TErdbeeren aus der Region sind da: Obstbauern jubeln über Geschmack - und sind dennoch enttäuscht

Erntehelfer Telebar Constantin reicht die Steige mit frisch gepflückten Erdbeeren der Sorte Flair an Obstbauer Werner Cohrs (von rechts) aus Bliedersdorf-Rutenbeck weiter. Foto: Vasel
Die Ernte der Freiland-Erdbeeren hat begonnen. „Der Geschmack ist top“, sagt Obstbauer Werner Cohrs aus Bliedersdorf. Enttäuscht ist der Erzeuger trotzdem. Die Politik lasse den deutschen Beerenobstanbau weiter im Stich. Das ist die Kritik.
Horneburg. Vor einem Jahr hatten die Erzeuger Werner Cohrs und Thomas Feindt mit dem Vorsitzenden der Landesfachgruppe Obstbau, Claus Schliecker, beim Start der Freilandernte einen eindringlichen Appell an die Politik gerichtet: Angesichts steigender Produktionskosten fürchte(te)n sie um die Zukunft des Beerenobstanbaus.
Die Agrarpolitiker von SPD, Grünen, CDU und FDP informierten sich vor Ort. „Jeder hatte Verständnis für unsere Forderungen, doch passiert ist nichts“, klagt Cohrs. Das bestätigt auch der Bundesvorsitzende der Fachgruppe Obstbau, Jens Stechmann aus Jork.
Er hatte sich im Namen von 7000 Obstbauern unter anderem für eine Flächenprämie, staatliche Zuschüsse für eine Mehrgefahrenversicherung und für eine Risikoausgleichsrücklage stark gemacht, um Wettbewerbsverzerrungen zu lindern.
Obstbauern warten auf Taten
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) hatte sich bei den Obstbautagen der Forderung angeschlossen. Die Idee: In guten Jahren können Obstbauern einen Teil der Gewinne bis zu drei Jahre steuerfrei parken, um nach Ernterückgängen durch Klimawandelfolgen wie Starkregen, Dürre oder Hagel, aber auch nach Alternanz (Ernteschwankungen) oder nach miesen Erzeugerpreisen schlechte Jahre finanziell besser überstehen zu können.
In Berlin werde das in der Zukunftskommission Gartenbau diskutiert. Stechmann fürchtet allerdings, dass Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) nicht mitziehen wird.
Produktionskosten steigen weiter
Das hat Folgen. Die Obstbauern müssen weiter mit steigenden Produktionskosten kalkulieren, während der Preis bei der 500-Gramm-Schale wie im Vorjahr bei plus/minus fünf Euro liegt. Preistreiber ist die Arbeit. So ist der Mindestlohn von zwölf Euro (2023) auf 12,41 Euro in Deutschland gestiegen.
„Ab Januar wird dieser auf 12,82 Euro steigen“, sagt Stechmann. Die Mitbewerber in Spanien müssten ihren Erntehelfern nur 6,55 Euro pro Stunde zahlen. Im Supermarkt liegen deutsche und spanische Erdbeeren in einem Regal.
Standards werden nicht honoriert
Die hohen Sozial- und Umweltstandards, an denen die deutschen Erzeuger nicht rütteln wollen, werden allzu oft nicht ausreichend honoriert, so Cohrs. „Wir ernten in Deutschland die besten Früchte der Welt, aber sie haben eben auch ihren Preis“, sagt Fred Eickhorst, Geschäftsführer des Verbandes der Spargel- und Beerenanbauer.

Die Erntehelfer kommen aus Rumänien und aus Polen. Foto: Vasel
Der stellvertretende Leiter des Obstbauzentrums Esteburg, Dr. Matthias Görgens, kennt die Zahlen. So liege der Anteil der Lohnkosten an den Produktionskosten beim Beerenobst bei 50 bis 60 Prozent.
Zur Einordnung: Die Produktion von 100 Kilogramm Äpfeln schlägt mit einer Stunde zu Buche. Für 100 Kilogramm Erdbeeren werden elf Stunden berechnet, bei den Himbeeren sind es 23 Stunden. Ernteroboter sind noch nicht praxisreif. Das heißt: Wenn die Lohnkosten um einen Euro steigen, müssten die Obstbauern bei den Erdbeeren mehr als zehn Cent pro Kilogramm aufschlagen.
Erdbeeranbau geht zurück
Für viele Betriebe rechnet sich der Beerenobstanbau nicht mehr. Der Himbeeranbau in der Region ist mittlerweile fast bedeutungslos. Es gebe noch eine Handvoll Betriebe. Vor 20 Jahren gab es noch 50 Betriebe auf der Stader Geest.
Auch bei der Erdbeere geht der Anbau laut Statistischem Bundesamt zurück. Seit 2015 haben die Obstbauern ihre Fläche um ein Viertel auf 14.000 Hektar reduziert. Niedersachsen behauptet sich in Deutschland auf dem ersten Platz, vor Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg.
Erdbeeren werden auf 2400 Hektar im Freiland produziert. Hinzu kommen 229 Hektar - unter anderem in Ladekop - im Gewächshaus. Der Trend geht zum geschützten Anbau. Im Gewächshaus liegt der Ertrag bei 100 Tonnen pro Hektar, im Freiland bei 20 Tonnen.

Infografik: Erdbeeranbau 2023 in Deutschland. Foto: Landvolk Niedersachsen
Obst aus der Region schont Klima
Der Rückgang sei paradox. Schließlich steige die Nachfrage der Deutschen nach Beerenobst aufgrund des Trends zu gesunder Ernährung stetig. Doch den Hunger stillt das Ausland.
Bei den Erdbeeren stammt immerhin jede zweite aus Deutschland, so Helwig Schwartau von der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft. Jeder Haushalt verzehrt rund 4,13 Kilogramm im Jahr. Zwei Drittel werden in den Monaten Mai, Juni und Juli verkauft.

Blick auf die 500-Gramm-Schälchen mit Freiland-Erdbeeren. Foto: Vasel
Die Qualität bei den Früchten aus der Region ist besser als bei Importware - unter anderem wegen kurzer Transportwege. Das gelte nicht nur für den Geschmack. Auch unter Klimaschutz-Aspekten müssten Handel und Verbraucher auf deutsche Ware setzen.
Hierzulande sei die Wasserverfügbarkeit vorhanden, wie der Vorsitzende der Landesfachgruppe Obstbau, Claus Schliecker, nicht müde zu betonen wird.
Früheste Erdbeer-Ernte
Obstbauer Cohrs hat noch nie so früh mit der Ernte im Freiland begonnen wie in diesem Jahr. Frostschäden gab es bei den Erdbeeren nicht. Das Sortenspektrum ist groß, die Wochenmarktfahrer wollen Vielfalt.
Aktuell wird die Sorte Flair gepflückt - ein Renner nicht nur auf dem Hamburger Isemarkt. Der Vitamin-C-Gehalt ist höher als bei Orangen. Fünf bis sechs Erdbeeren reichen, um den Tagesbedarf eines Erwachsenen zu decken. Sie stärken Kreislauf sowie Immun- und Nervensystem. Cohrs: „Wie wichtig unser Obst ist, sollte jedem seit Corona deutlich geworden sein.“
Scheinfrucht: Wissenwertes und Tipps zur Erdbeere
Die Erdbeere (Fragaria) gehört zur Familie der Rosengewächse. Sie ist eine Scheinfrucht; die Nüsschen auf dem Fruchtfleisch sind die eigentlichen Früchte. Auch wenn Erdbeeren zu 90 Prozent aus Wasser bestehen, bieten sie ein Geschmackserlebnis.
Verantwortlich dafür: Fruchtsäuren, Fruchtzucker und Aromastoffe. Sie enthalten viele Vitamine, vor allem Vitamin C. Sie stärken den Kreislauf sowie das Immun- und das Nervensystem; Jod, Mangan sowie Apfel- und Zitronensäure regen die Fettverbrennung an. 250 Gramm enthalten 100 Kalorien.
Der Vitamin-C-Gehalt ist höher als bei Orangen. Fünf bis sechs Erdbeeren reichen aus, um den Tagesbedarf eines Erwachsenen an Vitamin C zu decken.Erdbeeren reifen nach dem Pflücken nicht nach, sie sollten frisch verzehrt werden.
Deshalb: Am besten in der Region kaufen – direkt vom Erzeuger. Ungewaschen können Sie Erdbeeren bis zu zwei Tage im Gemüsefach des Kühlschranks lagern. Zum Tag der deutschen Erdbeere am 24. Mai planen einige Höfe daher erstmals Aktionen. Infos unter: www.deutschlandbeere.de