TGlencore plant Stellenabbau im Norden: Betriebsräte sind auf Zinne

In der Hütte kocht nicht nur das Blei, sondern auch die Gemüter haben sich erhitzt. Die Betriebsräte kritisieren einzelne Führungskräfte massiv und vermissen ein Konzept zur Sicherung des Standorts. Foto: Assanimoghaddam/dpa
Besorgte Betriebsräte, eine alarmierte IG Metall, heftige Vorwürfe: Bei Glencore in Nordenham ist mächtig Druck auf dem Kessel.
Nordenham. Was ist los bei der Blei- und Zinkhütte im Nordenhamer Stadtteil Friedrich-August-Hütte? Bis vor wenigen Monaten stand der Hüttenbetrieb mit positiven Nachrichten in den Schlagzeilen: Investitionen für den Umweltschutz, Senkung der Schadstoffemissionen, Erweiterung der Produktpalette, Verwertung neuer Recyclingmaterialien, Umbau der Hütte zu einem klimafreundlichen Unternehmen.
Diesen Prozess will das Bundeswirtschaftsministerium in den nächsten Jahren sogar mit 360 Millionen Euro unterstützen. Einen entsprechenden Scheck hat der Geschäftsführer von Glencore Nordenham, Thomas Hüser, im Oktober vergangenen Jahres in Berlin abgeholt. Der Weg in eine umweltfreundliche, sichere Zukunft des Nordenhamer Betriebes mit seinen rund 850 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen schien gesichert.
„Die Stimmung der Belegschaft kippt“
Ein knappes Jahr später ist von diesem Optimismus nicht mehr viel zu spüren. „Die Stimmung in der Belegschaft kippt“, heißt es in einem Schreiben des Betriebsrates an die örtliche Betriebsleitung, das der „Kreiszeitung Wesermarsch“ vorliegt. Und weiter in dem an Florian von Steinkeller adressierten Brief: „Wir haben das Gefühl, dass Sie unsere Rechte als Betriebsräte nicht ernst nehmen und uns persönlich auch nicht.“
Florian von Steinkeller kam noch am Tag der Übergabe des Förderbescheids als neuer amtierender Chef, als „Acting CEO“, zu Glencore Nordenham. Gemeinsam mit ihm wurde die Finanzmanagerin Anita Kovácsné Gönczi durch den Konzern als Mitglied des neuen Führungsteams bestimmt. Die Beiden haben nun das Sagen am Standort. Und Geschäftsführer Thomas Hüser? Wurde offensichtlich entmachtet und ist für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Jungunternehmer
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Glencore ist weltweit einer der größten Rohstoffkonzerne. Das Unternehmen mit Sitz in der Schweiz hat das erste Halbjahr 2025 mit roten Zahlen abgeschlossen. Der Börsenwert hat sich halbiert, die Nettoschulden sind im ersten Halbjahr auf 14,5 Milliarden Euro gestiegen. Die Zinksparte ist hochdefizitär. Zwei Ursachen für diese Talfahrt: starke chinesische Konkurrenz in der Hüttenindustrie und Überkapazitäten bei der Kohle. Die Konkurrenz aus China fertigt in oftmals technologisch moderneren Anlagen zu günstigeren Preisen.
Konzern will 1 Milliarde Dollar einsparen
Konzernweit sollen bei Glencore bis Ende 2026 1 Milliarde US-Dollar eingespart werden. Mehr als die Hälfte der Einsparungen soll noch in diesem Jahr realisiert werden. Davon ist auch der Standort Nordenham betroffen. Das hat Glencore auf eine Anfrage der „Kreiszeitung Wesermarsch“ bestätigt. Sachkosten sollen gesenkt, die Personalkosten „angepasst“ werden. Über Fluktuation und ein Freiwilligenprogramm will das Unternehmen die Zahl der Mitarbeiter reduzieren. Die Rede ist nach Information der Kreiszeitung von rund 80 Beschäftigten, also fast einem Zehntel der Belegschaft. Dass Glencore am Standort Nordenham Personal abbaut, ist neu. Auch während des Stillstands der Zinkhütte hatte Glencore in die Zukunft investiert und neue Fachkräfte eingestellt.
„Gemeinsam mit den Betriebsräten und der Gewerkschaft gestalten wir den Weg so, dass er für alle Beteiligten tragfähig ist und den Standort Nordenham stärkt“, schreibt Glencore in der angefragten Pressemitteilung. Diese Sicht teilen IG Metall und Betriebsräte ganz eindeutig nicht. IG-Metall-Geschäftsführer Jochen Luitjens sagt, dass viele offene Fragen unbeantwortet seien. Die Betriebsräte würden nicht ausreichend informiert. Es fehle ein Gesamtkonzept.
Schlägt Glencore 360-Millionen-Förderung aus?
Auf Gewerkschaftsseite befürchtet man sogar, dass Glencore das 360-Millionen-Angebot der Bundesregierung für den energetischen Umbau der Hütte ungenutzt lassen könnte. Denn bei diesen Investitionen müsste Glencore zunächst in Vorleistung treten. Die Förderung der Bundesregierung erstreckt sich über den Zeitraum bis 2041. Diese Förderung wäre aus Sicht derjenigen, die sich um sie bemüht haben, die Lebensversicherung für den Glencore-Standort Nordenham. Was aber, wenn Glencore die Förderung ausschlägt? Glencore habe eine besondere Verantwortung gegenüber der Region, betont IG-Metall-Geschäftsführer Jochen Luitjens. Schließlich kamen das Land Niedersachsen und der Landkreis Wesermarsch Glencore weit entgegen, als der Konzern 2021 die insolvente Bleihütte übernahm. Die Zinkhütte gehörte da schon zu Glencore.
Der Betriebsrat fordert vom neuen Führungsteam Informationen über die konkrete wirtschaftliche Lage ein und vermisst ein klares, durchdachtes Konzept zur Stabilisierung des Standorts. Entsprechende Schreiben des Betriebsrates liegen unserer Redaktion vor. Die Arbeitnehmervertretung spricht von zum Teil „absurden und unsinnigen“ Sparmaßnahmen. Das Vertrauen zwischen Betriebsrat und Unternehmensleitung, das die ersten Jahre nach der Übernahme durch Glencore geprägt hatte, scheint erschüttert.

Eine Sternstunde für Glencore Nordenham: Der damalige Wirtschaftsminister Robert Habeck (links) überreicht Glencore-Geschäftsführer Thomas Hüser einen Förderbescheid über 360 Millionen Euro für den ökologischen Umbau der Bleihütte. Bleibt dieses Geld nun liegen, weil Glencore den Umbau nicht mehr vorfinanzieren will oder kann? Foto: Glencore
Finanzchefin Anita Kovácsné Gönczi hat ihren Lebensmittelpunkt in Budapest, Florian von Steinkeller fliegt aus London ein. Beide sind, so die Kritik von der Arbeitnehmerseite, nicht vollzeit vor Ort und werden in der Belegschaft, wie man hört, als „Abwickler“ wahrgenommen. Der erfahrene Metall-Manager Koen Demesmaeker, der gemeinsam mit Thomas Hüser, die Integration der Hütte in den Glencore-Konzern maßgeblich gestaltet und viele Investitionen angeschoben hatte, musste im vergangenen Jahr überraschend gehen. Thomas Hüsers Entlassung soll nach Informationen der Kreiszeitung trotz aller Erfolge am Standort unmittelbar bevorstehen.
Nordenham fehlen die Fürsprecher
Weitere Führungskräfte, die an der Zukunft des Hüttenstandorts gearbeitet hatten, wurden in den vergangenen Monaten gekündigt oder sind von sich aus gegangen, weil sie den aktuellen Kurs der Hüttenbetriebe für falsch halten.
Insider bringen diesen Kurswechsel in Zusammenhang mit dem Ausscheiden des Glencore-Managers und Anteilseigners Nick Popovic vor zwei Jahren. Popovic verantwortete unter anderem das Zink-, Blei- und Kupfergeschäft des Konzerns und galt als Verfechter des Standorts Nordenham.

Die Zukunftsaussichten für den Hüttenstandort Nordenham verdunkeln sich. Die IG Metall fordert ein klares Bekenntnis des Glencore-Konzerns zu Nordenham. Foto: Heilscher
Die Betriebsräte üben massive Kritik am aktuellen Führungsduo. So heißt es, dass die Finanzchefin Mitarbeiter drangsaliere: „Sie hat alles getan, um das Vertrauen zu verspielen und hat vieles kaputt gemacht“, heißt es in einem Betriebsratsschreiben. Auch die Kommunikationskultur der neuen Führung wird kritisiert.
Die Arbeitnehmerseite macht sich Sorgen um die Entwicklung des Standorts und fordert von Glencore ein klares Ja zu Nordenham. So seien weitere Investitionen dringend erforderlich, allein schon, um die Arbeitssicherheit am Standort zu garantieren. In einem unserer Zeitung vorliegenden anonymen Schreiben an Glencore-CEO Gary Nagle heißt es, dass örtliche Führungskräfte Berichte schönen würden, um bei der Konzernzentrale einen guten Eindruck zu hinterlassen.
Pier scheint völlig marode zu sein
Am besorgniserregendsten sei, dass bei einer Untersuchung Ende 2024 schwerwiegende Mängel am Pier festgestellt worden seien. Das decke sich mit der Einschätzung örtlicher Behörden. Die Situation sei eine Gefahr für die am Pier tätigen Mitarbeiter, aber auch für den Materialfluss im Werk. Dennoch dürfe über diesen Missstand mit der Konzernleitung nicht kommuniziert werden.
Abschließend heißt es in einem anonymen Schreiben an den Konzernchef Gary Nagle: „Wir befürchten, dass eine Fortsetzung dieser Vorgehensweise unseren Standort völlig ruinieren wird und wollten, dass die Zentrale über die Situation vor Ort informiert ist. Wir haben uns für diesen anonymen Ansatz entschieden, da eine Umstrukturierung vorgesehen ist und wir Vergeltungsmaßnahmen befürchten.“