T„Feuer“ auf der Haut: Kleines Mädchen kämpft verzweifelt gegen Neurodermitis

Schmerzhafte Rötungen an den Händen und Armen - auch darunter litt das Mädchen aus dem Stader Nachbarkreis. Foto: Oliver Berg
Neurodermitis befiel Hände, Gesicht, Arme, Beine und Bauch, eines kleinen Mädchens aus dem Kreis Cuxhaven legte „Feuer“ auf ihrer Haut. Die Eltern waren verzweifelt.
Loxstedt. Lara Leister und ihr Mann Lutz - mit richtigen Namen möchten Mutter und Vater nicht in die Öffentlichkeit - wissen heute noch genau, wie das alles angefangen hat bei ihrer Kleinen. Er mit Neurodermitis geschlagen, sie mit Schuppenflechte, ist den beiden aufgefallen, dass ihre Tochter schon wenige Monate nach der Geburt diverse Rötungen an den Fingern hatte.
„Weil wir erblich vorbelastet sind, verfielen wir sofort in Panik“, erzählt die junge Frau vom Anfangsverdacht der Neurodermitis. Sie sind gleich zum Hausarzt, „der uns eine Hautcreme mit wenig Cortison verschrieben hat“. Danach sei es erst einmal gut gewesen. „Sie war symptomfrei“, erzählt die Mutter, „wir dachten, es hätte sich nur um ein Ekzem gehandelt.“
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Wieder Hausarzt, wieder Creme, wieder Ruhe
Doch ein halbes Jahr später waren die Rötungen wieder da. Diesmal viel schlimmer, diesmal an beiden Händen. Und an den Beinen. Wieder Hausarzt, wieder Creme. Wieder Ruhe. Vorübergehend.
„Als unsere Tochter zwei Jahre alt war, ist die Neurodermitis explodiert“, sagt die Mutter, „es war überall, auch unter den Augen und auf den Wangen.“ Zu jener Zeit sei die Kleine in die Krippe gekommen, erinnert sich die Mutter, „vielleicht hat das Emotionen in Gang gesetzt, die die Neurodermitis ausgelöst haben?“
Fortan jedenfalls war alles ganz anders. „Wir sind dann vier- bis fünfmal in der Nacht rüber in ihr Zimmer, weil sie geweint hat, haben sie eingecremt und beruhigt, so gut es ging“, erzählt die Mutter, deren Augen sich plötzlich mit Tränen füllen. In ihrem Gesicht ist von den Torturen der geliebten Tochter zu lesen – Leid, das auch ihr Leid gewesen ist.
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Die mühsame Suche nach den Ursachen beginnt
Und dann passierte das, was viele Eltern von Neurodermitis-Kindern umtreibt: Die Suche nach den Ursachen beginnt. Es ist die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Ernähren wir unsere Tochter falsch? Wählen wir die falsche Kleidung? Benutzen wir das richtige Waschmittel? Ist es der Hund? Fragen über Fragen.
Zunehmend mehr machte sich Hilflosigkeit breit, gepaart mit wachsenden Schuldgefühlen. „Sind wir schlechte Eltern?“ Auch dies habe man sich immer wieder gefragt, bekennt die Mutter. Ratlosigkeit. Hilflosigkeit. Ohnmacht.
„Wir haben die Ernährung komplett umgestellt, zeitweilig auf Milchprodukte, Weizen und Bananen verzichtet. Auch Tomaten durften nicht mehr auf den Tisch. „In der Kita hat die Kleine ihr eigenes Essen bekommen, das ich ihr jeden Tag zubereitet habe“, sagt die Mutter, „bis zu einem gewissen Grad war sie dadurch irgendwie ausgegrenzt.“ Und komplett verschwunden sei die Neurodermitis auch nicht.
Bis tief in die Nacht im Internet recherchiert
Die jungen Eltern haben bis tief in die Nacht im Internet recherchiert, haben soziale Plattformen durchforstet, Artikel gelesen. „Das hat uns nur noch mehr verunsichert“, erzählt die Loxstedterin. „Jeder hat etwas Anderes empfohlen.“
Kostenpflichtige Darmanalysen haben die jungen Eltern bei ihrem Kind ausprobiert. „Danach sollten wir dann entsprechende Produkte kaufen.“ Teure Basenbäder, um die Haut zu „entgiften“, habe man für die Kleine auch einlaufen lassen.
Irgendwann sei man dann an eine Heilpraktikerin geraten. „Wir haben der Frau viel Geld gezahlt, weil sie gesagt hat, dass sie unser Kind gesund machen wird“, sagt die Mutter, die die Höhe der Gesamtausgaben nicht nennen will. Genutzt haben auch diese Sitzungen nichts. „Wir fühlten uns wie Versager.“
Der rettende Hinweis kam von einer Hautärztin
Die zunächst aufgesuchte Hautärztin sei zwar einfühlsam gewesen und hätte Cortison verschrieben, doch nach dem Auftragen sei die Neurodermitis bald wieder zurückgekommen, erinnert sich die Mutter. „Dreimal so schlimm.“
Heute weiß sie, dass sie mit diesem Präparat bei akuten Schüben nicht hätte sparen müssen. „Damals dachte ich nur: bloß nicht zu viel auftragen, weil das doch schlimme Nebenwirkungen hat.“
Die Wende kam im vergangenen Jahr. Ihr Kinderarzt in Bremerhaven überwies sie an eine andere Hautärztin, ebenfalls in Bremerhaven. Und die wiederum gab den Loxstedtern den Tipp, sich ans Klinikum in Bremerhaven-Reinkenheide zu wenden. Dort würde im Herbst eine Schulung beginnen, die speziell bei Neurodermitis helfen würde. „Anfangs waren wir skeptisch, weil wir doch schon so viel ausprobiert hatten“, erzählt die Mutter.

Gerade für Kinder ist Neurodermitis mit besonderem Leidensdruck verbunden. Hier kann die richtige Feuchtigkeitspflege verhindern, dass die Haut zu sehr austrocknet. Foto: Florian Schuh
Mutter hat gleich gespürt: Hier sind wir richtig
Doch ein Besuch bei Chefarzt Dr. Michael M. Sachse änderte alles. „Als er sich unsere Tochter angeschaut und mit uns gesprochen hat, habe ich gleich gespürt: hier sind wir zum ersten Mal richtig“, sagt die Mutter. Und greift wieder zum Taschentuch.
Die kleine Familie bekam mit fünf weiteren einen Platz in der sogenannten AGNES-Schulung. „Da haben wir eine Menge gelernt“, erzählt die Mutter dankbar - unter anderem: Neurodermitis ist nicht heilbar, wir können allerdings unserer Tochter durch den Schub helfen und diesen verkürzen.
Über AGNES-Schulung werden Eltern zu „Profis“
Neurodermitis kann durch Umwelteinflüsse verstärkt werden. Wir brauchen keine Angst mehr vor Cortison zu haben, weil wir wissen, wie man es richtig anwendet. Es gibt keine spezielle Neurodermitis-Diät, wir streichen nur Lebensmittel, auf die unsere Tochter nachweislich allergisch reagiert.
Wir haben gelernt, welche Maßnahmen die Haut in welchem Stadium benötigt. Es gibt Kratzalternativen wie Kühlpack, Klopftechniken und Entspannungsgeschichten. Die perfekte Basiscreme existiert nicht, unsere Tochter entscheidet mit, was sich gut oder schlecht anfühlt. „Über die Schulung sind wir ,Profis‘ geworden, was den Umgang mit Neurodermitis anbelangt.“
Mittlerweile isst ihre Tochter im Kindergarten wieder normale Kost. Und schubfrei ist sie auch. „Schon seit drei Monaten“, sagt die Mutter und lächelt erleichtert. Die Kleine sitzt am Wohnzimmertisch und malt. Ohne sich zu kratzen.
Kinder stark betroffen
Rote Flecken, trockene Haut, Juckreiz: Nahezu jedes zehnte Kind in Deutschland unter 15 Jahren ist von Neurodermitis betroffen. Das geht aus dem Neurodermitisreport hervor, den die Techniker Krankenkasse mit dem Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf und der Uni Bremen verfasst hat. Mit 9,4 Prozent Kindern unter 15 Jahren sie die häufigste chronische Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen.