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Hamburg-Interview

TEntertainer Jörg Knör: „Fernsehen ist eine Hure“

Jörg Knör bei seinem Stamm-Italiener „Gallo Nero“ in Hamburg.

Jörg Knör bei seinem Stamm-Italiener „Gallo Nero“ in Hamburg. Foto: Dat Kempke

Jörg Knör ist Entertainer alter Schule, begnadeter Parodist und leidenschaftlicher Zeichner. Es sind geschäftige Tage für den Wahl-Hamburger, der gerade mit seinem kabarettistischen „Jahresrückblick“ durch Deutschland tourt.

Von Markus Lorenz Dienstag, 02.01.2024, 05:50 Uhr

Hamburg. Herr Knör, wie war Ihr Jahr 2023?

Es war ein Jahr voller Erkenntnisse und voller Bewusstsein. Ich habe weniger Auftritte gehabt, aber mehr Zeit, um über mich und meine Pläne nachzudenken. Und auch mehr Zeit, mich mit meinem Alter auseinanderzusetzen.

Sie sind 64 Jahre alt. Wie geht es Ihnen damit?

Ich fühle mich auf dem Höhepunkt meiner ersten Alterspubertät. Und ich habe beschlossen, das zu genießen.

Wie das?

Meine größte Angst im Leben ist - außer Tod und Krankheit - Stillstand. Ich hasse es, immer das Gleiche zu machen. Deshalb war es gut, Zeit zu haben, um über die Frage nachzudenken: „Was willst Du eigentlich noch?“

Und: Was wollen Sie noch?

Ich glaube, dass es nicht gut ist, das Älterwerden einfach auf sich zukommen zu lassen. Du musst Pläne machen, damit du noch am Lenkrad bleibst, auch wenn du 70 bist.

Das klingt ein bisschen nach einem beginnenden Abschied von der Bühne…?

Nein, ich werde mich noch nicht von der Bühne verabschieden. Ich möchte aber nicht mehr jedes Rennen fahren mit diesem Erfolgsdruck. Sondern lieber mehrmals im Jahr mit weniger Geschwindigkeit die Landschaft genießen. Ich bin kein vom Ehrgeiz Getriebener mehr. Ich denke nicht mehr über Karriere nach. Es geht mir um Qualität.

Was bedeutet das für Ihre Bühnenshows?

Ich bin dankbar dafür, dass ich Bühne und Applaus nicht anbete wie ein goldenes Kalb. Ich möchte für mich die Filetstückchen haben und nur noch an den guten Häusern spielen.

Was machen Sie mit der gewonnenen Zeit?

Ich werde vor allem zeichnen. Es ist das größte Glück dieses Jahres, dass ich die Wahl habe: Mache ich an einem Tag Bilder, oder gehe ich auf die Bühne?

Die Zeiten sind allgemein sehr trübe. Ist das gut für Entertainer wie Sie, die das Zeitgeschehen mit Humor begleiten?

Das habe ich auch gedacht. Aber nach Covid haben die Leute gar nicht unbedingt die Sehnsucht, sich mal wieder von echten Menschen auf der Bühne unterhalten zu lassen, statt nur von Netflix. Ich spüre, dass ich auf der Bühne mehr Mühe habe, dieses unschuldige, spontane Gefühl des Lachens wieder auszulösen.

Woran liegt das?

Die Menschen sind verschreckt. Diese Zeit belastet sie sehr. Dabei brauchen wir gerade jetzt Humor, Unterhaltung, leichte Muse und das Lachen mehr denn je.

Sie touren gerade mit Ihrem „Jahresrückblick“ durch Deutschland. Wie versuchen Sie, die Menschen aus dem Loch zu holen?

Der Opening-Song ist „Highway to Hell“. Das heißt auch: Vielleicht finden wir 2024 ja Möglichkeiten, von diesem Highway in die Hölle noch abzubiegen. Ich kann auf der Bühne die Probleme zwar nicht lösen. Aber ich kann den Zuschauern zeigen: Seht her, mit dieser Haltung kann ich mit dem ganzen Scheiß umgehen. Ich wende den Blick auf die vielen Dinge, bei denen wir uns doch sagen können: Uns geht‘s ja eigentlich gut.

Bekannt sind Sie vor allem für Ihre Parodien bekannter Persönlichkeiten. Wie viele haben Sie im Repertoire?

Etwa 70. Im „Jahresrückblick“ lasse ich davon 20 zu Wort kommen - zum Beispiel Til Schweiger, Gerhard Schröder, Roberto Blanco, Udo Lindenberg, Helmut Schmidt, Julio Iglesias, Karel Gott, König Charles, Otto Waalkes, Karl Lagerfeld und viele mehr.

Wen parodieren Sie am liebsten?

Am wohlsten fühle ich mich eigentlich mit meinem Gesang, also etwa mit Charles Aznavour. Ansonsten mache ich aber auch die ganz Großen sehr gern, wie Helmut Schmidt natürlich, der bei mir ein bisschen Inge Meysel ersetzt hat (lacht).

Wer ist besonders schwer zu parodieren?

Olaf Scholz. Der ist echt schwierig, weil er so gar nichts Charakteristisches hat. Seine Betonungslinie entspricht ja der Kurve eines Koma-Patienten.

Wen mag das Publikum am meisten?

Ach, das sind viele. Im „Jahresrückblick“ gibt es einen heiligen Moment, wenn ich Loriot zu seinem 100. Geburtstag ankündige. Dann staunen die Leute und sagen: „Ist ja geil, der Typ hat mit Loriot zusammengearbeitet.“ Ich mache in der Show „Wum“ und „Wendelin“, die ich sieben Jahre lang im „Großen Preis“ gesprochen habe. Gerade im Norden kommt auch Heinz Erhardt immer gut an, dieser nette, dicke Mann. (Knör beginnt zu näseln wie Erhardt und sagt mit dessen Stimme: „Mit dieser, ha, dieser etwas tollpatschigen Art.“) Heinz Erhardt kriegt von mir immer die Themen, von denen ich denke: Oha, das ist ein Ritt auf der Rasierklinge. Migration oder Islamisierung, zum Beispiel.

Wie reagiert das Publikum bei solchen Reizthemen?

Es wird immer schlimmer. Das Differenzieren ist ausgestorben. Die Menschen wollen alles als Fast Food haben. Man muss sich immer entscheiden: Wer sind die Guten, wer die Schlechten? Bist Du für Palästina oder für Israel? Aber so einfach ist die Welt nicht. Im Übrigen verstecke ich mich nie hinter meinen Figuren. Ich bin in jeder Parodie zu erkennen, meine Haltung, meine Vorlieben, meine Gefühle. Das unterscheidet den Parodisten vom Imitator.

Von wem haben Sie beruflich am meisten gelernt?

Ganz ehrlich: von mir selber. Ich kann ganz schlecht die Sachen von anderen präsentieren. Ich mache mir meinen Maßanzug in Gestalt von Liedern und Texten ja immer selber. Applaus und Lacher gelten dann meiner Kreativität und meiner Idee. Das ist eine Freude und eine Gnade. Was aber die Grammatik der Unterhaltung angeht, also die Grundlagen, da habe ich wohl von Rudi Carrell am meisten gelernt. Viele seiner Tipps habe ich zunächst gar nicht verstanden, in der Praxis haben die sich dann alle als Wahrheit erwiesen.

Sind Sie traurig, dass es mit der ganz großen TV-Karriere - in der Kategorie eben eines Rudi Carrell, Thomas Gottschalk oder Hans-Joachim Kulenkampff - für Sie nicht geklappt hat?

Darüber war ich oft sehr traurig. Ich hätte Nachfolger von Dieter-Thomas Heck bei der ZDF-Hitparade werden können, aber das wollte ich nicht. Ich sollte Nachfolger von Wim Thoelke beim „Großen Preis“ werden, aber da wurde mir übel mitgespielt. Meine Eitelkeit hat lange extrem unter dem Gefühl gelitten: Du kannst doch so viel, die müssten dir im Fernsehen die Türen öffnen. Dieses Beleidigtsein habe ich über Jahrzehnte ausgestrahlt. Heute sehe ich das völlig anders.

Inwiefern?

Vielleicht ist mir viel Schlimmes erspart geblieben. Mit einer großen Karriere ist auch viel Unfreiheit verbunden. Ich bin im Grunde ein sehr schüchterner Mensch, der den roten Teppich nicht mag. Ein zufriedenes Leben zu haben, einen Freundeskreis, der einem bis zum Lebensende bleibt, ist wesentlich wichtiger als seine Kräfte und vielleicht die Liebe zum Beruf, dem Fernsehen zu opfern. Ich bin zweimal geschieden und war zweimal fast pleite. Dennoch geht es mir auch ohne die ganz große TV-Karriere heute sehr gut. Dafür bin ich sehr, sehr dankbar.

Was stört Sie am heutigen Fernsehen?

Fernsehen ist, im Gegensatz zu früher, bedeutungslos geworden. Es macht die Künstlerseele nicht satt. Das sagen sogar diejenigen, die gerade im Fernsehen richtig gut zu tun haben. Die Bühne ist eine Geliebte, das Fernsehen ist eine Hure. Denn Fernsehen gibt dir keine Liebe. Es ist nur ein nüchternes Geschäft, in dem Leute dir sagen, was du zu tun hast.

Und dennoch waren Sie 2022 Kandidat bei der TV-Trash-Show „Promi Big Brother“. Warum?

Es war gut bezahlt. Und ich wollte mit über 60 auch noch mal etwas machen, was für andere nicht unbedingt einen Sinn ergibt. Ich wusste, es gibt noch Dinge in meiner Persönlichkeit, an denen ich arbeiten muss. Insofern wollte ich mich in der Sendung noch mal kennenlernen. Und das hat in gewisser Weise auch geklappt. Meiner Karriere hat der Auftritt bei „Promi Big Brother“ aber weder geschadet noch genutzt.

Sie leben seit zwölf Jahren in Hamburg. Haben die Menschen hier einen typischen Humor?

Ja, und den mag ich sehr. Es gibt in Hamburg eine spürbare Art von Intellektualität. Der Hamburger ist etwas mehr mit der Welt verbunden als andere. Hamburg ist eben nicht Provinz. Wenn die Hamburger lachen, weiß ich, ich habe sie. Der Hamburger macht nichts nur aus Höflichkeit.

Wie wird 2024 für Sie?

Meine Frau und ich wollen mehr Urlaub machen und mehr Zeit füreinander finden. Einfach ein bisschen mehr Gipsy sein. Es wird ein Reisejahr und ein Jahr, das überwiegend uns gehört. 2024 gilt das Motto: The Knörs first.

Zur Person

Jörg Knör, 1959 in Wuppertal geboren, drängte es früh ins Rampenlicht: Mit 15 war er jüngster Kandidat in Rudi Carrells TV-Show „Am laufenden Band“, mit 17 Jahren Fernsehansager im WDR, 1990 folgte die eigene „Jörg Knör Show“ im ZDF. Sieben Jahre lang gab der begeisternde Parodist Loriots „Wum“ und Wendelin“ in „Der große Preis“ (ZDF) eine Stimme. Der „Bambi“-Preisträger steht seit 1987 mit Soloprogrammen auf der Bühne, zu denen er Musik und Texte aus eigener Feder beisteuert. Knör treibt gern Sport („aber in Maßen“) und hat drei Kinder (17 bis 29 Jahre) aus zwei Ehen. Mit seiner dritten Ehefrau lebt er in Hamburg-Winterhude.

Bitte ergänzen Sie...

Wenn mir mal nichts einfällt… dann weiß ich, dass es keinen Tag dauert, bis die nächste Idee kommt.

Was ich immer noch mal machen will, ist… Klavier und Französisch lernen und ein eigenes Gesangsalbum machen.

Ich könnte nicht verzichten auf… meine Frau.

Kaputt lachen kann ich mich über… Versprecher, Trotteligkeit und Markus Krebs.

Gendern finde ich… unnötig.

Diesen Rat gebe ich meinen Kindern… vertraut eurem Bauchgefühl mehr als eurem Kopf.

An dieser Schwäche arbeite ich noch… dem Diktat des Handys.

Meine Frau mag an mir besonders… meine Großzügigkeit.

Meine Frau mag an mir gar nicht… meine Hypochondrie.

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