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Schicksalsgeschichte

TDrogen von Clan geklaut: Mann versteckt sich aus Angst jahrelang im Wald

Nach einem Drogendiebstahl lebte ein Mann mehrere Jahre in den Wäldern im Landkreis Cuxhaven.

Nach einem Drogendiebstahl lebte ein Mann mehrere Jahre in den Wäldern im Landkreis Cuxhaven. Foto: Pexels/Pixabay

Ein Familien-Clan bedrohte den 51-Jährigen nach einem Drogendiebstahl. Aus Angst versteckte er sich sieben Jahre lang in den Wäldern im Kreis Cuxhaven. Dann erleidet der Mann einen Schlaganfall.

Von Ann-Kathrin Brocks Montag, 23.12.2024, 05:50 Uhr

Landkreis Cuxhaven. Harte Drogen hat Hartmut M. (Name von der Redaktion geändert) nie genommen. Trotzdem haben sie sein Leben zerstört. Vor mehreren Jahren beging der heute 51-Jährige, der damals in einer deutschen Großstadt lebte, einen fatalen Fehler: In einem Moment der Verzweiflung stahl er einem berüchtigten Familien-Clan eine große Menge Drogen. Die Folgen waren verheerend.

„Ich musste untertauchen – der Clan wollte mich finden“

„Ich hatte mehrere Freunde, die an Drogen gestorben sind. Ich wollte die Drogen eigentlich nur vernichten“, sagt der 51-Jährige. Der Diebstahl sei „erstaunlich einfach“ gewesen, doch die Konsequenzen seien ihm nicht bewusst gewesen. „Ich war einfach naiv.“

Der Clan bemerkte den Diebstahl schnell, bedrohte ihn und verwüstete mehrfach seine Wohnung. „Irgendwann wurde mir klar, dass ich schnell und unauffindbar verschwinden muss“, sagt der 51-Jährige.

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Obdachlos im Landkreis Cuxhaven: Angst und Isolation

Von einem Tag auf den anderen ließ Hartmut M. alles hinter sich – Freunde, Familie, Zuhause. Anfangs reiste er durch Deutschland und Frankreich, bevor er im Landkreis Cuxhaven landete. Dort lebte er sieben Jahre lang als Obdachloser in einem Zelt – verborgen in der freien Natur.

„Die ersten Monate waren die härtesten“, sagt Hartmut M. Dabei denkt er weniger an Wind und Wetter als an die ständige Angst: „Ich dachte immer: Heute finden sie mich.“ Aus Angst vor Entdeckung brach er jeglichen Kontakt ab. Er meldete sich nicht bei Familie oder Freunden, nicht bei Ämtern, nicht bei Ärzten. Keiner wusste, wo er war. „Ich habe mich selbst isoliert.“

Überleben im Wald: Gelegenheitsjobs und Hunger

Hartmut M. zog von Ort zu Ort, immer auf der Suche nach einsamen Plätzen. Geld verdiente der ehemalige Hausmeister durch Gelegenheitsjobs. „Ich habe einfach gefragt, ob jemand Hilfe braucht. Und weil ich geschickt war, hat das oft geklappt. Wenn ich einen Job erledigt hatte, bin ich erst mal wieder verschwunden.“ Keiner wusste, wo er lebte, und niemand sollte es je erfahren. Zwei-, dreimal habe er Lebensmittel gestohlen – aus schierer Not. „Das tut mir bis heute leid“, sagt er.

Bücher statt Alkohol: Die ungewöhnliche Routine eines Obdachlosen

Nach einer Weile habe er sich mit seiner Situation abgefunden. An das karge Leben habe er sich bald gewöhnt. „Ich war eigentlich gar nicht so unglücklich...“, erzählt er. Seine Tage verbrachte er oft lesend. „Es gibt ja im Landkreis Cuxhaven zum Glück offene Bücherschränke.“ Er brachte jedes Buch zurück: „Literatur ist schwer zu tragen.“

Eine Sache habe sich durch die Flucht verändert: „Ich war früher mal ganz gerne in Kneipen. Aber in den vergangenen Jahren habe ich keinen Tropfen Alkohol mehr angerührt.“ Die Isolation habe ihn jedoch auch geprägt: „Der Verlust menschlicher Nähe war das Schlimmste.“

Schicksalsschlag: Schlaganfall bringt die Wende

Nach sieben Jahren im Wald zwang ein Schlaganfall Hartmut, Hilfe zu suchen. „Ich konnte plötzlich nicht mehr richtig laufen, war völlig orientierungslos“, sagt Hartmut M., der bis heute gesundheitliche Probleme hat. Eine soziale Einrichtung nahm ihn auf, half ihm beim Neustart.

Heute lebt Hartmut in einer kleinen Wohnung, noch immer sehr zurückgezogen. „Der Gang zu den Behörden hat mich große Überwindung gekostet.“ Weil der Kontakt mit den Behörden sich zudem anfangs nicht einfach gestaltete, gab es von „Hilfe für Mitbürger“ für den Neustart und die ersten Anschaffungen einen Zuschuss.

Zwischen Angst und Hoffnung: Ein Leben nach dem Clan

Die Jahre im Zelt haben Hartmut geprägt: „Ich habe gelernt, was es bedeutet, alles zu verlieren und wieder von vorn zu beginnen.“ Besonders schwer sei der Verlust der Familie gewesen. „Ich habe früher mehrfach in der Woche mit meinen Eltern und Geschwistern telefoniert. Jetzt weiß ich nicht mal, ob sie noch leben. Aber der Kontaktabbruch war nötig – ich wollte sie schützen.“

Trotz allem blickt er vorsichtig optimistisch in die Zukunft: „Ich hoffe, dass ich wieder fitter werde und etwas Sinnvolles tun kann.“ Doch die Angst bleibt. Der Clan könnte immer noch nach ihm suchen. „Aber vielleicht denken sie, dass ich längst draufgegangen bin.“

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