Senke im hohen Gras gefunden wird. Mehrfach wurde auch dieser Bereich abgesucht, sagt die Polizei. Sie teilt später mit, dass ein Verbrechen ausgeschlossen werden kann. Mehr wird mit Rücksicht auf die Persönlichkeitsrechte des Jungen und seiner Familie nicht laut.

Die Polizei kehrte im Mai mit Spürhunden auf die Oste zurück und suchte noch einmal mit Sonarbooten und per Hubschrauber nach Arian.

Die Polizei kehrte im Mai mit Spürhunden auf die Oste zurück und suchte noch einmal mit Sonarbooten und per Hubschrauber nach Arian. Foto: Sina Schuldt/dpa

Warum haben wir ihn nicht gefunden? Was bedeutet das für künftige Suchen nach Vermissten? Antworten auf diese Fragen kann es nicht geben. Alle haben im Einsatz ihr Bestes gegeben. Dass es nicht gereicht hat, ist die einzige, die traurige Gewissheit.

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