T„Du bist dumm, Junge“: Christian Redl spricht offen über turbulentes Schauspieler-Leben

Christian Redl spielt unter anderem den „Spreewald-Kommissar Thorsten Krüger“ Foto: Dammer
Manche Schauspieler verlieren sich in ihren Rollen und finden kaum zurück in die Realität, wenn die Scheinwerfer erlöschen oder die Kamera stoppt. Christian Redl ist anders. Er haucht seinen Figuren Leben ein, ohne dabei seine eigene Identität zu verlieren.
Mit 75 Jahren hat Christian Redl nun seine Autobiografie veröffentlicht. Das TAGEBLATT hatte das Vergnügen, den „Spreewald-Kommissar Thorsten Krüger“ vor seiner Lesung in der Seminarturnhalle zu treffen. Das Gespräch sorgte auf beiden Seiten für Überraschungen.
Auf dem roten Samtsofa in der Seminarturnhalle sitzt Christian Redl. Auch hier zeigt er seine beeindruckende Fähigkeit, Charaktere zum Leben zu erwecken - dieses Mal seinen eigenen. „Es war so eng in der S-Bahn“, entschuldigt er sich. Nein, Redl entschuldigt sich nicht mehr. Das hätte er als junger Mann getan, als Mensch ohne Selbstwertgefühl, weil sein Vater ihm dieses mit einem Satz genommen hatte: „Du bist dumm, Junge, sieh zu, dass es keiner merkt.“
Dieser Satz war für Redl ein Todesstreich und zugleich eine Lebensaufgabe. Er hämmert bis heute in seinem Kopf und bringt den gestandenen Mann ins Grübeln. Vor allem, wenn etwas nicht klappt. Kann man mit solch einem Rat nur Schauspieler werden, eine Maske tragen, Leben vorspielen? Redl überlegt. „Nein, ich habe lange nicht gewusst, was ich wirklich machen will.“
Belastende Kindheit: Vater depressiv, Mutter verhuscht
Die Schauspielerei hatte er als Beruf lange nicht im Auge. Vielleicht, wenn er mutiger gewesen wäre, dann aus Rebellion gegen seine Eltern, die in Schauspielern dubiose Zeitgenossen sahen, die sich mit ihrem Tingeltangel eh den Lebensunterhalt nicht verdienen können. Aber er war kein Rebell. Er wuchs in einem Klima auf, das immer „belastet, dunkel und bleiern“ (Redl) war mit einem kriegstraumatisierten, schwer depressiven Vater und einer „verhuschten Mutter, die lieber über außereheliche Eskapaden ihres Mannes hinwegsah, als darüber zu sprechen“.
„Muck bloß nicht auf“, war ein Standardsatz in seiner Familie. „Mach dich nicht bemerkbar.“ Daraus hat er sich befreien können. Das erste Mal mit 16 Jahren. Als Schauspieler wurde er seit seinem ersten Laientheaterauftritt als Prinz von Homburg im gleichnamigen Kleist-Stück und später als Hammermörder oder kantiger Kommissar Krüger wahrgenommen. Nicht nur von seinen Eltern.
Und schon ist Redl mitten im Gespräch. Von seinem Gegenüber erwartet er Fragen zur Autobiografie, die ihm seit der Veröffentlichung 1000 Mal gestellt wurden. Und er staunt, weil er andere gestellt bekommt. Fragen, die ihn noch mal in den Entstehungsprozess seines Buches und zu sich selbst führen.
Wie er seinen Lebensweg gegangen ist, sagt ohne Umschweife der Buchtitel: „Das Leben hat kein Geländer“. Der Titel impliziert Fallen, Abstürze, aber auch Stärke, Halt in sich selbst zu finden. „Ich habe oft ins Leere gegriffen, wenn ich Halt suchte“, bestätigt Redl.
Schlüsselloch in turbulentes Schauspielerleben
Alkoholeskapaden, Frauengeschichten, Erinnerungen aus dem Backstage des Schauspielmetiers und Anekdoten über berühmte Kolleginnen und Kollegen - wo Leser gern mal durchs Schlüsselloch schauen - davon ist in seiner Autobiografie eine Menge zu finden. In einer metaphernreichen Sprache, die zu Lesen und zu Hören Spaß bereitet und die Geschichten in den Köpfen der Zuhörer und Leser lebendig werden lässt. Aber das sind nicht die Schlüsselgeschichten, die den Mimen ausmachen. Sie sind eher das Dessert eines Prozesses, den Redl beim Schreiben durchgemacht hat.
Zum Glück, sagt er, habe er das Buch allein, ohne einen Ghostwriter geschrieben. Und eigentlich war es ein Geschenk für seine Frau, mit der er seit 14 Jahren glücklich verheiratet ist. „Ja“, sagt Christian Redl später auch seinem Publikum, „Man kann auch mit über 60 noch richtig glücklich werden.“ Nun hat er sich auch mit seinem Leben und vor allem mit seinen verstorbenen Eltern versöhnt und sieht auch deren Situation aus einer anderen Sicht.
Das Schreiben befreit den Schauspieler
Der Schreibprozess war für ihn eine Befreiung. „Eine Katharsis“, bestätigt Redl. Er stieß auf Geschichten, die er vergessen glaubte und deren Bedeutung für sein Leben er im Nachhinein erkennt. Auf die Frage, wen er in einem Film über sein Leben als Hauptdarsteller sehen würde, winkt der Mime ab: „Wer soll mich spielen? Ich bin ich.“
In der Lesung später am Abend, moderiert von Peter Kühn, dem künstlerischen Leiter der Seminarturnhalle und Redls ehemaliger Kollege im Hamburger Schauspielhaus, bringt der Mann mit dem strengen Gesicht das Publikum mit seinen Erinnerungen zum Staunen, Nachdenken und zum Lachen.