TFischsterben 2023: Anglerverband legt Abschlussbericht vor

So wie hier in Brandenburg trieben auch im Jorker Fleet tote Fische. Foto: dpa/Symbolbild
Im vergangenen Sommer kam es in den Landkreisen Stade, Rotenburg und Cuxhaven nach anhaltenden Regenfällen zu einem nicht gekannten Fischsterben in etlichen Gräben, Bächen, Flüssen. Nun liegt der Abschlussbericht des Anglerverbandes vor – und benennt Schuldige.
Landkreis/Landkreis Rotenburg. Am Sonntag, 13. August 2023, wird an der Bade „Güllealarm“ ausgelöst. Das Wasser des Flüsschens ist ölig, schwarz verfärbt. Die Bade trägt eine Schaumkrone. Entlang des Ufers stinkt es gewaltig. Anrufer berichten Hans-Peter Wennholz, dem Vorsitzenden des Angelvereins Bade, und Ralf Behrens, dem Gewässerwart des Vereins, davon. Die Angler fürchten, es habe sich wiederum ein Gülleunfall ereignet - wie 2012, als rund 200.000 Liter Gülle aus einem defekten Silo in Badenstedt in die Bade gelaufen waren und eine ökologische Katastrophe verursacht hatten.
Die Bade-Angler und ein Mitarbeiter des Wasserlabors der Kreisverwaltung spüren der Ursache für die offensichtliche Verunreinigung nach. Ohne Erfolg. Auch Ralf Gerken, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Landesanglerverbandes, der tags darauf hinzugezogen wird, tappt zunächst im Dunklen. Gerken wird indes zum Chronisten der Katastrophe, die sich abzuzeichnen beginnt.
In der Bade, der Aue-Mehde, der Oste, der Hamme, dem Wallbeck, Wörpe, Lune war es zu einem Massensterben gekommen. Auch der Rechen am Borsteler Wehr in Jork war voller Fischkadaver. Zuvor waren bereits in der Schwinge im Kreis Stade nach einer längeren Hitzeperiode viele Fische verendet.
In der Brühe waren Fische, Krebse und allerlei Kleintiere umgekommen. Erstickt. Der Eintrag von Nährstoffen hatte sämtlichen Sauerstoff im Wasser aufgezehrt, fand Gerken bald heraus.
In den nächsten Tagen ermittelte der Biologe mit Unterstützung von Anglern in der Region Tatverdächtige: Die nach anhaltenden Regenfällen überschwemmten anmoorigen Flächen an den Oberläufen der betroffenen Gewässer.
Bilanz zeigt wohl nur die Spitze des Eisbergs
Die folgenden Herbst- und Wintermonate nutzten Gerken und Kollegen des Landesanglerverbandes, um Gewissheit zu erlangen, Beweise zu sichern und Bilanz zu ziehen. Ihre Erkenntnisse haben sie in einem 150-seitigen Bericht zusammengefasst, der seit einigen Tagen vorliegt. Gerken stellte die Bilanz des Fischsterbens anlässlich der Vorstands- und Ausschusssitzung des Unterhaltungsverbandes Obere Oste in Brauel vor.
Gerken betonte, dass die gesammelten Zahlen, Daten, Fakten wohl nur die Spitze des Eisberges darstellten, denn es seien mutmaßlich noch viele kleine Gewässer betroffen gewesen, ohne dass zuständige Stellen davon Kenntnis erlangt hätten. Als eine Ursache dafür benannte Gerken Untätigkeit in Amtsstuben.

Die von Gewässerwart Ralf Behrens, dem Angelvereinsvorsitzenden Hans-Peter Wennholz und Ralf Gerken (von links) vom Anglerverband genommenen Proben zeigen, es gibt keinen Sauerstoff mehr im Wasser. Foto: Kratzmann
Seine Kritik richtet insbesondere an die Adresse des Niedersächsischen Landesamtes für Wasserwirtschaft und Küstenschutz (NLWKN). „Das NLWKN hat sich komplett rausgehalten“, stellt Gerken fest. Bei den Ermittlungen an den Orten des Geschehens seien die Angler weitgehend auf sich gestellt gewesen.
Als Auslöser der Gewässerverunreinigungen und des kaum sichtbaren Fischsterbens haben Gerken und seine Kollegen die starken und anhaltenden Niederschläge im Juli und August 2023 ausgemacht. Mit in der Spitze 250 Millimeter Niederschlag binnen 30 Tagen hatte es viermal so viel geregnet wie im langjährigen Mittel. Der Regen war auf steinharten ausgetrockneten Boden gefallen. Der konnte die Wassermassen nicht aufnehmen. Sie flossen in Gräben, Kanäle, Bäche, die alsbald voll waren. In der Folge blieb das Wasser teilweise wochenlang auf Feldern stehen.
Vollständiger Verlust einiger gefährdeter Arten
Nach Ende des Dauerregens floss das Wasser nach und nach ab. Mit ihm gelangten laut Gerken „Nährstoffbomben“ in die Fließgewässer. Infolge des Hochwassers waren Pflanzen auf überschwemmten Feldern abgestorben. Diese organische Materie zehrte im Zuge der Zersetzung den Sauerstoff in den Gräben, Kanälen, Bächen auf. Für Fische und Kleintiere blieb nichts mehr.
Einige Gewässer wiesen über weitere Strecken einen Sauerstoffgehalt von null auf. Am ärgsten traf es im Einzugsgebiet der Oste laut Messungen der Angler den Oereler Kanal, die Bade, die Aue-Mehde, der Abbendorfer Kanal, die Oste zwischen Sittensen und Tostedt. Gerken fand heraus, dass das Massensterben in Zusammenhang mit überschwemmten Intensivgrünland auf Nieder- und Hochmoorflächen steht.

Der Tatort: Das vergorene Wasser fließt von den Flächen - hier an der Aue/Mehde - ab. Mit ihm gelangen Unmengen organischen Materials in die Bäche und Gräben und zehren den verbliebenen Sauerstoff auf. Foto: Gerken
Um die ökologischen Schäden ermessen zu können, stiegen Mitglieder von 15 Angelvereinen mit Herbstbeginn in die am stärksten betroffenen Gewässer und führten Elektrobefischungen durch. An 25 Stellen ermittelten sie, ob es noch Leben im Wasser gibt.
Anhand von Vergleichsdaten bekommt die Katastrophe Konturen. Bei gefährdeten Arten wie Lachs oder Groppe ist von einem vollständigen Verlust auszugehen. Den prozentualen Bestandsverlust bei der Bachforelle gibt Gerken mit 74 Prozent und beim Neunauge mit 96 Prozent an.
Auch bei Kleintieren wie Libellen, Käfern, Fliegen ist der Verlust teilweise vollständig. Die Gewässerabschnitte, in denen die Nährstoffbomben ihre volle Wirkung entfaltet haben, glichen toten Zonen. An der Oste sind laut Abschlussbericht des Anglerverbandes 27 Artengruppen an Kleintieren ausgelöscht, an der Bade sind es 20 Artengruppen und am Wallbeck 30 Artengruppen.
Extensive Grünland-Bewirtschaftung statt Hochleistungsgras
Auf Grundlage ihrer Untersuchungen kommen die Experten des Anglerverbandes zu dem Schluss, dass die Katastrophe auf landwirtschaftlichen und wasserwirtschaftlichen Ursachen beruht: Hochleistungsgras, fehlende Auenwälder und zugewachsene Vorfluter ohne Beschattung.
Da der Klimawandel insbesondere im Nordwesten Niedersachsens häufiger zu Extremwetter mit anhaltender Trockenheit und Starkregen führen wird, ist mit einer Wiederholung der Katastrophe zu rechnen. Mit dem Ziel, das zu verhindern, regt der Anglerverband an, dass sich alle relevanten Akteure aus den Bereichen Landwirtschaft, Wasserwirtschaft, Behörden und Anglerverbänden an einen Tisch setzen, um lokale, regionale und landesweite Konzepte zu erarbeiten.
Meldeketten und Alarmpläne seien anzupassen. Behördliche Zuständigkeiten seien zu regeln. Das Gewässermonitoring sei zu stärken. Auf den eindeutig zu identifizierenden Flächen, auf den sich die Nährstoffbomben gebildet haben, sei die landwirtschaftliche Nutzung zu extensivieren. Die gewässernahen Niederungen an Bade, Aue-Mehde, Abbendorfer Kanal, Wallbeck sollten mit Erlen und Weiden bepflanzt werden.
Die Angler sperren sich einer zusätzlichen Sommerräumung von trapezförmig ausgebauten Kanälen nicht grundsätzlich, ließ Gerken gegenüber den Vorstands- und Ausschussmitgliedern des Unterhaltungsverbandes anklingen. Sofern die Räumung solcher Gewässer mit geringer ökologischer Bedeutung helfe, Gewässer mit hoher ökologischer Bedeutung zu schützen, mögen die Pläne des Unterhaltungsverbandes entsprechend angepasst werden.
Grundsätzlich regen Gerken und seine Kollegen an, die Fließgewässer nachhaltig zu renaturieren. Und sie fordern unter Hinweis auf die Wasser-Rahmen-Richtlinie die ökologische Durchgängigkeit der Fließgewässer herzustellen - also die Beseitigung von Stauanlagen und Wehren.