T„Habe mich gemobbt gefühlt“: Janette Rauch über ihr Ende bei „Notruf Hafenkante“

Janette Rauch spielte in 126 Folgen der ZDF-Serie „Notruf Hafenkante“ mit. Foto: Karena Kanamueller
Über viele Höhen ihrer Karriere ist zu reden und auch über einige Schattenseiten. Schauspielerin Janette Rauch tut das in großer Ehrlichkeit und mit bester Laune: Sie ruht, das ist ganz offensichtlich, zufrieden in sich selbst.
Hamburg. TAGEBLATT: Haben Sie eigentlich ein besonderes Verhältnis zu Hexen?
Janette Rauch: (lacht) Weil ich mich sehr viel mit Märchen befasse und sehr oft im Harz bin, ist das durchaus ein Thema für mich. Ich bin ja keine Märchentante, die nur von bunten Blümchen erzählt, sondern ich gehe das auch historisch an. Dazu gehört dann auch die Zeit der Hexenverbrennungen und die Walpurgisnacht.
Nennen Sie Ihre Ferienwohnung im Harz deshalb Hexenparadies?
Genau (schmunzelt). Ich schaue zwar nur auf den Wurmberg, aber der Brocken ist nicht weit. Und der wird nach heidnischen Überlieferungen als Treffpunkt von Hexenversammlungen ja auch Blocksberg genannt. In der Walpurgisnacht am Abend des 30. April sollen die Hexen im Harz zum Brocken geritten sein, um sich dort am Feuer mit dem Teufel zu paaren. Und auf dem Weg dahin sollen sie alles verhext haben, was ihnen in die Quere kam.
Haben Sie manchmal Phantomschmerzen, wenn Sie sich fast täglich vormittags im ZDF noch als Polizeihauptmeisterin an der Hamburger Hafenkante wiedersehen?
Ich bin sehr, sehr dankbar dafür. Ich lebe davon, denn ich habe ja sonst keine filmischen Einnahmen mehr. Weil ich über das Leistungsschutzrecht Honorare für Wiederholungen bekomme, kann ich mir parallel was ganz Neues aufbauen. Ich kann dafür also nur dankbar sein.
Warum haben Sie nach 126 Folgen einen Schlussstrich unter den „Notruf Hafenkante“ gezogen?
Na ja, das war nicht meine Entscheidung. Nachdem ich mich erst lange gemobbt gefühlt habe, wurde ich am Schluss auch noch gekündigt...
Was ist passiert?
Ich bin eine sehr leidenschaftliche und kraftvolle Schauspielerin, ich habe wohl auch einfach eine natürliche Autorität. Das Thema war dann irgendwann, dass sich manche Kolleginnen und Kollegen von mir an die Wand gespielt fühlten. Und sich ständig über mich beklagten. Starke Frauen haben es vor allem bei narzisstisch geprägten Menschen offenbar oft schwer. Das hat sich lange hingezogen, ich habe lange die Klappe gehalten, aber nie irgendeine Unterstützung bekommen. Und dann wurde ein Schlussstrich gezogen. Aber nicht von mir.
War die Vorabendserie rückblickend denn mehr Fluch oder doch mehr Segen?
Das Ende tat schon schweineweh, und ich war ziemlich durch. Es hat lange gedauert, bis ich wieder obenauf war und neue Kraft hatte. Aber das Schöne war und ist, dass mich das Publikum liebt. Dafür mache ich das ja, deshalb bin ich Schauspielerin geworden. Aber Zuschauer haben ja nichts zu sagen.
Ihr neues Herzensprojekt sind Märchen und damit praktisch das glatte Gegenteil zu einer Polizeiserie vor realem Alltagshintergrund, warum?
Mich fasziniert die alte Sprache der Märchen und die Geschichte dahinter. Ich erzähle ja nicht nur die Haus- und Familienmärchen der Gebrüder Grimm, meine Märchen-Reise geht weltweit. Eigentlich baue ich meinen Märchenkosmos schon spätestens seit 2016 auf, wegen der vielen Dreherei kam ich anfangs allerdings nicht so intensiv dazu. Danach hat ein kluger Mensch von der Arbeitsagentur dann gesagt, ich sollte doch eine Ich-AG aufmachen. So kam das Thema endgültig zu mir.
Braucht eine Welt, die von Fake-News, Lügen und Unwahrheiten oder Manipulationen durch Künstliche Intelligenz mitbestimmt wird, auch noch Märchen?
Für das Publikum ist das ganz offenbar etwas sehr Schönes. Die Menschen fasziniert die Bildersprache der Märchen und auch die Kultur, die sich dahinter verbirgt, vor allem wenn sie aus fremden Ländern kommen. Das erreicht die Leute.
Ist das ein bisschen wie „Yoga für Arme“ oder Flucht aus der Realität?
(lacht) Ich lese ja nicht vor wie Tante Emma. Das Programm ist sehr lebendig, ich spiele das richtig, ich bin jede Figur. Das ist genau das, was mir Spaß macht, dass ich total in den Teufel eintauchen kann, in die Prinzessin, die Trolle, die Zwerge. Ich verändere meine Stimme, das ist sehr lebendig und macht einfach Spaß.
Ihre erste Märchenreise führte nach Afghanistan, China, Persien oder in den Libanon. Alles Lebenswelten, die heutzutage nicht gerade mit märchenhaften Zuständen verbunden sind.
Zum Start hatte ich mich an der Seidenstraße orientiert…
…die heute für viele Synonym für Chinas Wirtschaftsimperialismus ist.
Das ist richtig. Aber ich schicke die Menschen ja nicht nur in eine blumige Welt und lese nur alte Geschichten vor. In meinen Moderationen geht es sehr wohl auch um die Geschichte des jeweiligen Landes, in Irland zum Beispiel um die Hungersnot und die Kartoffelpest. Und es gibt auch kritische Musikstücke. Ich gucke, was ich unterbringen kann, dass es immer auch unterhaltsam bleibt. Das sind keine Blümchenabende. Aber jeder Abend hat auch seine Grenzen.
Sind Kindermärchen, etwa der Gebrüder Grimm, wegen Grausamkeit, Geschlechterklischees oder überkommener Herrschaftsstrukturen zu Recht in Ungnade gefallen?
Ich glaube, das ist ein ganz großer Fehler. Das sind die Geschichten unserer Ahnen, die früher keinen Computer hatten, sondern sich Geschichten erzählten. Das ist ihre eigentliche Qualität. Sie stammen teilweise aus dem Mittelalter, und die Symbolsprache war damals eine andere. Die war oft sehr roh, weil es ja auch immer wieder um das Thema Wiedergeburt ging. Am Ende siegt dann aber immer die Gerechtigkeit. Die Geschichten gehören nicht ins Kinderzimmer, das war der Riesenfehler.
Ist Ihr Herzensprojekt auch ein Stück weit Reaktion auf die brutale Realität, in der älter werdenden Schauspielerinnen trotz immer mehr weiblicher Regisseure oder Produzenten immer seltener geeignete Rollen angeboten werden?
Das ist die bittere Realität und zeigt eine gewisse Dekadenz, weil die Hauptbestimmer eben immer noch andere sind. In Amerika oder England ist man da längst viel weiter. Mit Märchen habe ich allerdings schon 2009 angefangen, als ich grad mit der täglichen Tele-Novela „Rote Rosen“ aufgehört hatte. Ich musste damals mein Langzeitgedächtnis wieder trainieren und habe deshalb an der Universität viele Kurse in Geschichte besucht. So bin ich immer mehr auf die Spur der Märchen gekommen. Nach der Kündigung beim „Notruf Hafenkante“ hat mir das Projekt erst mal Halt gegeben, um alles zu verarbeiten. Ich habe inzwischen sieben Programme.
Bedeuten die Märchen zugleich Ihren Abschied vom Schauspiel?
Ich komme mit den aktuellen Anforderungen im Film- und Fernsehgeschäft nicht mehr so gut klar und spiele derzeit eher nicht mit dem Gedanken neuer Rollen. Es sei denn, es kommt noch mal was richtig Schönes und ich finde, das ist der Megaknaller. Ich hatte außerdem immer ein Vagabundenleben, ich habe als Schauspielerin so viel von der Welt gesehen, so viel machen dürfen und manchmal eben auch auf die Fresse gekriegt, dass ich mich trotzdem nur verneigen und Danke sagen kann. Jetzt sind die Pläne eben andere. Und ich freue mich auf die Dinge, die da kommen.
Zum Beispiel?
Man soll ja eigentlich nicht von ungelegten Eiern sprechen. Aber ich bewerbe mich grad in Bad Sachsa für den dortigen Märchengrund. Das ist Deutschlands ältester Märchenpark, ein magischer Ort. Da könnte ich meine Ausbildung als Theaterpädagogin mit unterbringen und Kindern oder Jugendlichen beim Märchenspiel Möglichkeiten eröffnen, sich selbst besser kennenzulernen. Darauf habe ich Bock. Da hätte ich eine feste Struktur, da könnte ich meine Fantasie und mein ganzes Herz ausleben.
Was würden Sie als Theaterpädagogin an Filmsets als Erstes ändern, wenn Sie könnten?
Zu Streitereien oder Mobbing kommt es in Ensembles auch, weil Produzenten meinen, sie könnten immer alles. Ich glaube dagegen, es ist einfach wichtig, externe Menschen dabei zu haben, die auf die Lebensqualität am Set achten. Wir brauchen praktisch Mediatoren. Dafür sind die Produktionsfirmen gar nicht ausgebildet.
Sie haben 2004 auf Sri Lanka den Tsunami mit Zigtausenden Toten überlebt. Was hat das Erlebnis mit Ihnen gemacht?
Wir waren auf einer Landzunge, das Wasser ist bei uns durchgerauscht und nicht wie an den befestigten Küsten hochgeklettert, wo es die meisten Opfer gab. Wir konnten uns mit etwa 30 Menschen auf einen Yoga-Turm aus Stein mit Plattform retten. Es gab insgesamt vier Wellen, immer wenn das Wasser wieder weg war, sind wir runter und haben noch versucht Sachen zu bergen. Ich hatte sogar meinen Pass noch. Das alles ist eine ganz tiefe, eine ganz archaische Erfahrung. Aber ich war schon als Kind und bin auch heute ein sehr spiritueller Mensch, ich träume Dinge, ich sehe sehr hellfühlig.
Das bedeutet?
So nennt man das, wenn jemand fremde Emotionen als Schwingungen oder Energieflüsse wahrnehmen kann. Die Gabe hatte ich auch schon als Kind. Ich hatte deshalb überhaupt keine Angst. Ich sollte wohl noch hier sein. Auf dieser Welt. Ich habe ja dort sogar einen Motorradunfall überlebt, als mein Bike in der Mitte durchbrach.
Zur Person
Das erste Mal schrieb Janette Rauch (61) schon 1986 Geschichte. Als Hauptdarstellerin in der Mädchenrolle führte sie vier Jahre lang das erste deutsche Erfolgsmusical „Linie 1“ des West-Berliner Grips-Theaters zu bundesweitem Renommee. Danach folgten Dutzende Kino- und Fernsehfilme – unter anderem an der Seite von Hape Kerkeling – sowie etliche Serien, darunter fast 400 Folgen der Tele-Novela „Rote Rosen“. Von 2011 bis 2018 spielte sie in 126 Folgen der erfolgreichen ZDF-Vorabendserie „Notruf Hafenkante“ die ebenso taffe wie beliebte Polizeihauptmeisterin Claudia Fischer. Rauch ist Tochter eines Schweizer Vaters und in Berlin aufgewachsen, ihre Mutter lebte und ihre Geschwister wohnen in der Schweiz. Sie studierte an der Universität der Künste Berlin und von 2010 bis 2012 an der Filmschule Hamburg-Berlin. In ihrem aktuellen Projekt „Märchen-Kosmos“ liest und erzählt die ausgebildete Theaterpädagogin Märchen für Erwachsene mit Musikbegleitung. Die Schauspielerin lebt im Hamburger Stadtteil Ottensen, sehnt sich aber mittelfristig nach einem Wohnortwechsel in den Harz – in ihr „Hexenparadies“ nach Braunlage, das sie zurzeit noch als Ferienwohnung vermietet.
Bitte ergänzen Sie...
Meer oder Berge? Ich wandere einfach gern in den Bergen, das ist Schweiz, das ist auch der Harz.
Alster oder Züricher See? Dann doch der Züricher See, das ist wirklich Heimat und die Kulisse mit den Alpen ist einfach toll, wenn das Wetter klar ist.
Labskaus oder Käsefondue? Ich esse Labskaus total gerne, also ganz klar.
Print oder Online? Ich habe einfach gerne ein Buch in der Hand, Recherchen mache ich allerdings im Internet.
Mails oder Brief? Eigentlich Mails, zumal die Feder meines neuen Füllers zu kratzig ist und gewechselt werden muss. Aber neue Ideen schreibe ich mit der Hand auf.
Social Media oder lieber nicht? Nicht so gern, aber wenn ich den Märchengrund übernehmen sollte, gehört das dazu, auch fürs Merchandising. Vielleicht haben dann ja zwei, drei junge Menschen Bock, da etwas mit mir aufzubauen.