Zähl Pixel
Fußball

TEr schoss St. Paulis letztes Bundesliga-Tor am Millerntor

Marcel Eger in Sinsheim. Er hat bis heute eine Dauerkarte auf der Gegengeraden des Millerntor-Stadions.

Marcel Eger in Sinsheim. Er hat bis heute eine Dauerkarte auf der Gegengeraden des Millerntor-Stadions. Foto: privat

Marcel Eger erzielte 2011 das bislang letzte Heimtor in der Bundesliga für den FC St. Pauli – ausgerechnet beim 1:8 gegen den FC Bayern München. Bittersüße Erinnerungen.

Von Luis Vieira Heine Samstag, 09.11.2024, 05:50 Uhr

Hamburg. Tageblatt: Marcel Eger, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie an den 7. Mai 2011 denken?

Marcel Eger: Ziemlich viel (lacht). Es gibt da mehrere Zusammenhänge: Das Ganze war im Zeichen der Frage, ob es mein letztes Spiel nach sieben Jahren am Millerntor sein würde. Dass ich spiele, war relativ klar, weil zu der Zeit einige verletzt waren. Dann kommt dazu, dass ich lange in der Jugend beim 1. FC Nürnberg gespielt habe. Hier bei uns in Franken, wo ich jetzt wieder zu Hause bin, da ist man entweder Klubberer oder Bayern-Fan. Es war schon ziemlich speziell, ich wusste, dass mein Vater im Stadion ist und viele Freunde, mein Trauzeuge und so weiter.

Vier Tage später wurde Ihnen mitgeteilt, dass es nach sieben Jahren am Millerntor nicht weitergeht.
Es ist damals unglücklich gelaufen. Ich dachte eigentlich, als mich Helmut Schulte (damaliger Sportdirektor, d. Red.) in der Woche vor dem Bayern-Spiel in sein Büro zitiert hat, dass er mir sagt, dass es nicht weitergeht – was für mich okay gewesen wäre. Aber er meinte, er könne es mir noch nicht sagen, und dann zog sich das. Es wäre einfach cooler gewesen, wenn da Klarheit geherrscht hätte. Somit war das ein bisschen komisch. Man sieht es an meinem Jubel nach dem Tor damals, ich habe innerlich gedacht: Hä, was ist denn das jetzt für eine komische Geschichte? Es war einerseits witzig, aber irgendwie bittersüß. Der Verein und auch die Fans nehmen sich ja oftmals nicht zu ernst. Deswegen wurde das Ehrentor ein bisschen gefeiert, auch wenn mit dem Spiel der Abstieg besiegelt war und so eine Klatsche für Stani (Holger Stanislawski, Ex-Trainer, ging nach Hoffenheim, d. Red.) in seinem letzten Heimspiel nicht cool war.

Anschließend gingen Sie für ein Jahr nach England zu Brentford. Hat sich da ein fußballerischer Traum erfüllt?

Das war schon gut. Aber es war auch das Jahr, wo ich gemerkt habe, dass das noch mal eine ganz andere Art ist, Fußball zu leben und zu spielen. Da geht es halt wirklich nur um Fußball. Das war mir einfach zu einseitig und hat mir die Entscheidung leicht gemacht, zu sagen: Okay, dann höre ich halt auf, mit 29. Nicht falsch verstehen: Ich liebe den Fußball, es ist ein toller Sport. Ich sehe das an meiner zweijährigen Tochter, die einfach instinktiv auf den Ball tritt – und der rollt halt und macht was (lacht). Aber der Beruf Fußballer, das ist halt schon was anderes. Das war bei St. Pauli super – aber danach hat es auch gereicht.

Ich entnehme, dass Sie trotz der gestiegenen Gehälter und der noch höheren Aufmerksamkeit nicht lieber heute Profi wären?

Auf gar keinen Fall! Ich bin froh, dass ich wirklich zu der Zeit gespielt habe, wo es noch kein Social Media gab und wir auch mal auf dem Hamburger Berg ein Bierchen trinken konnten. Mit Fans, die uns zwar erkannt haben, aber das war dann meistens lustig. Da gab es dann eher den Fall, dass man einen ausgeben musste (lacht). Zum Finanziellen: Nach der Jugend habe ich mir vorgenommen, mir mit dem Fußball mein Studium zu finanzieren. Nicht, dass ich eins gemacht hätte (lacht). Der Plan war, in der vierten oder dritten Liga ein bisschen Taschengeld zu verdienen. Mit 21 Jahren war der Schritt zu St. Pauli genau der richtige. Dass es so überragend werden würde, das konnte ich vorher nicht wissen.

Sie galten schon zu Ihrer Zeit als ein Profi, der über den Tellerrand hinausguckt, sich auch mit Themen abseits des Platzes beschäftigt hat. Solche Profis, wie zum Beispiel St. Paulis Kapitän Jackson Irvine, gibt es immer weniger.

Ich kann mir vorstellen, dass es heutzutage schwieriger geworden ist, die Spieler sind noch mehr im Fokus. Für die Themen, für die Jackson Irvine sich einsetzt, kann ich ihm nur den Daumen hoch geben. Fußballer sind Vorbilder. Wenn ich andere dagegen sehe, denke ich mir manchmal: Oh Mann. Mein Neffe, der findet zum Beispiel Mbappé gut. Der ist zwar ein guter Fußballer, aber der ist doch ein Vollassi. Das ist schon bedenklich manchmal, obwohl Fußball so ein wunderbarer Sport ist.

Was hat Sie die Zeit im Profi-Fußball für die Zeit nach der Karriere gelehrt?

Vor allem, sich als Mannschaftsspieler zurückzunehmen und einzuordnen, nicht nur für sich selber verantwortlich zu sein, sondern für ein Team: Da hängt halt mehr dran. Ich habe zum Schluss auch nicht mehr so viel gespielt, gerade in der Aufstiegssaison 2009/2010 zur ersten Liga: Die, die gespielt haben, waren halt gut und erfolgreich. Da war es für mich total unlogisch, jemandem die Seuche an den Fuß zu wünschen, nur damit ich die Möglichkeit bekomme und für mein Ego auf dem Platz zu stehen.

Wie ist Ihr Kontakt zum FC St. Pauli heute?

Oke (Göttlich, St.-Pauli-Präsident, d. Red.), den ich noch von früher aus der Musikszene kenne, hat mich nett gefragt, ob ich in Hamburg bin und ins Stadion komme. Er hatte vielleicht die Hoffnung, dass ich ein Glücksbringer sein könnte (lacht), aber leider schaffe ich es nicht aufgrund familiärer Pläne. Letzten Samstag war ich mit meinem Schwiegervater in Sinsheim im Stadion. Das hat zwar keinen Charme, ist aber praktisch zu erreichen, direkt an der Autobahn (lacht).

Warum wird es für St. Pauli dieses Jahr in der Bundesliga anders laufen als 2011?

Ich glaube, dass die Qualität der Spieler eine andere ist. Bei uns war das schon irgendwann an der Grenze. Die Spieler jetzt sind zwar auch aus der zweiten Liga mit hochgekommen, ich finde es aber total cool, einen Boukhalfa zu sehen, der in der zweiten Liga wenig gespielt hat und jetzt noch mal so einen Schritt gemacht hat, weil er das Vertrauen bekommen hat. Der Verein steht jetzt auf stabileren Füßen. Und Trainer Alexander Blessin erreicht die Spieler mit seiner Ansprache offenbar. Der hat eine gute Philosophie. Man merkt, der hat was vor mit dem Verein.

Haben Sie sich damals eigentlich ein Bayern-Trikot als Andenken gesichert?

Beim 1:8 nicht. Aber 2006, als wir in der ersten Pokalrunde gegen Bayern in die Verlängerung gekommen sind und Patrik Borger (ehemaliger St.-Pauli-Keeper, d. Red.) sich das Ding selbst reinlullt zum 1:2, habe ich mir das Trikot von Owen Hargreaves geholt. Das habe ich dann irgendwann verschenkt, da ärgere ich mich heute noch drüber. Ich glaube, ich muss betrunken gewesen sein (lacht).

Abschließend: Wer wird Ihr Erbe auf der Anzeigentafel im Millerntor-Stadion?

Robert Wagner.

Zur Person

Marcel Eger, Jahrgang 1983, spielte zwischen 2004 und 2011 für den FC St. Pauli. Den Innenverteidiger, der anschließend noch eine Saison in England beim FC Brentford spielte, zog es nach der aktiven Karriere nach Berlin, Teneriffa und vor zwei Jahren zurück in die fränkische Heimat. Dort lebt er mit seiner Verlobten und seiner zweijährigen Tochter auf einem ehemaligen Aussiedlerhof, beschreibt sich als „Privatier und Hausmann“. Eine Dauerkarte auf der Gegengerade des Millerntor-Stadions hat er bis heute.

Weitere Artikel

T Irmelin Sloman: „Das Chilehaus ist für mich wie Magie“

Wir treffen Irmelin Sloman zum Interview am Chilehaus – wo sonst? Ihr Urgroßvater, der „Salpeter-König“ Henry B. Sloman, ließ das inzwischen ikonische Kontorhaus, in das sie sich als Kind schockverliebte, vor exakt 100 Jahren bauen.