TGiftige Stoffe aus dem Klärwerk: Zehntausende tote Fische in der Aue
Timo Buning, Vorsitzender des Angelvereins Horneburg, und seine Frau Svenja sammeln tote Fische in der Aue. Foto: Fehlbus
Von Bockholt bis Ohrensen finden sich tote Fische. Zehntausende. Fast alle Arten im Wasser sind betroffen. Als Auslöser in Verdacht: illegal entsorgte Chemietoilettenflüssigkeit.
Kakerbeck. Timo Buning watet in Gummistiefeln durch die Aue bei Kakerbeck. „Alles tot“, sagt der Vorsitzende des Angelvereins Horneburg und schüttelt den Kopf. In seinem Eimer liegen Stichlinge, Köcherfliegenlarven, Wasserschnecken und ein paar Chinesische Wollhandkrabben. Nichts bewegt sich. Seit den 70er Jahren ist dies das größte Fischsterben in der Aue. Auf fünf Kilometern unterhalb der Kläranlage Ahlerstedt-Bockholt sei kein lebender Fisch, Frosch oder Krebs mehr zu finden, sagt er.
Betrieb des Klärwerks wurde sofort eingestellt
Auch Diplom-Landespfleger Ralf Gerken vom Anglerverband Niedersachsen nimmt Proben und sammelt Fische ein. Er wurde vom Angelverein Horneburg als Pächter der Fischereirechte in der Aue zur Beweissicherung und Schadensermittlung hinzugezogen. Sein Verdacht: Der für Fische giftige Stoff Ammoniak könnte aus dem nahen Klärwerk gekommen sein, denn es entwässert in die Aue.

Der Ausgangspunkt der für die Fische tödlichen Verunreinigung: das Klärwerk in Bockholt in der Gemeinde Ahlerstedt. Foto: Fehlbus
Harsefelds Samtgemeindebürgermeisterin Ute Kück, zugleich Betriebsleiterin der Samtgemeindewerke, bestätigt diesen Verdacht gegenüber dem TAGEBLATT. „Wir haben sofort den Betrieb eingestellt und stehen in Kontakt mit dem Umweltamt und der Unteren Wasserbehörde“, sagt sie.
Unüblicher Geruch nach Dixi-Klo im Klärwerk
Im Klärwerk Ahlerstedt-Bockholt gab es offenbar am Sonntagabend erste Auffälligkeiten. Zunächst wurde bei der Anlage ein unüblicher Geruch wahrgenommen, der an Dixi-Klos erinnert. Schließlich schlugen die Messstellen der Anlage Alarm.
Am Dienstagnachmittag informierten zwei aufmerksame Jungangler ihren Jugendwart über auffallend viele tote Fische in der Aue. In Höhe Kakerbeck wurde dann am Dienstagabend das große Fischsterben festgestellt. Laut einem Sprecher des Amtes für Wasserwirtschaft und Küstenschutz war das auf eine hohe Ammonium-/Ammoniak-Konzentration im Wasser zurückzuführen. Ungünstige klimatische Bedingungen taten ihr Übriges: Die Aue führt derzeit wenig Wasser.

276 tote Fische auf 30 Metern Bachlauf. Das ist die Bilanz der ersten Stunden. Foto: Anglerverband
In der Nacht kam es dann zum Einsatz des Kreisumweltzugs unter Beteiligung der Kakerbecker Feuerwehr. Am Mittwoch nahmen die Angler ihre erste Prüfrunde auf und waren vom Ausmaß geschockt. „276 tote Fische auf 30 Metern Strecke“, sagt Ralf Gerken. Das lasse sich zwar nicht einfach so hochrechnen, aber: „Es ist davon auszugehen, dass hier Zehntausende Fische gestorben sind.“ Dass sie hauptsächlich die kleinen Stichlinge fänden, liege an der beschildeten Haut dieser Fische, sagt Gerken. Diese schütze vor dem schnellen Vergehen.
Erhebliche Schädigung des Fischbestands befürchtet
Von den größeren Fischarten fanden die Angler nur noch schleimige Reste. „Die Bakterien zersetzen alles im Wasser schnell“, sagt Gerken. Dem Bild nach gehe er davon aus, dass der fischtoxische Stoff vor fünf bis sieben Tagen in die Aue gelangte. Einige größere Fische wie Forellen könnten auch weggeschwommen sein, vermuten die Angler.

Tote Wollhandkrabbe und tote Stichlinge: Sie werden im Moment in großen Mengen gefunden. Foto: Fehlbus
Viele von ihnen sind am Donnerstagmorgen zwischen Ahlerstedt und Harsefeld im Einsatz, um zu dokumentieren und Faulgase zu verhindern. Vor allem scheinen tierische Organismen der kleineren und mittleren Größe betroffen zu sein.
„Wir haben die Befürchtung, dass es zu einer erheblichen Schädigung des Fischbestandes, des Makrozoobenthos und der Gewässerökologie bis weit in das Naturschutz- und FFH-Gebiet mit seinen wertgebenden Arten und Lebensgemeinschaften gekommen ist“, so Gerken. Das tatsächliche Ausmaß lasse sich noch nicht abschätzen.
Anzeige gegen unbekannt gestellt
Darauf verweist auch das Umweltamt des Landkreises. Zum jetzigen Zeitpunkt sei es noch zu früh, um die langfristigen Folgen für die Gewässerqualität zu beurteilen. Tote Fische und andere Tiere im Wasser wurden mindestens bis Ohrensen gefunden.
„Wir haben Anzeige gegen unbekannt gestellt“, sagt Samtgemeindebürgermeisterin Kück. Es deutet sich an, dass die Probleme bei der biologischen Reinigungsstufe der Kläranlage ausgelöst wurden. Der Verdacht: eine illegal über die Kanalisation entsorgte Chemietoiletten-Flüssigkeit oder etwas Ähnliches.
Derzeit wird das Wasser in einem Zwischenspeicher bei der Kläranlage aufgefangen. Und es wird an der Stabilisierung der biologischen Reinigungsstufe gearbeitet, unter anderem durch die Zuführung von Schlamm mit Bakterienkulturen aus dem Harsefelder Klärwerk. Einige Tage wird es noch dauern, bis die Anlage wieder im Gleichgewicht ist.
Die Aue fließt derweil etwas trüber als sonst dahin. „Wir hoffen, dass sich der Fluss selbst reinigt“, sagt Gerken und hebt eine Köcherfliegenlarve aus dem Eimer. Ein Kopf schiebt sich raus: Diese Larve hat in ihrem Köcher überlebt.

Ralf Gerken, Fachmann des Niedersächsischen Anglerverbands, zeigt tote Stichlinge. Foto: Fehlbus
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