Zähl Pixel
Wohnungsbau

TGummi-Schmidt-Gelände: Nachbarn sorgen sich um Neubaupläne von Lindemann

Juliane Borgmann vor ihrem Haus in der Kerstensstraße. Ihr Haus ist das kleinste in der Straße. Gegenüber liegt die nach dem Abriss von Gummi-Schmidt für den Neubau vorbereitete Fläche.

Juliane Borgmann vor ihrem Haus in der Kerstensstraße. Ihr Haus ist das kleinste in der Straße. Gegenüber liegt die nach dem Abriss von Gummi-Schmidt für den Neubau vorbereitete Fläche. Foto: Klempow

Das ehemalige Fabrikgelände von Gummi-Schmidt in Stade wird neu bebaut. Jetzt machen sich Nachbarn Sorgen, ob die Häuser zu hoch in den Himmel wachsen. Das sagen Stadt und Investor.

Von Lars Strüning und Grit Klempow Dienstag, 09.07.2024, 07:52 Uhr

Stade. Eines schicken sie vorweg: Es gehe nicht darum, nicht zu bauen. Aber auch nicht so, wie es der Bebauungsplan-Entwurf der Stadt für das ehemalige Gummi-Schmidt-Gelände vorsieht. „Ein bisschen mit Maß“, wünschen sich Juliane Borgmann und Katja Peets im Namen ihrer Nachbarschaft. Sie leben in der Kerstensstraße. Eine Straße, in der sich kaum zwei Fahrzeuge begegnen können, und in der es keine Parkplätze gibt.

Das sagen die Nachbarn - das sagen Stadt und Investor

Der Bebaungsplan-Entwurf hat die Anwohner überrascht. Ihr Vorwurf: Die Planungen stimmen nicht mit den im Februar im Rathaus vorgestellten Plänen überein. Die Anwohner kritisieren mehrere Punkte des Entwurfs. Das TAGEBLATT stellt die Befürchtungen der Nachbarn und die Aussagen von Stadt und Investor gegenüber.

Die Geschosshöhen. Als das Projekt erstmals vorgestellt wurde sei von maximal zwei Vollgeschossen mit Staffelgeschossen gesprochen worden. Der Bebauungsplan lässt aber direkt an der Kerstensstraße drei Geschosse zu. Die Gebäude fielen weitaus höher aus.

Die alte Gummiwarenfabrik in der Nachbarschaft war auch „nicht gerade attraktiv“ - aber auch nicht so hoch wie die Häuser, die die Firma Lindemann nun gegenüber bauen will. Der Bebauungsplan lasse Traufenhöhen von 12,5 Metern (Firsthöhe 14 Meter) zu. „Diese Zahl scheint nichts mehr mit den vorgestellten maximal zwei Vollgeschossen zur Bestandsbebauung in der Kerstensstraße zu tun zu haben“, kritisieren sie. In ihrer Straße stehen nur ein- und kaum zweigeschossige Häuser. Wird die erlaubte Bauhöhe ausgeschöpft, werden diese in den Wintermonaten kaum noch Tageslicht erhalten, fürchten die Anwohner.

Die Visualisierung eines Teils des Neubauvorhabens: Rechts der massive Baukörper gegenüber von Kaufland, dann gehen die Geschosshöhen Richtung Wohnbebauung herunter.

Die Visualisierung eines Teils des Neubauvorhabens: Rechts der massive Baukörper gegenüber von Kaufland, dann gehen die Geschosshöhen Richtung Wohnbebauung herunter. Foto: Lindemann

„An den ursprünglichen Plänen hat sich nichts geändert“

Stadt und Investor Friedrich Witt vom Stader Bauunternehmen Lindemann zeigen Verständnis für die Sorgen, sagen aber auch deutlich: An den ursprünglichen Plänen habe sich nichts geändert. Die Vorgaben aus dem damaligen Architektur-Wettbewerb, den Lindemann als Eigentümer der Flächen freiwillig angestrengt hatte, um für die 200 anvisierten Wohnungen städtebaulich eine gute Lösung zu finden, habe sich nichts geändert.

Zur Kerstensstraße hin werde es eine zweigeschossige Bebauung geben, die, so Erster Stadtrat Lars Kolk, an der Grenze optisch sogar eingeschossig wirkt. Das liegt daran, dass das Dach der Häuser mit leichtem Gefälle zur Kerstensstraße ausgerichtet ist.

Was das Problem sein könnte: Die im Bebauungsplanentwurf aufgezeigten Gebäudehöhen beziehen sich immer auf Normalnull, erklärt Claudia Heitmann vom Stadtplanungsamt. Da das Gelände etwa drei Meter über Normalnull liege, müsse das von den Gebäudehöhen abgezogen worden. Vermutung von Lars Kolk: „Die Anlieger haben den Bebauungsplanentwurf anders gelesen, als wir es gemeint haben.“

In der schmalen Kerstensstraße gibt es nur wenige zweigeschossige Häuser. Der Vorgarten (rechts) soll noch einem 1,5 Meter breiten Fußweg weichen, der entlang der Straße geplant ist.

In der schmalen Kerstensstraße gibt es nur wenige zweigeschossige Häuser. Der Vorgarten (rechts) soll noch einem 1,5 Meter breiten Fußweg weichen, der entlang der Straße geplant ist. Foto: Klempow

Erfolg für Anlieger: Redaktionelle Änderungen im B-Plan

Auch wenn ein Missverständnis vorliegt, haben die Nachbarn mit ihrer Eingabe zu den Plänen einen kleinen Erfolg errungen. Die Stadt will die Gebäudehöhen, Geschosszahlen und den Abstand zur Baugrenze noch einmal detailliert und unmissverständlich in den redaktionellen Text der Pläne aufnehmen.

Lindemann hat freiwillig ein Verschattungsgutachten erstellen lassen. Das kommt zu dem Schluss, dass die Neubauten keine negativen Auswirkungen auf die umliegenden Gebäude haben. Das mag auch daran liegen, dass zur Kerstensstraße hin, die Häuser 3,80 Meter von der Grundstücksgrenze abgerückt werden. Die Mauern der Fabrikgebäude dagegen, standen direkt an der Grundstücksgrenze.

Das größte Gebäude. Inwiefern der circa 30 Meter hohe „Turm“ gegenüber von Kaufland ins Bild der Innenstadt passe, sei noch eine andere Frage. Für die Anwohner sieht es so aus, als werde für diese Bebauung im Vergleich zum benachbarten Wetternviertel mit zweierlei Maß gemessen.

Auf dem Bauzaun-Banner zeigt eine Visualisierung, wie die derzeit freie Fläche zur Kerstensstraße hin bebaut werden soll.

Auf dem Bauzaun-Banner zeigt eine Visualisierung, wie die derzeit freie Fläche zur Kerstensstraße hin bebaut werden soll. Foto: Klempow

Ein 28 Meter hoher Wohnturm als Landmarke

Der „Turm“ sei städtebaulich bewusst so gewählt worden. Er ist 28 Meter hoch und soll gegenüber dem massiven Kaufland-Bau wie eine Landmarke des neuen Quartiers wirken. Hier sollen später womöglich auch Studenten- oder Azubi-Wohnungen sowie Senioren-Unterkünfte entstehen. Auch daran hat die Stadt ein großes Interesse. Vorgabe war, dass der markante Baukörper mit seinen sieben Geschossen nicht höher als das Gasometer wird.

Die Parkplätze. Geplant werde mit 0,6 Parkplätzen pro Wohneinheit. „Im Durchschnitt gibt es aber 1,4 Autos pro Wohneinheit“, sagt Katja Peets. Dabei sei die Parksituation bereits „am Limit“, der gesamten Innenstadt fehlten Parkplätze, viele stellen ihre Autos schon jetzt in Parkverbotszonen ab „und erschweren den Anwohnern die Zufahrt zu ihren Grundstücken“.

Seit dem 1. Juli des Jahres gibt es in Niedersachsen keine Vorgaben mehr, dass Stellplätze bei Neubauten geschaffen werden müssen. Das soll Investitionen in dringend benötigten Wohnraum erleichtern. Damit entfällt auch die Stellplatzordnung der Stadt. Theoretisch müsste Lindemann also gar keine Parkplätze mehr anbieten, was allerdings später für die Vermarktung nicht gerade förderlich wäre.

Wohnungsbau seit 1. Juli ohne neue Parkplätze erlaubt

So sind laut Friedrich Witt weiterhin deutlich mehr als 100 Parkplätze vorgesehen, größtenteils in einer Tiefgarage. Das soll in einem Vertrag zwischen Stadt und Lindemann festgeschrieben werden. Die Stadt könnte regulierend eingreifen, indem sie hier nur noch Anwohner-Parken erlaubt.

Der Boden. „Wir haben Bedenken mit Blick auf eine mögliche Grundwasserabsenkung“, so Peets. Sie fordern ein Bodengutachten. Der Baugrund im Viertel sei schwierig, das habe man schon beim Bau des Stadeums festgestellt. Die Anwohner fürchten Setzungen ihrer Häuser, wenn es zu Grundwasserabsenkungen kommt.

Eine Grundwasserabsenkung wie einst beim Stadeum-Bau ist nicht vorgesehen, sagt Friedrich Witt. Seine Firma bietet allen Nachbarn ein Beweissicherungsverfahren an, wie es dies schon während der Abbruchphase von Gummi-Schmidt gab.

Stadt und Investor sind überzeugt davon, städtebaulich eine gute Lösung vorzuhalten, die das Viertel deutlich aufwerten wird. Friedrich Witt verweist noch auf eine extra angepeilte Zertifizierung zu Ökologie, Nachhaltigkeit und Barrierefreiheit. Er verweist auf eine Aufwertung der Park- und Grünflächen auf dem und rund um das Gelände und auf neue Wege mit neuen Verbindungen über die bislang abgeschottete und komplett versiegelte Industriebrache.

Ein Bauzaun umgibt das ehemalige Gummi-Schmidt-Areal in Stade. Geplant sind auf dem Gelände Wohnungen und gegenüber von Kaufland ein 28 Meter hohes Gebäude.

Ein Bauzaun umgibt das ehemalige Gummi-Schmidt-Areal in Stade. Geplant sind auf dem Gelände Wohnungen und gegenüber von Kaufland ein 28 Meter hohes Gebäude. Foto: Klempow

Baustart erfolgt in der zweiten Hälfte 2025

Lindemann will den Bauantrag für die 14 Gebäude noch dieses Jahr stellen. Witt geht davon aus, dass der Baustart dann in die zweite Hälfte 2025 fällt. Ende 2028/Anfang 2029 sollen dann die neuen Mieter einziehen können.

Der Wunsch der Stadt nach einer städtebaulich guten Lösung in der City mit zusätzlichen Wohnungen und die Sorgen der Anwohner würden sorgfältig abgewogen, sagt Claudia Heitmann. Denn auch die Stadt habe ein Interesse daran, einen rechtssicheren Bebauungsplan zu verabschieden.

Weitere Artikel