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TFußballspiel eskaliert: So hat es der betroffene Schiedsrichter erlebt

In einer hitzigen Schlussphase zeigt Schiedsrichter Jens Eisenbach die Rote Karte – die Situation ist kaum noch zu beruhigen.

In einer hitzigen Schlussphase zeigt Schiedsrichter Jens Eisenbach die Rote Karte – die Situation ist kaum noch zu beruhigen. Foto: Polgesek

Ein Spieler attackiert Schiedsrichter Jens Eisenbach. Gemeinsam mit seinem Team flüchtet er in die Kabine. Warum er jungen Menschen dennoch rät, Schiedsrichter zu werden.

Von Robert Ebner Mittwoch, 17.12.2025, 17:50 Uhr

Bremerhaven. 94. Spielminute: Mohand Said Lemmou, Torwart des Fußball-Landesligisten FC Sparta Bremerhaven, jagt über den Platz. Mit weit aufgerissenen Augen verfolgt er sein Ziel: Schiedsrichter Jens Eisenbach (22). Es fallen Beleidigungen. Dann kommt es zu einem körperlichen Angriff.

Die Nordsee-Zeitung hat Eisenbach im Herbst zu einem Spiel begleitet, um den Alltag eines Schiedsrichters exemplarisch zu zeigen. Es wurde ein Spiel, das symbolisch für das Negative im Amateurfußball steht.

Trotz seines jungen Alters bringt Eisenbach bereits viel Erfahrung mit: Seit 2018 ist er als Schiedsrichter aktiv, sein erstes Spiel pfiff er schon mit 14 Jahren. „Meine Eltern waren davon zuerst gar nicht begeistert“, erzählt der 22-Jährige. Sie sorgten sich, dass er sich nicht durchsetzen könne. „Ich war früher sehr introvertiert – bin ich immer noch, aber nicht mehr ganz so stark“, sagt Eisenbach.

Schiedsrichter im Amateurfußball: Zahlen aus BFV und NFV

Beim Bremer Fußball-Verband (BFV) sind im Jahr 2025 insgesamt 480 Schiedsrichter und Schiedsrichterinnen aktiv. Zehn Jahre zuvor lag die Zahl noch bei 529. Jedoch ist im Vergleich zur Vorsaison wiederum ein Anstieg erkennbar. Im Niedersächsischen Fußball-Verband (NFV) sind 6.915 (2024) aktive Spielleiter gemeldet. Fünf Jahre zuvor waren es über 600 mehr.

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Schiedsrichter im Einsatz

Spieltag in der Landesliga Bremen: Der FC Sparta Bremerhaven trifft zu Hause auf Tura Bremen. Es ist stürmisch. Dunkle Wolken verdecken den Himmel. Eisenbach steht am Mittelkreis und klatscht mit den Kapitänen ab. „Ich wünsche euch ein gutes Spiel“, sagt er. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Heimmannschaft 15 Gelbe Karten, eine Rote, eine Gelb-Rote Karte und ein abgebrochenes Spiel auf dem Konto. Tura Bremen sammelte 18 Gelbe und eine Gelb-Rote Karte.

Schiedsrichterausbildung: 17 Regeln, 160 Seiten

Eisenbach hat seine Erlaubnis zum Pfeifen in Bremen erhalten. Innerhalb weniger Tage musste der damalige Schiedsrichteranwärter die 17 Fußballregeln studieren. „Das ist eine ganze Menge, die da auf einen einprasselt“, erzählt er. Das Regelwerk umfasst 160 Seiten. Am Ende folgt eine schriftliche Prüfung.

In Bremen und Bremerhaven werden pro Jahr rund 50 bis 60 Schiedsrichter neu ausgebildet, teilt der BFV mit. Beim NFV sind im vergangenem Jahr 1.288 neue Aktive dazugekommen. 1.042 Abgänge meldete der Verband für das gleiche Jahr. Die Gründe dafür sind vielfältig: berufliche, gesundheitliche, verlorenes Interesse - und in vier Fällen waren Vorfälle bei Spielen der Auslöser.

Eisenbach hat das Landesliga-Spiel unter Kontrolle

Am Kunstrasenplatz des FC Sparta sind nur eine Handvoll Zuschauer. Beim Versuch eines Einwurfs rutscht einem Tura-Spieler der Ball aus der Hand. Ein Sparta-Spieler möchte den Ball übernehmen. „Der Ball war nicht im Spiel“, geht Eisenbach dazwischen. Deshalb darf Tura Bremen erneut einwerfen. Der 22-Jährige ist viel unterwegs, spricht mit den Spielern.

Jens Eisenbach hat von 2010 bis 2017 selbst Fußball gespielt. Die Ergebnisse haben dazu geführt, dass er aufgehört hat. „Wir haben jede Woche zweistellig verloren - das war doof“, erklärt er. Generell ist er sportbegeistert. Er ist regelmäßig bei Heimspielen der Fischtown Pinguins. Für die Bremerhavener Eishockeyprofis macht er seit der laufenden Saison in seiner Freizeit Medienarbeit. Einige Jahre lang hat er Baseball gespielt. Auch dafür hat er eine Schiedsrichter-Lizenz.

„Schiedsrichter, wir haben doch Vorteil!“

Schiedsrichter kommen unterschiedlich oft zum Einsatz. Der NFV spricht von durchschnittlich 20 Spielen pro Saison. Laut BFV sind es etwa 30 bis 40 Spiele. „Das ist gefühlt jedes Wochenende“, sagt Eisenbach, der in der Regionalliga schon vor mehreren Tausend Zuschauern als Linienrichter im Einsatz war. Als Hauptschiedsrichter pfeift er bis zur Bremen-Liga, der 5. Liga.

„Schiedsrichter, wir haben doch Vorteil!“ hört man Vereinsverantwortliche auf dem Platz brüllen. Eisenbach lässt sich davon nicht beeindrucken und leitet das Spiel souverän - aber auch ohne wirklich viel zu tun zu haben. Denn mehr passiert auch nicht.

Studium, Schiedsrichterei und ein enger Zeitplan

Diese Ruhe kennt Eisenbach eher aus dem Hörsaal als vom Fußballfeld. Denn der 22-Jährige studiert Mathematik und Politikwissenschaften. Außerdem spielt der Bremerhavener Keyboard. Seine Freizeit ist eng getaktet. Eisenbach ist sehr engagiert. Über allem steht aber die Schiedsrichterei - „das beste Hobby der Welt“, wie er sagt.

Nach lautstarken Beschwerden von der Trainerbank zeigt Eisenbach die Gelbe Karte.

Nach lautstarken Beschwerden von der Trainerbank zeigt Eisenbach die Gelbe Karte. Foto: Polgesek

Noch höher zu pfeifen, sei sehr schwierig. Von außen wurde ihm zudem zugetragen, dass er ein starker Assistent sei und da seine Stärken besser zur Geltung kommen würden. Das sehe er selbst auch so. „Als Assistent an der Linie fühle ich mich auch etwas wohler“, erklärt er.

Handspiel in der Nachspielzeit: Eine Fehlentscheidung mit Folgen

Es steht weiter 0:0, kaum Torchancen. Im Grunde warten alle nur auf den Abpfiff - bis ein Moment ein schläfriges Spiel zum Explodieren bringt. In der Nachspielzeit steigt ein Tura-Spieler im gegnerischen Strafraum in die Luft und spielt den Ball mit dem rechten Oberarm. Sein Mitspieler trifft zum 0:1. Selbst ein Tura-Verantwortlicher berichtete später aus der Kabine, dass der Spieler das Handspiel eingeräumt hat.

Danach spielen sich dramatische Szenen ab. Eine Spielertraube aus Sparta-Akteuren umzingelt Eisenbach. Sparta-Trainer Yusuf Sahin ruft seinem Kapitän zu, die Spieler vom Schiedsrichter fernzuhalten. „Schiri, Handspiel!“, brüllt Sahin dann. Eisenbach zeigt ihm glatt Rot. Grund: Sahin stand wenige Zentimeter auf dem Platz und echauffierte sich.

Gewalt gegen Schiris: Wenn Unmut in körperliche Angriffe umschlägt

Im Anschluss verfolgt der Sparta-Torwart den Unparteiischen. Dabei schubst er ihn an der Schulter. Nur weil andere Spieler dazwischengehen, wird wohl Schlimmeres verhindert. Eisenbach zückt die Rote Karte. Dann flüchtet er mit seinen Assistenten in die Kabine. „Das war der absolute Negativpunkt“, sagt Eisenbach. Körperlich wurde er zuvor noch nie angegriffen.

Laut BFV gab es in der vergangenen Saison 17 Übergriffe gegen Schiedsrichter. Ebenso viele Spiele wurden abgebrochen. Beim NFV waren es 90 Abbrüche bei 204 Vorfällen gegen Schiedsrichter. Die Zahl der Vorfälle ist in beiden Bundesländern rückläufig. Diese Zahlen sind laut Kriminologin Thaya Vester jedoch nicht wirklich seriös. Schiedsrichter seien angehalten, bei Gewaltvorfällen Sonderberichte zu verfassen. Das machen nicht alle - und teils fehlerhaft. „Daraus folgt, dass wir statistisch eine erhebliche Dunkelziffer haben“, sagt sie.

Das Sportgericht sprach eine Sperre bis zum 26. April 2026 gegen Lemmou aus. Er hält die Sperre für überzogen. Seine Mannschaft habe in der Vergangenheit häufig unter schlechten Schiedsrichterleistungen gelitten. „Und natürlich tut mir das, was nach dem Spiel passiert ist, leid“, teilt er mit. Trainer Sahin erhielt eine Sperre von zwei Spielen. Er sieht in der Entscheidung einen Angriff auf seine Person.

Beim Verband gibt es Ansprechpartner für solche Fälle. Das Angebot hat Eisenbach nicht wahrgenommen. „Es war nicht so, dass mich das tagelang mitgenommen hätte“, erklärt der Student. Die Situation sei schon erdrückend gewesen, aber Angst habe er nicht empfunden.

Trotz Angriff: Eisenbach wieder auf dem Platz

Schiedsrichter haben wegen solcher Vorfälle schon aufgehört. „Ich habe keine Sekunde daran gedacht, aufzuhören“, sagt Eisenbach. Er stand seit dem Vorfall bereits mehrfach wieder auf dem Platz.

Trotz der negativen Erfahrung rät er jungen Menschen zur Schiedsrichterei. Es sei eine Lebensschule, in der man lerne, mit unterschiedlichsten Menschen umzugehen. „Man lernt auch, mit Macht umzugehen und Entscheidungen zu treffen“, erklärt er.

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