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Wir schaffen das

TFlüchtlingskrise 2015: So kamen die ersten Flüchtlinge in Stade an

Nicole Streitz im Jahr 2015. Im Hintergrund sind der Kreistagssitzungssaal und einige Flüchtlinge zu sehen.

Nicole Streitz im Jahr 2015. Im Hintergrund sind der Kreistagssitzungssaal und einige Flüchtlinge zu sehen. Foto: Archiv

Nicole Streitz hat sich in der Flüchtlingskrise einen Namen als Krisenmanagerin gemacht. Die damalige Dezernentin ist stolz auf das, was auf kommunaler Ebene geleistet wurde.

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Von Karsten Wisser
Freitag, 17.10.2025, 18:50 Uhr

Landkreis. Es waren drei einfache Wörter, ein kurzer Satz: „Wir schaffen das“, sagte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der Satz fiel im Rahmen ihrer Sommer-Pressekonferenz am 31. August 2015. Die Flüchtlingskrise spitzte sich immer weiter zu. Hunderttausende Menschen, vor allem aus Syrien, aber auch aus dem Irak und Afghanistan, waren auf der Balkan-Route Richtung Deutschland unterwegs.

Nicole Streitz heute. Sie ist seit 2023 Kreisdirektorin im Landkreis Minden-Lübbecke.

Nicole Streitz heute. Sie ist seit 2023 Kreisdirektorin im Landkreis Minden-Lübbecke. Foto: privat

Nicole Streitz, die damals zuständige Dezernentin beim Landkreis Stade, übersetzt diese drei Worte heute - zehn Jahre später - so: „Geschafft haben das die kommunalen Verwaltungen, die Hilfsorganisationen und die vielen ehrenamtlichen Helfer.“ Die Flüchtlingskrise habe die Leistungsfähigkeit der Verwaltungen und der kommunalen Strukturen bewiesen.

Wechsel von Stade nach Minden-Lübbecke

„Ohne diese Hilfe der kommunalen Ebene wären Bund und Land gescheitert“, sagt Nicole Streitz. Die 50 Jahre alte Juristin ist heute Kreisdirektorin und Dezernentin beim Kreis Minden-Lübbecke mit 1900 Beschäftigten. In der Verwaltungshierarchie ist sie nach dem Landrat dort die Nummer zwei. Vor ihrem Wechsel zum 1. April 2023 nach Nordrhein-Westfalen stand Nicole Streitz ein Jahrzehnt im Landkreis Stade als Dezernentin in der ersten Reihe, wenn es um Krisenbewältigung ging. So war es auch, als 2015 die Busse mit den geflüchteten Menschen in Stade ankamen.

Innerhalb von einer Woche im Jahr 2015 kamen 472 Flüchtlinge in Stade an.

Innerhalb von einer Woche im Jahr 2015 kamen 472 Flüchtlinge in Stade an. Foto: Schulz

Die globale Krise erreichte am 14. Oktober 2015 Stade - allerdings, ohne dass dies sofort bemerkt wurde. Die erste konkrete E-Mail mit dem Amtshilfe-Ersuchen der Landesregierung landete am Mittwochnachmittag in einem Info-Postfach. Gefunden wurde das digitale Schreiben am Donnerstagmorgen mit der Ansage, dass am Freitag 450 Flüchtlinge mit Bussen nach Stade kommen.

Ein Testlauf hilft, die Flüchtlinge schnell unterzubringen

„Unser Glück war, dass sich meine Mitarbeiter und die Hilfsorganisationen im September zu der Frage zusammengesetzt hatten: Was passiert, wenn die Landesaufnahmebehörde 200 Flüchtlinge hierherschickt?“, beschreibt Nicole Streitz die Ausgangssituation. Die Mitarbeiter der Hilfsorganisationen erkundeten in diesem Testlauf damals bereits vor der Ankunft der Flüchtlinge die Sporthallen der BBS und der Friedrich-Fröbel-Schule in Stade. „Das war unser großer Pluspunkt“, sagt Streitz.

Es änderte nichts an der Kurzfristigkeit: Am Donnerstag wussten die Behörden und die Hilfsorganisationen, dass sie bis Freitag, 14 Uhr, Plätze für 450 Flüchtlinge schaffen müssen. Die Aufnahmekapazitäten des Landes waren vollständig erschöpft. „Wir haben die betroffenen Schulen gebeten, den Sportunterricht auszusetzen, die Hilfsorganisationen in Marsch gesetzt und in einer großartigen Aktion über Nacht die Feldbetten in den Sporthallen aufgestellt“, erinnert sich Nicole Streitz.

Die ersten Busse haben zwölf Stunden Verspätung

Die ersten 96 Flüchtlinge kamen dann in der Nacht zu Sonnabend in zwei Bussen direkt von der deutsch-österreichischen Grenze aus Bayern in den Landkreis Stade. Die Busse kamen mit zwölf Stunden Verspätung an. Die Menschen wurden im Kreishaus nach ihrer Einreise das erste Mal registriert und von drei Ärzteteams einem Gesundheitscheck unterzogen. 78, darunter Familien mit Kindern, wurden nach einer Erstversorgung in der Notunterkunft in Stade untergebracht. Andere Flüchtlinge reisten auf eigenen Wunsch sofort weiter.

„Ich habe den Menschen erzählt, wo sie gelandet sind“, sagt Nicole Streitz. Deutschland kannten die Ankömmlinge, Stade wohl niemand. Sie seien in Stade in der Nähe von Hamburg, der zweitgrößten Stadt Deutschlands, erklärte ihnen Nicole Streitz. Die Flüchtlinge stammten aus Afghanistan, Syrien, Pakistan und Irak. Bis Sonntagabend waren 255 Menschen in der Notunterkunft in der Glückstädter Straße untergebracht. Die Sporthallen füllten sich. Bis Ende 2015 kamen fast wöchentlich mehrere Hundert Flüchtlinge in Stade an. Die Zahl lag bei 2060. Von diesen waren rund 740 in drei Notunterkünften untergebracht.

Was als Amtshilfe für 14 Tage begann, endete am 31. März 2016. Bis die BBS-Halle wieder genutzt werden konnte, dauerte es sogar bis Anfang 2017. Der Boden musste komplett erneuert werden. Die Halle der Friedrich-Fröbel-Schule wurde für die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge noch länger genutzt.

472 Flüchtlinge innerhalb einer Woche

Jeder Flüchtling, der ankam, bekam ein buntes Armband und eine Laufkarte für die einzelnen Stationen im Kreishaus. „Da waren Hochschwangere, eine Dame im Rollstuhl, Kinder mit völlig zerschlissener Unterwäsche“, schildert Nicole Streitz ihre Eindrücke. Alle seien medizinisch untersucht worden. Der Kreistagssitzungssaal - der größte Raum in der Kreisverwaltung - wurde zum Warte- und Speisesaal umgebaut, es gab Essen, Trinken, Windeln, Kindernahrung, freies WLAN und Strom.

In den Sporthallen in Stade waren zwischenzeitlich 700 Menschen untergebracht.

In den Sporthallen in Stade waren zwischenzeitlich 700 Menschen untergebracht. Foto: Archiv

Bis Donnerstag - eine Woche nach dem Amtshilfe-Ersuchen - waren 472 Menschen in Stade angereist. Es zeichnete sich ab, dass die Kapazitäten in Stade nicht ausreichen würden, und der Kreis beschloss, am 10. November eine zusätzliche Notunterkunft in einer Sporthalle in Harsefeld einzurichten.

Auch zehn Jahre später ist Nicole Streitz stolz auf das, was die Mitarbeiter der Kreisverwaltung und die Mitglieder der Hilfsorganisationen damals auf die Beine gestellt haben. „Das war tolles Teamwork und hat gezeigt, wozu wir in der Lage sind, wenn wir gefordert sind.“

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