TFälle von Hörsturz und Tinnitus nehmen zu: Diese Mittel helfen

Es piept - und jetzt? Ein Tinnitus kann viele verschiedene Ursachen haben. Oft ist gar nicht klar, was genau dahintersteckt. Foto: Monique Wüstenhagen/dpa-tmn
Es piept im Ohr oder ist plötzlich gar nichts mehr zu hören. In beiden Fällen ist der Gang zum Arzt ratsam, denn Hörsturz oder Tinnitus könnten dafür verantwortlich sein. Experten erklären, was die Erkrankungen auslösen kann und welche Hilfen es gibt.
Cuxhaven. Für Kim Holst sind Hörsturz und Tinnitus allgegenwärtig. Er ist Hörakustikmeister, Audiotherapeut und Pädakustiker, kümmert sich gemeinsam mit seinem Team in Cuxhaven und neuerdings auch einer Filiale in Bad Bederkesa um alles rund ums Hören. Dass Patienten nach der Diagnose eines Hals-Nasen-Ohrenarztes beim Hörsturz oder mit Tinnitus zu ihm kommen, habe seiner Erfahrung nach - Holst ist knapp 20 Jahre im Beruf - zugenommen. Stress als Auslöser für beide Erkrankungen könne ein Grund dafür sein. Denn dieser sei bei vielen Menschen gestiegen.
Hörsturz und Tinnitus sind verschiedene Erkrankungen
Grundsätzlich sind Hörsturz und Tinnitus zwei getrennte Erkrankungen, auch wenn sie gemeinsam auftreten können. Mehr als 150.000 Menschen erleiden laut der Deutschen Tinnitus-Liga hierzulande jedes Jahr einen Hörsturz. „Wir sprechen beim Hörsturz von einem Infarkt im Ohr, ähnlich einem Herzinfarkt“, erklärt der Experte. Denn wie bei der Herzattacke kann eine Durchblutungsstörung Ursache für den Hörsturz sein. Aber auch ein Infekt oder ein Knalltrauma durch ein sehr lautes Geräusch.
Die Folge: Der Betroffene hört - in der Regel auf einem Ohr - plötzlich nichts mehr oder nur noch sehr wenig. Schwindel, Übelkeit und Erbrechen können begleitend auftreten. „In der Gehörschnecke im Ohr sitzen sogenannte Haarsinneszellen“, erklärt Kim Holst. Diese wandeln Schallwellen in elektrische Impulse um. Sie werden von den Nerven ins Gehirn weitergeleitet und dort verarbeitet - erst dann hören wir.
Bei einem Hörsturz knicken diese Haarsinneszellen ab und arbeiten deshalb in einem bestimmten Frequenzbereich nicht mehr so, wie sie sollen. „Das sind meistens die tiefen Frequenzen, die für das Sprachverständnis wichtig sind“, erklärt Holst. Bei der klassischen Schwerhörigkeit im Alter seien die hohen Frequenzen betroffen.
HNO-Arzt als Ansprechpartner
Die Auswirkungen des Hörsturzes können - je nach Patient - von leicht bis sehr stark variieren. Grundsätzlich empfehle er aber den schnellen Gang zum Arzt. Wie beispielsweise Dr. med. Dieter Czapski, Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde (HNO) in Cuxhaven. Er erklärt, dass ein Hörsturz heute nicht mehr als Notfall angesehen wird, sondern „Eilfall mit aufgehobener Dringlichkeit“. Ohne weitere Symptome wie Schmerzen, Fieber oder sehr starker Schwindel sei es deshalb vertretbar, am nächsten Tag zum HNO-Arzt zu gehen. Dieser untersucht die Ohren mikroskopisch. „Um auszuschließen, dass die Hörminderung zum Beispiel durch einen Ohrenschmalzpropf oder eine Entzündung verursacht wird“, so Czapski. Danach erfolgten ein Hörtest und die Beratung des Patienten.
Über Spontanheilungen gebe es, laut Czapski, unterschiedliche Angaben. Die Prognose sei eher gut, werde jedoch mit dem Grad der akuten Hörminderung schlechter. Die Behandlung bei einem Hörsturz habe sich allerdings geändert. „Während vor 30 Jahren Patienten mit Hörsturz notfallmäßig in die Klinik aufgenommen wurden, um dort über zehn Tage durchblutungsfördernde Infusionen zu erhalten, wurden diese später ambulant durchgeführt. Das ,je früher, desto besser an den Tropf‘ ist noch immer in einigen Köpfen, konnte jedoch vor zehn Jahren durch Studien widerlegt werden“, führt er aus. Demnach erbrachte abwartendes Verhalten in etwa die gleichen Ergebnisse.
Suche nach einem wirksamen Medikament
Im Bestreben, endlich ein wirksames Medikament zu finden, wurde in den vergangenen sieben Jahren in einer deutschlandweit angelegten Studie überprüft, ob eine Hochdosis-Kortisontherapie Vorteile bringt. Allerdings mit ernüchterndem Fazit, wie Czapski weiß. „Obwohl diese Medikamente seit 50 Jahren weltweit in der Hörsturz-Erstbehandlung zum Einsatz kommen, gibt es keinen belastbaren wissenschaftlichen Beweis für die Wirksamkeit. Ob die Therapie wirksam, unwirksam oder schlechter als ein Placebo ist, müsste nun in einer Folgestudie untersucht werden“, heißt es in der zugehörigen Pressemitteilung. Die Forschung gehe jedoch natürlich weiter. „Derzeit laufen gerade in den USA zahlreiche Studien mit potenziell wirksamen Medikamenten“, so der Mediziner.
Auch bei Birgit Dresing, Kundin bei Holst Hörakustik, kam bei ihrem ersten Hörsturz vor 20 Jahren Cortison zum Einsatz, ihr Gehör kehrte zurück. Doch im vergangenen Herbst folgte Hörsturz Nummer zwei. „Weil ich ja schon mal einen Hörsturz hatte, konnte ich die Symptome recht schnell deuten“, erzählt die Cuxhavenerin. Die Behandlung schlug diesmal nicht an. So kam sie zur Firma Holst, wo Kundenberaterin Elena Abou Chakra nach Tests ein Hörsystem für sie anpasste. Mit diesem konnte das Sprachverständnis auf dem rechten Ohr der Kundin zumindest zu 35 Prozent wieder hergestellt werden. „Das Orientierungshören, mit dem wir zum Beispiel hören, aus welcher Richtung ein Auto kommt, konnten wir sogar wieder richtig gut einstellen“, erklärt Holst. Zwar kein perfektes Ergebnis, aber dank der Hörsysteme komme sie im Alltag wieder gut klar, sagt Dresing.
Was beim Hörsturz fehlt, ist beim Tinnitus oft genau andersherum. Wir hören zu viel: Geräusche, Piepen, Klopfen oder Rauschen, die nur der Betroffene wahrnimmt. Diese erschweren das Leben - je nach Schweregrad - erheblich. Der Tinnitus kann Folge des Hörsturzes sein, in Deutschland leiden rund 2,7 Millionen Menschen darunter.
„Wir unterscheiden grundsätzlich vier Stufen. Während das Geräusch bei Stufe eins nur in Stille zu hören ist, wird die Beeinträchtigung im Alltag immer stärker, bis sie auf Stufe vier überhaupt nicht mehr kompensiert werden kann.“ Dies bedeute, dass der Patient nicht mehr arbeiten könne, kaum noch schlafen und es sei so belastend, dass dies bis hin zu Suizidgedanken führen könne. Somit sei der Leidensdruck beim Tinnitus deutlich höher als beim Hörsturz.
Hörakustiker können bei Tinnitus technisch helfen
„Tinnitus ist bislang nicht heilbar, die Betroffenen können nur lernen, damit zu leben“, so Holst. Die Ursachen für den Tinnitus seien vielfältig und ähneln denen für einen Hörsturz. „Eingeklemmte Nerven in der Halswirbelsäule, im Nackenbereich, Kieferfehlstellungen. Und Stress ist hier ebenfalls ein großer Faktor“, erklärt der Fachmann.
Als Hörakustiker könne er technisch helfen, das Leben mit dem Tinnitus zu erleichtern. „Ein Mittel ist ein sogenannter Noiser, also ein Gerät, das ein Geräusch, zum Beispiel Wellenrauschen, erzeugt und damit den Tinnitus überlagert und die Aufmerksamkeit von ihm weglenkt“, führt Holst aus. Ein anderer Ansatz kann dafür sorgen, dass die Tinnitus-Frequenz im Klangspektrum ausgespart wird. Hier gibt es Lösungen, die im Ohr getragen werden, ebenso wie hinter dem Ohr.
Eine App verspricht wertvolle Hilfe
Die App „Tinnitracks“ geht sogar so weit, dass sie die individuelle Tinnitus-Frequenz aus der Lieblingsmusik eines Betroffenen herausfiltern kann. Das bedeutet, dass dieser Lieder hört, ohne die Frequenzen, die seinen Ohren „auf die Nerven“ gehen. Dadurch kann die Intensität des Tinnitus gemildert werden.
Grundsätzlich gelte für Betroffene, dass es wichtig sei, Stress zu reduzieren, sich gesund zu ernähren, Sport zu treiben, aber auch durch Verhaltens- oder Musiktherapie zu lernen, das störende Geräusch zu überhören. „Wer es mag, dem hilft auch ein Spaziergang im Wald, am Strand oder Vogelgezwitscher. Alles, was uns guttut, hilft“, so Holst. Davon gehe der Tinnitus zwar nicht weg, rücke aber aus dem Fokus. „Ich habe sogar einen Kunden, für den gehört der Tinnitus dazu. Er sagt immer, wenn er morgens aufwache und der Tinnitus ist da, dann weiß er, dass er noch lebt“, erzählt Holst schmunzelnd.