TFachkräftemangel: Wo der Mittelstand einen Vorteil gegen Airbus und Co. hat

Mittelständische Unternehmer können Mitarbeiter mit Gesprächen auf Augenhöhe locken - und halten. Foto: Hannes Harnack
Dem Mittelstand machen Konzerne wie Airbus und Dow zu schaffen. Unternehmer klagen über abgeworbene Mitarbeiter. Die Kreishandwerkerschaft sieht für mittelständische Firmen einen entscheidenden Vorteil - doch es gibt Nachholbedarf.
Deinste. Wie kann ich beim Werben um schwindende Fachkräfte mit Großkonzernen konkurrieren - und wie bleiben die Mitarbeiter langfristig im Betrieb? Diese Frage beschäftigt derzeit viele Mittelständler, die beim Unternehmerfrühstück der Fredenbecker Geest Markting und Touristik im Restaurant Eysten zusammenkamen. Kim Koch aus Helmste ist bei der Kreishandwerkerschaft für das Marketing zuständig. Sie hatte beim Treffen Tipps für Unternehmen, um im Wettbewerb um Personal auch mit den Großen zu bestehen.
„Der Karren steckt im Dreck, das wissen wir alle“, kommt sie ohne Umschweife zum Punkt. Das Statistische Bundesamt bestätigt: „Ein Großteil der heute Erwerbstätigen gehört zur Generation der Babyboomer und geht in den kommenden knapp 15 Jahren in den Ruhestand. Die jüngeren Altersgruppen können die entstehende Lücke nicht füllen.“ Laut Koch kommt für Betriebe erschwerend hinzu, dass die Fluktuation der Mitarbeiter hoch ist: Sie wechseln häufiger das Unternehmen. „Aber wenn wir nichts machen, passiert auch nichts“, so Kim Koch. Was also tun, um am Bewerbermarkt die eigene Lage zu verbessern?
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Unternehmen müssen Schubladen-Denken abstellen
Der Fokus liegt auf dem Anwerben der nächsten Arbeitsgeneration. „Aber es gibt keinen Knopf, um in deren Köpfe zu gucken“, sagt Koch. Sie warnt: Inzwischen würden Generationen kategorisch eingeteilt und in Schubladen gesteckt - wie beispielsweise bei der „Generation Z“. Ihr gehören Menschen an, die sich größtenteils in den Geburtsjahrgängen 1995 bis 2010 bewegen. „Das ist teilweise zum Schimpfwort geworden.“

Kim Koch macht den Unternehmen Mut, durch Individualität auf die Mitarbeiter zuzugehen. Foto: Ahrens
Egal, ob Babyboomer, Millenials oder Generation Z: Kim Koch rät den Unternehmern, das Denken in Generationen zu verbannen. Individualität werde inzwischen groß geschrieben, unabhängig vom Alter. Genau hier sieht Kim Koch die Chance der Mittelständler gegenüber Airbus, Dow und Co.
„Ich sehe dich als Mensch“ sei ein Leitsatz, den Chefs verinnerlichen müssten. Bei kleineren Unternehmen sei die Kommunikation auf Augenhöhe mit den Mitarbeitern viel einfacher als in Großkonzernen mit Tausenden Beschäftigten.
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Arbeit soll mit Sinn gefüllt sein
„Es gibt einen Wandel von der Arbeitsgesellschaft zur Sinngesellschaft“, betont Koch. Während es früher vor allem darum ging, Einkommen zu generieren, suchen Angestellte heute häufiger nach einem Sinn in dem, was sie tun. „Der Sinn kann ganz individuell sein.“ Dort können Unternehmen aus dem Handwerk punkten.
„Pünktliche Bezahlung“ als Vorteil in Stellenanzeigen sei schon längst ein No-Go. Stattdessen sollten potenzielle Mitarbeiter gefragt werden: „Wie sieht dein Leben aus - und was brauchst du dafür?“ Ein familienfreundlicher Betrieb bedeute für eine alleinerziehende Mutter möglicherweise etwas anderes als für einen Alleinverdiener oder einen pflegenden Vater.

Die Unternehmer im Eysten lauschten den Tipps der Marketing-Expertin. Foto: Ahrens
Doch bei den Fredenbecker Unternehmen wird auch deutlich, wie schwierig die Umsetzung sein kann. Im Dienstleistungsgewerbe sei meist kein Homeoffice möglich, sagt Tim Steffens vom Golf Club Deinster Geest. Auch Arbeit am Wochenende ließe sich nicht vermeiden - und das sei etwas, was viele Menschen abschrecke. „Es ist ein Riesenthema, überhaupt Leute zu finden, die Bock auf den Job haben, speziell im Außendienst“, sagt Jörg Wichern von der VGH. Die Versicherungsbranche arbeite in kleinen Einheiten. „Da muss man Lust drauf haben.“
Andreas Dammert, Lehrer an der Geestlandschule, will mehr lokale Unternehmen in die Berufsbildung der Schüler einbinden. Er sagt auch: Ab einem bestimmten Alter gebe es Schüler, die in der Schule nicht mehr optimal aufgehoben seien und praktisch arbeiten wollen. „Aber es sind oft die Eltern, die auf die Bremse treten.“
Internetauftritt der Unternehmen oft mangelhaft
Der Leitgedanke auf Augenhöhe müsse auch genutzt werden, um Mitarbeiter zu halten. „Daran scheitert es meistens.“ Kim Koch will die Unternehmer überzeugen: Die Angst „vom kleinen Finger und der ganzen Hand“ sei unbegründet - und wieder eine Schublade. Zufriedene Mitarbeiter würden Bewerber mitbringen.
Einen Hinweis gibt Kim Koch Unternehmen noch mit auf den Weg: „Bleibt sichtbar.“ Die Hälfte der Unternehmen in der Kreishandwerkerschaft hätten eine schlechte oder so gar keine Website. Nur 20 Prozent der anderen Hälfte seien in den sozialen Medien vertreten. Ein einfacher, schnell umsetzbarer Tipp: den Unternehmenseintrag bei Google nicht vergessen. Ein Bewerber, der keine Öffnungszeiten vorfindet, zu denen er sich melden kann, sei schon auf der Suche nach dem nächsten Unternehmen. „Und kaufen Sie ein Produkt auf Amazon, das in den Bewertungen nur zwei Sterne hat?“