TEin Staat geht zugrunde: Die letzten Tage der Hornissen-Königin

Arbeiterinnen sammeln Nahrung für den nachwachsenden Staat. Foto: Schaffhäuser
Dass Hornissen mit sieben Stichen ein Pferd töten ist Unsinn. Jagd machen sie auf kleinere Insekten. Fast ein halbes Kilo erbeuten die Arbeiterinnen jeden Tag.
Landkreis. Hornissen sind gutmütige Brummer. Sie stechen nur dann, wenn sie gereizt werden. Menschen sind für sie meistens völlig uninteressant. In Spätsommer und Herbst erreicht der Hornissenstaat seine größte Zahl an Arbeiterinnen. Meistens sind es einige Hundert Tiere, die den Staat bilden. Auch jetzt sind sie an Sonnentagen noch zu sehen. Doch bald bricht der Staat allmählich zusammen.
Die alte Hornissenkönigin hat das ganze Jahr hindurch viele Eier gelegt, ab August aber wird sie altersschwach und legt deutlich weniger Eier. Dadurch ist sie nicht mehr der Mittelpunkt für ihre Arbeiterinnen, sie wird nicht mehr so intensiv umhegt und gepflegt. Sie ist angeschlagen und kann weniger Hormone produzieren, die den Staat zusammenhalten. Ihr Einfluss schwindet. Es wurde sogar beobachtet, dass sie von Arbeiterinnen gestochen wird. Bald erleidet sie den Schwächetod.
Außerhalb des Nestes wird es kälter und die Sonne scheint weniger. Deshalb können die Arbeiterinnen nicht mehr so viel Nahrung für die Larven heranschaffen. Hornissen versorgen die Larven und die Königin mit etwa 90 Prozent Insektenfleisch. Fast ein halbes Kilo Insekten am Tag benötigt ein Staat. Die Arbeiterinnen machen auch im Herbst weiterhin Jagd auf Fliegen und Wespen, erbeuten gelegentlich auch Honigbienen. Doch die tagsüber herbeigeschaffte Insektenmenge nimmt von Tag zu Tag ab. Als Ausgleich könnten die Hornissen jetzt nachts intensiver jagen, denn Hornissenarbeiterinnen schlafen nicht, fliegen auch im Dunkeln. Doch die Herbstnächte sind reich an Nebel und kühl, die Nachtflüge bleiben aus.
Wenn es kühler wird, leiden die Larven
Die Folge: Die Larven leiden an Hunger und sterben. Oft werden kranke und unterernährte Larven aus den Waben gezerrt und aus dem Nest herausgeworfen. Weil das Füttern im Nest deutlich abnimmt, suchen die Arbeiterinnen für ihre eigene Ernährung nach zuckerreichem Obst und nektarhaltigen Blüten. Sie sorgen für ihr eigenes Überleben. Sie fliegen etwas ziellos umher und weniger zum Nest, verlieren dabei den typischen Nestgeruch. Dadurch mindert sich zusätzlich der Zusammenhalt des Hornissenstaates. Kurzum: Nahrungsflüge sind weniger ertragreich, der Staat vermehrt sich nicht, das Ende ist gekommen.
Aber es gibt Hoffnung für ein Weiterleben im nächsten Jahr. Im Hornissenstaat sind aus den mit Eiweiß gut gefütterten, großen Larven im August neue Königinnen entstanden. Aus den unbefruchteten Eiern haben sich Männchen entwickelt. Die neuen Königinnen paaren sich im Herbst mit den Männchen, die nach der Paarung sterben. In das alte Nest kehren die neuen Königinnen nicht zurück. Sie müssen für das nächste Jahr Kraft tanken und suchen nach nektarreichen Pflanzen. Den Zucker von Efeublüten mögen sie besonders gern. Nun müssen die Königinnen gesund durch den Winter kommen, um im Frühjahr einen neuen Staat gründen zu können, was ihnen wegen des Insektensterbens immer schwerer fällt. Seit 1955 hat der Hornissenbestand um etwa die Hälfte abgenommen.
Eine Serie über Besonderheiten der Natur
Was kreucht und fleucht denn da in der Region? Wolfgang Kurtze, Vorsitzender der Lions-Naturschutz-Stiftung, schreibt über Phänomene und Kuriositäten in der Natur. Das TAGEBLATT veröffentlicht die Artikel des promovierten Biologen in loser Reihenfolge. Die erfolgreiche TAGEBLATT-Serie „Phänomene der Natur“ rückt kurzweilig Wissenswertes aus der Natur in den Mittelpunkt. Jetzt ist der zweite Band von Wolfgang Kurtze im Buchhandel erhältlich. Herausgeber ist die Lions Stiftung Stade zur Förderung des Natur- und Umweltschutzes. Erhältlich ist das reich illustrierte und in Jahreszeiten gegliederte Werk im Buchhandel für 19,90 Euro.