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Tourismus

TErster Jan-Cux-Strandexpress in Cuxhaven: Dieser Mann ist ihn vor 50 Jahren gefahren

Auf einer Ansichtskarte wurde Jürgen Werner sogar mit seiner Frau Renate abgebildet, die ihn gerade im Fährhafen besuchte. Hinten die damalige Elbe-Fähre.

Auf einer Ansichtskarte wurde Jürgen Werner sogar mit seiner Frau Renate abgebildet, die ihn gerade im Fährhafen besuchte. Hinten die damalige Elbe-Fähre. Foto: Sammlung Jürgen Werner

Jürgen Werner hatte wilde Zeiten hinter sich, als er im Mai 1974 bei der KVG anheuerte - mit einer ganz besonderen Aufgabe: Von Mai bis September des Jahres fuhr er den allerersten Jan Cux-Strandexpress über die Cuxhavener Promenade.

Von Maren Reese-Winne Samstag, 05.10.2024, 13:00 Uhr

Cuxhaven. Was für ein Kontrastprogramm nach sechs Jahren Selbstständigkeit in der Minicar-Branche - aber mit einem neugeborenen Sohn zu Hause war die Zeit für den knallharten Kampf um Fahrgäste in Cuxhavens damals spektakulärer Partyszene einfach vorbei.

Stattdessen hieß es jetzt: Sechs-Tage-Woche, 6,43 DM Stundenlohn, feste Route, immer da entlang, wo Cuxhaven am schönsten ist. Kurdirektor Hans Demgen hatte die Strandbahn für Touristen aus einer Elektrokarre aus dem Hafen bauen lassen.

Beim Bademeister in Döse Batterie gewechselt

Im gerade eröffneten Fährhafen stand der Minizug nachts in einem Schuppen. „Startpunkt war die Musikmuschel in der Grimmershörnbucht, dann ging es über Döse nach Duhnen“, erinnert sich Jürgen Werner, „auf dem Rückweg musste ich beim Bademeister in Duhnen die Batterie wechseln.“ Ein zentnerschweres Ding, einmal ging es hoch und die Säure ließ seine Kleidung in Fetzen zerfallen.

Das Aufspül-Experiment des Jahres 1974 führte zu heftigem Sandflug mit richtigen Verwehungen.

Das Aufspül-Experiment des Jahres 1974 führte zu heftigem Sandflug mit richtigen Verwehungen. Foto: Werner

Teilweise war der Weg noch nicht richtig angelegt. Und im Sommer 1974 gab es noch eine Herausforderung: „Heftige Stürme hatten den Sandstrand abgetragen. Bislang hatte die Stadt den Sand immer aus den Kiesgruben geholt, in diesem Jahr wurde er zum ersten Mal aus dem Watt aufgespült. Aber dieser Sand wehte. Die Strandkorbbesitzer haben nur noch gefegt, die Leute saßen da wie gepudert. Selbst die Bild-Zeitung aus Hamburg fragte, was da in Cuxhaven los sei. Auf der Promenade hatten wir regelrechte Sandverwehungen.“

Auf der Promenade konnten die Gäste zusteigen, in Döse musste Jürgen Werner die Batterie wechseln.

Auf der Promenade konnten die Gäste zusteigen, in Döse musste Jürgen Werner die Batterie wechseln. Foto: Werner

Irgendwann erblickte er auf der Tour mal einen auf einer Leiter balancierenden Fotografen: „Der machte Fotos für Ansichtskarten.“ Ein anderes Mal wurde er durch Neptun samt Gefolge gestoppt, das ihm prompt eine Prieltaufe verpasste. Am nächsten Tag bekam er an der Strecke eine Urkunde mit dem Titel „Zitterrochen“ nachgeliefert.

Neptun und Gefolge wurden - mutmaßlich bei einem Schützenfest - per Strandexpress durch die Stadt gefahren.

Neptun und Gefolge wurden - mutmaßlich bei einem Schützenfest - per Strandexpress durch die Stadt gefahren. Foto: Sammlung Werner

Wenn das Hochwasser in der Bucht über die Steinkante schwappte, musste das Mobil mit seinen kleinen Rädern stehen bleiben, auch wegen der Sorge um die teure Batterie. Ein Umweg über den Deich war keinesfalls erlaubt.

Bei zu langsamer Fahrt begann das Fahrzeug zu qualmen

Auch für Festumzüge wurde der Strandexpress gechartert. „Zu langsam fahren ging aber nicht, dann fing er an zu qualmen.“ Manchmal kam es vor, dass die Festgesellschaft schon längst am Ziel war, wenn er mit seinem blumengeschmückten Gefährt nachkam, das erst mal hatte abkühlen müssen.

Kurdirektor Hans Demgen (links im Anzug) hatte die Idee für den Jan Cux-Strandexpress.

Kurdirektor Hans Demgen (links im Anzug) hatte die Idee für den Jan Cux-Strandexpress. Foto: Sammlung Werner

Nach einer Saison am Strand stieg Jürgen Werner auf die großen KVG-Busse um, fuhr auch mal Werftarbeiter nach Hamburg oder Touristen nach Kopenhagen - bis die Berliner Verkehrsbetriebe auf Werbetour mit Doppeldeckerbussen nach Westdeutschland kamen, auch nach Cuxhaven. Es wurde mit billigen Mieten und Überbrückungsgeld gelockt, beide Eheleute hatten Verwandte in Berlin - also sagte Jürgen Werner dem neuen Arbeitgeber im Februar 1977 zu, im März war er eingestellt. Die ersten zwei Monate verbrachte er in einem winzigen Zimmer ohne Bad (gebadet wurde in der öffentlichen Badeanstalt), dann fand sich eine passende Wohnung für die inzwischen vierköpfige Familie.

Die Verbindung nach Cuxhaven hält bis heute, erst vor wenigen Tagen verbrachte das Ehepaar wieder einen Kurzurlaub hier.

Eine Jan-Cux-Holzfigur hält Jürgen Werner noch in Ehren - auf Geheiß der Enkelin darf dieser auch auf gar keinen Fall entsorgt werden.

Eine Jan-Cux-Holzfigur hält Jürgen Werner noch in Ehren - auf Geheiß der Enkelin darf dieser auch auf gar keinen Fall entsorgt werden. Foto: Reese-Winne

Aktiv in der Berliner Zeitzeugenbörse

Sein Erzähltalent kommt dem Rentner bei seinem Ehrenamt in der Berliner Zeitzeugenbörse zugute. „Als Kind in der DDR, als Jugendlicher in Westdeutschland, als Familienvater in Berlin, das sind meine Themen.“ Im Fernsehen erzählte er davon auch im ARD-Sechsteiler „Unsere 60er-Jahre, wie wir wurden, was wir sind.“

Um die Kurgäste milde zu stimmen, wurde ein Müllabfuhr-Fahrzeug umlackiert und in ein schickes Pavillon-Outfit-gesteckt - das einzige Fahrzeug, das dem Strandexpress begegnen durfte.

Um die Kurgäste milde zu stimmen, wurde ein Müllabfuhr-Fahrzeug umlackiert und in ein schickes Pavillon-Outfit-gesteckt - das einzige Fahrzeug, das dem Strandexpress begegnen durfte. Foto: Sammlung Werner

Nachdem er mit 16 Jahren 1960 die DDR verlassen hatte, kam er über ein Jugendauffanglager in Berlin und Friedland nach Duisburg, wo nachts die Hochöfen rot glühten. Nicht sein Ding, also entsann er sich einer Brieffreundin, die er mal in Cuxhaven gehabt hatte, und fuhr gen Norden. Anita (mit der das Paar bis heute Kontakt hält) hatte allerdings einen Freund. Er wollte schon den Rückweg antreten, allerdings nicht ohne Abschiedsfeier in der „Koralle“, einer Kneipe in der Neuen Reihe. Der fiel vielleicht zu feuchtfröhlich aus, jedenfalls war das Geld für die Rückfahrt weg, Jürgen musste arbeiten und blieb.

Als die Partyszene in Cuxhaven tobte

Am allerschönsten ist es, wenn er aus dem Cuxhaven der 60er-und 70er-Jahre berichtet, von stolzen Schiffen und dem Hafenviertel und einer lebendigen Gastronomie- und Partyszene: „Treffpunkt“, „Maxim-Bar“, „Lorenz-Tanzbar“, „Schwäbischer Hof“, „Stadt Hamburg“ oder das „Top Ten“, in dem Go-Go-Girls barbusig auf den Tischen tanzten. „Das Publikum war ein Gemisch aus Kurgästen, Handelsschifffahrt, Fischerei und Marine.“

Jürgen Werner neben seinem rot-weiß-farbenen Schätzchen.

Jürgen Werner neben seinem rot-weiß-farbenen Schätzchen. Foto: Sammlung Werner

Das ergab viele Fahrgäste für das Taxengewerbe, das mit der Erfindung der Nordsee-Minicars ordentlich aufgemischt wurde. Wie sich die Branche gegenseitig das Wasser abgrub, ist schon wieder Stoff für eine ganz eigene Geschichte.

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