T„Ich hasse Verschwendung“: Er spendet seine Leiche an umstrittene Körperwelten-Ausstellung

Der Geestländer Detlef Bieritz besucht erstmals die Körperwelten-Ausstellung in Bremen. Er hat sich als Spender für eine Plastination registrieren lassen. Foto: Jan Iven
Die umstrittene Körperwelten-Ausstellung mit echten menschlichen Körpern ist noch bis Ende August in Bremen zu sehen. Auch Detlef Bieritz will seinen Leichnam irgendwann für die Plastination zur Verfügung stellen. Warum hat er sich als Körperspender registrieren lassen?
Das Skelett läuft hinter dem toten Körper her und überreicht ihm einen Staffelstab. Detlef Bieritz steht vor der Vitrine mit den beiden Ausstellungsstücken in der Körperwelten-Ausstellung in Bremen und macht einen Scherz. „Hoffentlich rennen die mich nicht um“, sagt der 65-Jährige aus Köhlen. Der tote Körper ist in der Mitte aufgeschnitten, die Muskeln stehen deutlich hervor. Selbst im Tod wirkt der Mann noch sportlicher als so mancher Lebender.
Was geschieht mit dem gespendeten Körper?
Detlef Bieritz betrachtet die Exponate und stützt sich auf seinen Rollator. Irgendwann könnte auch sein Körper hinter so einer Vitrine stehen. Zumindest hat er seinen Leichnam an das Heidelberger Institut für Plastination gespendet. Dorthin wird der Körper von Detlef Bieritz nach seinem Tod gebracht und in einem monatelangen, aufwendigen Verfahren für die Ewigkeit plastiniert und unter anderem für die Körperwelten-Ausstellungen vorbereitet. Dabei werden Haut, Körperfett und Bindegewebe entfernt. Erhalten bleiben vor allem Muskeln, Sehnen und manche Organe. Zähne und Augen werden teilweise ersetzt.
Was mit seinem Präparat geschieht, weiß Detlef Bieritz nicht. Auch seine Frau wird es nie erfahren. Kinder hat er nicht. Die Präparate werden völlig anonym ausgestellt. Der Fokus soll ausschließlich auf dem menschlichen Körper liegen. Die individuelle Person spielt keine Rolle mehr.
Vielleicht wird er ebenfalls in den Körperwelten-Ausstellungen gezeigt. Vielleicht wird sein Körper der medizinischen Ausbildung dienen. Oder sein Körper und seine Organe dienen als Anschauungsmaterial in einer medizinischen Sammlung. Eigentlich ist es ihm auch egal. „Ich werd‘s ja sehen“, sagt der gebürtige West-Berliner und lacht herzlich. Schwarzer Humor muss sein, wenn es um die Wiederverwendung der eigenen Leiche geht. Berührungsängste mit dem Thema hat er nicht. „Der Tod gehört zum Leben dazu“, sagt er.

Körperspender Detlef Bieritz besucht zum ersten Mal eine Körperwelten-Ausstellung. Foto: Jan Iven
Warum spendet man seinen Körper?
Doch warum spendet jemand seinen Körper, damit dieser nach dem Tod möglicherweise in weltweiten Ausstellungen gezeigt wird? Die Vorstellung ist erst einmal ziemlich merkwürdig. Detlef Bieritz hat darauf unterschiedliche Antworten. Die Erste geht in der Regel so: „Ich bin ja ein Trekkie.“ Also ein Fan der Science-Fiction-Fernsehserien „Star Trek“.
Das außerirdische Volk der Klingonen in der Serie ist dabei sein Vorbild. „Sie glauben, dass beim Tod eines Klingonen sein Geist den Körper verlässt und nur eine wertlose Hülle hinterlässt“, sagt Detlef Bieritz. Für die Angehörigen hat der tote Körper keine emotionale Bedeutung.
Im Kampf werden die Gefallenen einfach zurückgelassen, ansonsten werden tote Klingonen ins Weltall geschossen. Ein bisschen wie bei einem Seemannsgrab. Ähnlich wenig Bedeutung misst Detlef Bieritz seiner eigenen Leiche bei.
Aber: „Leblos heißt nicht wertlos“, wie Detlef Bieritz gern sagt. Andere sollen von seiner Leiche irgendwann profitieren. „Ich hasse Verschwendung. Einen Organspendeausweis habe ich ja auch schon ewig“, sagt er. Und als er vor ein paar Jahren im Internet von der Körperwelten-Ausstellung und der Möglichkeit zur Spende gelesen hatte, meldete er sich sofort.
Vom Heidelberger Institut für Plastination, das vom Mediziner Dr. Gunther von Hagens gegründet wurde, bekam er daraufhin eine Menge Unterlagen zugeschickt, die er unterschreiben sollte. Schließlich muss eine Körperspende juristisch wasserdicht sein. Ein Gespräch oder Treffen in dem Institut gab es nicht. „Ich kann aber auch jederzeit widerrufen“, sagt Detlef Bieritz. Nun trägt er neben seinem Organspendeausweis auch immer einen Spenderausweis des Instituts für Plastination bei sich.
Zum ersten Mal in der Körperwelten-Ausstellung
Detlef Bieritz hat die Ausstellungen bisher noch nicht besucht. Mit der Nordsee-Zeitung trifft er sich nun erstmals bei der aktuellen Ausstellung „Körperwelten - Am Puls der Zeit“, die noch bis zum 25. August im BLG-Forum in Bremen gezeigt wird. Laut Broschürentext zeigt die Ausstellung die Verwundbarkeit des menschlichen Körpers, „aber auch sein Potenzial angesichts der zahlreichen Herausforderungen, die er im 21. Jahrhundert zu bewältigen hat“. Etwa beim Sport, auf einem ebenfalls plastiniertem Pferd oder beim Geschlechtsverkehr, was zumindest in der Vergangenheit für Skandale gesorgt hat.
„Das ist schon aufschlussreich“, sagt der Köhlener. Sonderlich beeindruckt scheint er von den ausgestellten toten Körpern allerdings nicht zu sein. Im Internet hat er schon lange und viel über die Ausstellung und die Plastination gelesen und sich zahlreiche Bilder angeschaut. „Der Unterschied ist, dass die Ausstellung dreidimensional ist und man um die Körper herumgehen kann“, sagt er.
Besonders interessiert sich Detlef Bieritz für die Nieren und Harnleiter, da er selbst unter ziemlich schmerzhaften Harnsteinen leidet. Tatsächlich werden diese Organe, so wie viele andere auch, zusätzlich zu den Körpern ausgestellt. Klassiker ist auch eine dunkle Raucherlunge, die den Gesundheitscharakter der Ausstellung unterstreichen soll. Detlef Bieritz, selbst Raucher, schaut genau hin.

Mitarbeiter Ronny Schmidt, Körperspender Detlef Bieritz und Sophie Koller, Leiterin der Körperwelten-Ausstellung in Bremen. Foto: Jan Iven
Wie viele Menschen haben sich als Körperspender registriert?
Wer sich als Körperspender registriert, bekommt keine Gegenleistung dafür. „Meine Frau hat aber natürlich keine Entsorgungskosten mehr für mich“, sagt Detlef Bieritz. Er sagt tatsächlich „Entsorgung“, meint aber natürlich seine eigene Beerdigung.
Wobei seine Frau von dem ganzen Vorhaben Körperspende überhaupt nichts hält. Und das ist wohl noch untertrieben. Aber Detlef Bieritz ist nicht der Typ, der sich etwas vorschreiben lässt. „Das ist meine Entscheidung“, sagt er.
Mittlerweile haben sich nach Angaben des Instituts für Plastination bereits mehr als 20.000 Menschen als Körperspender angemeldet, die allermeisten stammen aus Deutschland. Etwas mehr als die Hälfte sind Frauen, das Durchschnittsalter liegt bei 64 Jahren. Als Hauptgrund werde von 89 Prozent der Spender angegeben, dass sie einem guten Zweck dienen wollen. Erst auf Platz sieben mit einem Anteil von 31 Prozent landet das Sparen der Beerdigungskosten.
In Niedersachsen sind 1353 Körperspender registriert. In Bremen sind es 121. „Die Ausstellung in Bremen läuft erst 10 Tage und wir hatten bereits Besuch von 32 Körperspendern“, sagt Sophie Koller, Leiterin der Ausstellung. Immerhin: Eintritt muss Detlef Bieritz als Körperspender nicht bezahlen.
Beim Besuch der Ausstellung muss sich Detlef Bieritz auf seinen Rollator stützen. Wenn man ihn nach seinen Beschwerden fragt, entgegnet der gebürtige Berliner: „Frag lieber, was ich nicht habe.“ Die Liste der Krankheiten ist lang. Die seiner Medikamente auch. Fast ein Dutzend muss er täglich nehmen. Gegen das Zittern und die Schmerzen hat ihm der Arzt medizinisches Cannabis verschrieben, das er auf Rezept von der Apotheke geliefert bekommt. Mit der Wirkung ist er sehr zufrieden. Mit seinen Erkrankungen hat seine Bereitschaft zur Körperspende aber nichts zu tun, sagt er.

Der Titan Atlas muss in der griechischen Mythologie die Welt als Strafe auf seinen Schultern tragen. Detlef Bieritz fühlt sich bei dem Anblick an Charlie Chaplins Film „Der große Diktator“ erinnert, in dem der Schauspieler eine Weltkugel balanciert. Foto: Jan Iven
Zeitsoldat, Elektroniker und Motorradfahrer
Schon seit ein paar Jahren ist der gelernte Energieanlagenelektroniker und ehemalige Zeitsoldat offiziell berufsunfähig und daher Frührentner. Er hat bei verschiedenen Großkonzernen in der Wartung gearbeitet. Später hat er sich unter anderem um die EDV von Steuerkanzleien in Österreich gekümmert, wo er mehr als zehn Jahre mit seiner ersten Frau gelebt hat. Nach der Scheidung kehrte er nach Berlin zurück.
Über das Hobby Motorradfahren lernte er seine zweite Frau in Oldenburg kennen, später zogen die beiden nach Köhlen. Dort engagiert er sich im Schützenverein und kümmert sich um die Technik im neuen Verein „Dorfliebe Köhlen“. Das Leben im Ort gefällt ihm gut. „Ich bin eigentlich ein Dorfkind, das in der Großstadt aufgewachsen ist“, sagt er. In die Hauptstadt zieht es ihn allerdings nicht mehr. Zu viel hat sich verändert. Sein altes West-Berlin gibt es nicht mehr.
Sein Traum wäre es, noch mal mit dem Motorrad nach Dubrovnik und an der Adria entlangzufahren. „Im nächsten Leben vielleicht“, sagt er, auch wenn er nicht wirklich daran glaubt. Schon seit seiner frühen Jugend ist er Zweiräder gefahren, besonders gern die italienische Moto Guzzi T3. Ein tolles Hobby, sagt er. Und auch ein Gefährliches. Schon früh hat er Freunde bei Unfällen verloren. Er selbst hat Glück gehabt. „Als Motorradfahrer geht man das Risiko ein und ist sich dessen auch bewusst“, sagt Detlef Bieritz.
Deswegen der Organspendeausweis, den er sich mit der ersten großen Maschine besorgt hat. Die Körperspende ist da vielleicht nur die logische Konsequenz. Und er möchte öffentlich darüber reden, damit auch andere Menschen darüber nachdenken, ob sie sich einen Organspendeausweis zulegen möchte. Oder vielleicht sogar einen Ausweis für eine Körperspende.
Veranstaltung
T Nach jahrelanger Pause: Beliebtes Event ist zurück in Buxtehude
Ausgestellt auf einem Motorrad?
Detlef Bieritz hat irgendwann sogar bei den Machern der Körperwelten angefragt, ob sein plastinierter Körper später auf einem Motorrad ausgestellt werden könnte. Doch solche Zusagen werden nicht gemacht. Wohin seine letzte Fahrt geht, wird niemand erfahren.
Ausstellung „Körperwelten - Am Puls der Zeit“. BLG-Forum, Am Speicher XI 11, Bremen. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag, 9 bis 18 Uhr. Wochenende 10 bis 18 Uhr. Ticket: 21 Euro, ermäßigt 17 Euro, Kinder 15 Euro. Wochentags 2 Euro weniger.