TDiagnose Krebs: Ein Stader Lehrer und sein Masterplan für das Überleben

Im Jahr 2015 stellte ein Arzt bei Horst Delekat die Diagnose Krebs. Sein Körper ist von der Krankheit gezeichnet. Foto: Berlin
Horst Delekat (69) aus Stade hat den Krebs besiegt. Er erzählt, wie. Eine Schlüsselrolle spielen seine Frau, Freunde und der Sport.
Stade. Die knapp fünf Kilometer lange Laufrunde von Horst Delekat (69) beginnt und endet an einem Hydranten neben einer Tankstelle an der Bremervörder Straße in Stade. Es ist die „Kathof-Runde“. Die führt durch die Schwingewiesen und am namensgebenden Katharinenhof vorbei.
Delekat trägt blaue Laufschuhe, schwarze lange Hose, schwarz-blaue Jacke, ein Tuch um den Hals und eine Brille mit getönten Gläsern. Er sieht fertig aus, als er an diesem Tag im Spätherbst am Hydranten ankommt. Er nimmt die Treppe zu seinem Appartement in einem Mehrfamilienhaus. Delekat atmet schwer. 28 Minuten, 4 Sekunden, 1 Zehntel. „Die Zeit ist schlecht“, sagt Delekat.
Der Krebs wirbelt das Leben durcheinander
Minuten, Sekunden und Zehntel notiert Delekat auf einer blauen Karteikarte. Der Juli war ein guter Monat. Am 10. Juli notierte Delekat seine Rekordzeit: knapp unter 26 Minuten und 11 Sekunden. Im Oktober bestritt Delekat im Alten Land seinen 151. Volkslauf seit dem Jahr 2002. 22 sportliche Jahre, in denen Delekat zwischendurch auch über den Tod nachdachte. Nachdenken musste. Der Krebs hat das Leben des heute 69-Jährigen durcheinandergewirbelt.
Im TAGEBLATT-Gespräch dreht Delekat die Zeit zurück. Er ist Lehrer am Vincent-Lübeck-Gymnasium in Stade. Ein beliebter Mann. Ein geschätzter Kollege. Er würde das so nie sagen, aber die anderen tun es. Es sind Osterferien im Jahr 2015, als Delekat erfährt, dass ein Freund an Krebs erkrankt ist. Die Nachricht habe ihm einen Schlag versetzt. Er habe fortan in seinen eigenen Körper hineingehört. Und sein Körper sendete ihm schließlich bedenkliche Zeichen.
Schmerzen beim Schlucken: Diagnose Krebs
Delekat bemerkte Schluckbeschwerden beim Essen. Er hatte Schmerzen. Am ersten Tag der Sommerferien stellte ein Arzt die Diagnose. Krebs. Ein Tumor in der linken Hälfte der Zunge. Delekat vergleicht seinen damaligen Zustand mit einem Kopf in einer Taucherglocke. „Alles war dumpf. Eine andere Welt“, sagt er heute.
Er erzählt, was ihn am Leben gehalten hat. Wer ihm geholfen hat. Was ihm Hoffnung gab und Kraft. Und warum erzählt er seine Geschichte in der Öffentlichkeit? „Vielleicht hilft das ja Menschen, die Ähnliches durchmachen.“

Horst Delekat läuft knapp fünf Kilometer weit unter einer halben Stunde. Foto: Berlin
An jenem ersten Tag der Sommerferien 2015 hatte Delekat das erste und einzige Mal Todesangst. Er stand auf dem Balkon und weinte. Seine Frau Wencke half ihm. Sie sagte, das sei nicht die richtige Einstellung. Die beiden waren erst seit vier Jahren verheiratet. Delekat zitiert seine Frau: „Das Ziel ist, dass du lebst.“
Speiseröhre hat nur noch 8 Millimeter Durchmesser
Die beiden entwickelten einen Überlebensplan. Denn die Diagnose veränderte das Leben. Zwei Wochen Chemotherapie und 35 Bestrahlungen veränderten den Körper. Delekat nahm in vier Wochen 20 Kilo ab. Die untere Gesichtshälfte ist heute noch taub. Eine Nekrose ließ den Unterkiefer langsam zerbröseln. Die Bestrahlung verbrannte die Drüsen, die für den Speichelfluss sorgen. Die Speiseröhre misst im Durchmesser nur noch 8 statt normalen 20 Millimetern. Die Luftröhre wurde schmaler. Seinen Mund kann Delekat nur noch anderthalb Zentimeter weit öffnen.
Horst Delekat notiert die Laufzeiten seiner Trainingsstrecken akribisch genau. Foto: Berlin
Das Entfernen der Zunge war keine Option. Ein befreundeter Mediziner sagte zu Delekat: „Wenn man dich deiner Stimme beraubt, kann man dich gleich einkuhlen.“ Delekat spukten Bilder im Kopf herum. Er mit einem Kehlkopfmikrofon am Hals. „Das fand ich grauenhaft“, sagt er. Also doch lieber Chemo und Bestrahlung.
Delekat aß viel, „um Kilo zu machen wegen des zu erwartenden Gewichtsverlustes“. Er kaufte einen Anglerhut, falls ihm die Haare ausfallen. Er legte sich einen Elektrorasierer zu, falls die Therapie ihn so schwächen würde, dass er sich nur noch im Liegen rasieren könnte. Delekat war vorbereitet. Aber er brauchte das ganze Zeug nicht. „Es war eine interessante, wichtige und grausame Zeit“, sagt Delekat.
Ehemalige Schüler pflegen und therapieren ihn
Vor drei Jahren ging Horst Delekat, der seit 1983 in Stade lebt und arbeitet, in den Ruhestand. Er war ein guter Lehrer. Deutsch, Politik, Geschichte. Arbeitsgemeinschaften neben der Reihe. Er verbrachte viel Zeit mit den Schülern. „Ich wollte immer Lehrer werden, aber nicht so wie einige meiner Lehrer früher“, sagt Delekat. Einige kosteten ihre Macht aus, einige schürten Ängste. Delekat wollte lieber authentisch sein, Respektsperson und Kumpeltyp.

Der Butterkuchenlauf im Alten Land war seit 2002 Volkslauf Nummer 151 für Horst Delekat. Foto: Berlin
In den Monaten der Behandlung und der Therapie, bei der Pflege, in Arztpraxen und Krankenhäusern traf Delekat immer wieder auf ehemalige Schülerinnen und Schüler oder deren Eltern. „Hotte“, „Herr Delekat“, wir sind an deiner oder ihrer Seite, hörte er oft von ihnen. „Ich hätte heulen können vor Glück“, sagt Delekat.
Den 9. Dezember 2015 erklärt Horst Delekat zu seinem zweiten Geburtstag. Es ist der Tag, an dem ihm der befreundete Radiologe und weitere Experten sagen, dass der Tumor restlos beseitigt ist. Dass Delekat krebsfrei ist. „Wencke hat am lautesten gejubelt“, sagt Delekat.
12.000 Menschen bekommen jährlich Zungenkrebs
Etwa eine halbe Million Menschen erkranken in Deutschland jährlich neu an Krebs. Etwa 12.000 davon leiden laut Statistiken an Zungenkarzinomen. Delekat fragte sich nie, warum es gerade ihn erwischt hatte und woher der Krebs kam. Seine Kraft, erzählt er, wollte er in andere Dinge stecken. Das gehörte zum Masterplan, um die fürchterliche Krankheit zu besiegen.
Es war ein Plan der kleinen Schritte. Es trieb Delekat an, wenn die Digitalwaage 800 Gramm mehr anzeigte als im Monat zuvor. Es motivierte ihn, wenn er den Wochenendeinkauf allein erledigte und anschließend die Treppe nahm statt bequem den Lift. Delekat bezeichnet sich außerdem als schlechten Verlierer. Der Sport habe ihn zum Kämpfer gemacht.
Delekat schreibt die beste Chronik Niedersachsens
Er sagte zu, als ihn sein Heimatsportverein aus Bruchhausen-Vilsen fragte, ob er nicht eine Chronik über das 100-jährige Jubiläum schreiben könne. Vollgepumpt mit Schmerzmitteln verfasste Delekat in jenem Jahr die beste Chronik Niedersachsens, ausgezeichnet vom Institut für Sportgeschichte. Er führte Tagebuch und seine Lauflisten. Der Blick auf immer neue Bestzeiten motivierte.
Horst Delekat trainiert heute mehr als früher. Er hat einen Personal Trainer für die Kraft- und Ausdauereinheiten. Er läuft und spielt Tischtennis für den TuSV Bützfleth. In der vierten Kreisklasse spielt die Mannschaft um den Aufstieg mit. In Delekats Statistik stehen 61 Volksläufe seit seiner Genesung. Ab Januar startet er in einer neuen Altersklasse. M70. „Und ich werde, wie immer, das Feld vor mir hertreiben“, sagt Delekat.
Krebspatient ist dankbar für die harte Lebensphase
Humor hat ihm geholfen. „Der Vorteil ist, dass ich nie einen Bauch bekommen werde“, sagt Delekat. Er werde immer windschlüpfrig bleiben. Es gibt alte Fotos, die Horst Delekat mit einem breiten Lächeln zeigen. Ein natürliches Lächeln, eins, das pure Lebensfreude ausstrahlt. Die bleibenden Schäden der Krebserkrankung lassen das heute so nicht mehr zu. Aber wenn Delekat ein Glas Astronautennahrung mit der Geschmacksrichtung Cappuccino mit 400 Kalorien auf ex trinkt und danach sagt „Holla, die Waldfee. Das geht gut ab“, wirkt das ansteckend.
Das Erstaunlichste an dieser Geschichte ist vielleicht die Quintessenz. „Ich bin fast dankbar für das Kennenlernen dieser harten Phase“, sagt Delekat. Er habe wieder die Demut kennengelernt, sei dankbar für jeden Tag.