Zähl Pixel
Küstenschutz

TGroßes Fragezeichen beim Deichbau in Nordkehdingen

Der alte Schutzdeich liegt direkt am Ort in Balje, davor erstreckt sich das Land bis zum neuen Schutzdeich. Dazwischen liegt das EU-Vogelschutzgebiet.

Der alte Schutzdeich liegt direkt am Ort in Balje, davor erstreckt sich das Land bis zum neuen Schutzdeich. Dazwischen liegt das EU-Vogelschutzgebiet. Foto: Klempow

Deichbau über Jahrzehnte? Das will an der Elbe keiner. Aber die EU lässt Ausnahmen für Bauarbeiten im Vogelschutzgebiet zu - unter bestimmten Bedingungen.

author
Von Grit Klempow
Dienstag, 06.05.2025, 10:50 Uhr

Balje. Der Elbdeich muss erhöht und verstärkt werden, denn der Meeresspiegel steigt. Aber gebaut werden kann nur in der sturmflutfreien Zeit von April bis September. In Nordkehdingen könne es Jahrzehnte dauern, bis der Deich verstärkt ist - wenn außerdem auf die Brut- und Setzzeit im EU-Vogelschutzgebiet Rücksicht genommen werden muss, so die Befürchtung im Norden des Landkreises.

Auf Initiative von Baljes Altbürgermeister Hermann Bösch hatte deshalb der CDU-Abgeordnete im Europaparlament, David McAllister, das Problem der zuständigen Kommissarin in Brüssel geschildert. Ihre Antwort bestätigt, dass Ausnahmen von den strengen Regeln im Natura-2000-Gebiet möglich sind.

Ausnahmen bei überwiegendem öffentlichen Interesse

EU-Umweltkommissarin Jessika Roswall verweist darauf, dass die entsprechende FFH-Richtlinie durchaus flexibel sei. Sie zitiert Artikel 6(4). Die zuständige Behörde könne einen Plan oder ein Projekt genehmigen, obwohl dadurch die Erhaltungsziele eines Gebiets erheblich beeinträchtigt würden, „wenn es keine Alternativen dazu gibt, wenn es aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses erforderlich ist und wenn Ausgleichsmaßnahmen durchgeführt werden“. Der Ausgleich der Eingriffe (Kohärenzmaßnahmen) soll gewährleisten, dass das Netz von Natura-2000-Gebieten bewahrt bleibt.

Es dürfte unbestritten sein, dass ein Deich, der Mensch und Tier vor dem Wasser schützt, im überwiegend öffentlichen Interesse liegt. Dass Ausnahmen möglich sind, wenn durch die Planung entsprechende Ausgleichsmaßnahmen abgesichert sind, war bereits im Februar bei einer Podiumsdiskussion in Balje Thema.

Prüfungsergebnis durch ein Planungsbüro

Es gibt allerdings ein großes Fragezeichen: Wie genau können solche Ausgleichsmaßnahmen aussehen? Das ist derzeit noch unklar. Der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) als Planungsbehörde und der Deichverband Kehdingen-Oste als Bauherr warten auf das Prüfungsergebnis durch ein Fachbüro, das die Auswirkungen auf das Vogelschutzgebiet untersucht. Durch Kohärenzmaßnahmen sollen die Beeinträchtigungen für bestimmte Arten minimiert werden, zum Beispiel durch Ersatzhabitate oder Umsiedlungen.

Hermann Bösch jedenfalls sieht sich durch Brüssel bestätigt und verweist auf die nur temporären Beeinträchtigungen durch den Deichbau im Vogelschutzgebiet. „Wir können also vor Ort aktiv werden, ohne dass Brüssel Nein sagt, jetzt haben wir die Bestätigung dafür“, folgert er. In seinen Augen sei die Rücksicht auf die Brutzeit der Uferschnepfe „vom Tisch“.

Landkreis sieht NLWKN als Planungsbehörde in der Pflicht

Auch der Landkreis Stade sieht seine Position gestützt, „dass der Deichbau möglich ist, wenn entsprechende Kohärenzmaßnahmen umgesetzt werden“. Der Landkreis sieht den zuständigen NLWKN in der Pflicht. Dessen Aufgabe sei es nun, „die Alternativlosigkeit der Trasse zu belegen“ und damit auch, warum eine Deichrückverlegung nicht infrage komme.

Unterm Strich fasst das Schreiben der Kommissarin die gängige Praxis zusammen. „Wenn die Maßnahme im FFH-Gebiet zwingend erfolgen muss, was hier der Fall ist, muss dazu ein Flächenausgleich (Kohärenz) erfolgen“, sagt Mathias Eichler von der Pressestelle des Umweltministeriums in Hannover. Zudem verweise die EU-Kommissarin auf das Bundesnaturschutzgesetz, das die FFH-Richtlinie in nationales Recht umsetzt. „Daher sind die Vorgaben dort auch aus Sicht der EU-Kommission zwingend zu beachten, auch bei jedem Deichbau.“ Die Planung müsse schließlich gerichtsfest sein.

Bei einem Treffen, initiiert vom Landkreis Stade, hatten sich Umwelt- und Deichverbände darauf verständigt, gemeinsam nach Lösungen zu suchen und erneut zu tagen, wenn das Gutachten vorliegt. Am Dienstag, 6. Mai, tagt beim Landkreis die Zukunftswerkstatt Küstenschutz.

Copyright © 2025 TAGEBLATT | Weiterverwendung und -verbreitung nur mit Genehmigung.

Weitere Artikel