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Heimatgeschichte

TInterniert in Kehdingen: Schwere Nachkriegszeit für Kommandant Herbert Sorge

So sah Cuxhaven um 1947 aus: Die militärischen Anlagen mussten entfestigt und die Geschütze zerstört werden.

So sah Cuxhaven um 1947 aus: Die militärischen Anlagen mussten entfestigt und die Geschütze zerstört werden. Foto: Charles S. Perry Zachary

Herbert Sorge hat als Festungskommandant Cuxhavens vor 80 Jahren kampflos die Stadt den Briten übergeben. Hier erzählen wir, wie es weiterging.

Von Maren Reese-Winne Sonntag, 27.07.2025, 07:50 Uhr

Cuxhaven. Vor 80 Jahren begann Cuxhavens Neuanfang nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Wie Festungskommandant Herbert Sorge am 7. Mai 1945 die britischen Besatzungstruppen empfing und nach Cuxhaven führte, ist Thema eines weiteren Artikels - mit vielen neuen Details dank der Hinweise seiner Familie.

Georg Schmidt-Thomée (Heidelberg), einer seiner drei Enkel, hat diese Erinnerungen zusammengetragen. Wie ging es weiter? Georg Schmidt-Thomées Entdeckung, dass in den Internierungslagern für die Wehrmachtssoldaten die militärischen Hierarchien erhalten blieben, deckt sich mit offiziellen Aufzeichnungen. Sorge war demnach in Krummendeich interniert und zunächst als unabkömmlich eingestuft.

Internierungslager in Kehdingen - heimliche Abstecher zur Familie

Sein Enkel vermutet, dass sein Ansehen bei den britischen Militärbehörden durch die kampflose Übergabe Cuxhavens hoch war; schließlich habe dies auch vielen britischen Soldaten Unheil erspart. So konnte sich Sorge erlauben, die offiziellen Fahrten zwischen dem Internierungslager und der britischen Kommandantur für heimliche Abstecher zu Frau und Kindern in Altenwalde zu nutzen.

Familienfotos, die auch Cuxhavener Geschichte erzählen: Herbert Sorge in den späten 1960er Jahren vor den von allen sehr geliebten Seeterrassen mit dem Musik-Pavillon. Einmal pro Sommerurlaub ging die Familie dort gemeinsam Scholle essen. Foto: privat

Familienfotos, die auch Cuxhavener Geschichte erzählen: Herbert Sorge in den späten 1960er Jahren vor den von allen sehr geliebten Seeterrassen mit dem Musik-Pavillon. Einmal pro Sommerurlaub ging die Familie dort gemeinsam Scholle essen. Foto: privat Foto: privat

Schmidt-Thomée: „Meine Mutter erinnert sich daran, dass sie überrascht war, dass er dort in Uniform auftauchte. Leider blieben die ‚Ausflüge‘ dem Secret Service nicht lange verborgen, Spionageverdacht kam auf. Als der wahre Grund bekannt wurde, bestand man lediglich darauf, dass die Privatbesuche ohne Uniform stattfinden sollten. Diese Bedingung kam für ihn nicht infrage, da er so seine Autorität gefährdet sah. Er musste in diesen Tagen viele unpopuläre Entscheidungen treffen, zum Beispiel über sofortige Entlassungen für Angehörige bestimmter Berufsgruppen. Eine seiner Hauptaufgaben war, die britische Kommandantur bei der ersten Welle der Entnazifizierungen zu unterstützen.“

Zeitweilig rund 260.000 Internierte im Elbe-Weser-Gebiet

Auf seiner Seite www.festungswerke-cuxhaven.de berichtet der Cuxhavener Martin Brütt ausführlich über die Lebensbedingungen und Hierarchien im Internierungsgebiet der „Cuxhaven Peninsula“ (Halbinsel), wo nicht weniger als rund 260.000 Soldaten und Marinebeamte interniert waren.

Nach Aufenthalten im Lazarett in Rotenburg/Wümme, in Verden und Munsterlager/Lüneburger Heide wurde Herbert Sorge am 13. April 1946 nach Hause entlassen, wo sich die Familie inzwischen wie auch andere Angehörige höherrangiger ehemaliger Offiziere dem Vorwurf ausgesetzt sah, quasi alleinverantwortlich für die Katastrophe und das große Leid gewesen zu sein. Das durch die Großmutter angemietete kleine Haus in Altenwalde mit Garten und der Möglichkeit zur Kleinviehhaltung habe die Überlebensgrundlage dargestellt.

Feldblumen in der Stadt verkauft

„Dennoch wurde der Hungerwinter 1946/47 nochmals zu einer furchtbaren Zeit. Herbert Sorge fand nach der Rückkehr aus dem Lager zweieinhalb Jahre keine Arbeit und musste zusehen, wie er seine Familie notdürftigst durchbringen konnte. Im Winter stellte er beispielsweise Ausweis- und Briefmappen her, im Sommer pflückte er Feldblumen und transportierte sie mit dem Fahrrad in die Stadt, wo seine Kinder sie dann an Straßenecken verkauften. Vor und in der Adventszeit 1947 war die ganze Familie damit beschäftigt, kunstvoll gestaltete, vielfarbige Transparente zu fertigen, die trotz der schwierigen Lage gut verkäuflich waren.“

Das Ehepaar Sorge mit Enkel Georg Schmidt-Thomée und Sohn Hans-Martin, Georg Onkel; im Hintergrund der Seepavillon. Die davor liegende Muschelecke wurde später aufgeschüttet. Der kleine Georg lernte in dem Urlaub bei den Großeltern laufen.

Das Ehepaar Sorge mit Enkel Georg Schmidt-Thomée und Sohn Hans-Martin, Georg Onkel; im Hintergrund der Seepavillon. Die davor liegende Muschelecke wurde später aufgeschüttet. Der kleine Georg lernte in dem Urlaub bei den Großeltern laufen. Foto: privat

Dass ihm niemand bei der Suche nach einer angemessenen Anstellung half, habe sein Großvater bitter registriert: „Es wäre eine Möglichkeit gewesen, ihm indirekt für seine Haltung und Leistung am Kriegsende zu danken.“ Eine Ende 1948 aufgenommene Tätigkeit als Versicherungsmakler gab er bald wieder auf: Als ehemaliger Offizier habe er jedoch oft kein Gehör und wenig Sympathie gefunden, „außerdem war es absolut nicht seine Sache, mit Überredungskünsten unschlüssigen Menschen Versicherungen anzudienen“.

Herbert Sorge Mitte der 60erJahre am Steuer des armseligen Kahns Terra; eine Episode, die wegen des Zustands des Schiffes auch ziemlich schnell beendet war.

Herbert Sorge Mitte der 60erJahre am Steuer des armseligen Kahns Terra; eine Episode, die wegen des Zustands des Schiffes auch ziemlich schnell beendet war. Foto: privat

Aus dem nächsten Job in einem Einkaufskontor wurde er 1952 wegen schlechter Auftragslage entlassen. In den 60er Jahren versuchte es Sorge noch einmal in der Handelsschifffahrt, jedoch entpuppte sich das kleine, im Mittelmeer verkehrende Schiff Terra als maroder Seelenverkäufer.

Belege bis zum heutigen Tag aufbewahrt

„Zwar gab es nach Einführung des Artikels 131 Grundgesetz, der unter anderem die Pensionen von Wehrmachtsangehörigen regelte, ab April 1951 sogenannte Übergangszahlungen. Doch wurden seine Einkünfte großteils davon abgezogen, nicht einmal die Kinderzulage von zweimal 20 DM wurde voll ausgezahlt. So erhielt er dann statt 245 Mark die lächerliche Summe von 11,67 DM! Diese Demütigung war so groß, dass sämtliche Bescheide aufgehoben wurden und heute noch schwarz auf weiß vorgelegt werden können.“

In drei Jahren Arbeitslosigkeit ab April 1952 sei es äußerst schwer gewesen, die Familie über Wasser zu halten. Erst im Zuge der Gründung der Bundeswehr sei aus dem Übergangsgeld eine Pensionszahlung geworden: „Zwar einen Rang niedriger eingestuft, aber meine Großeltern konnten nun aufatmen.“

Nach der Zuteilung einer Drei-Zimmer-Wohnung in Cuxhaven zog die Familie 1951 in die Gorch-Fock-Straße 4, wo sie sich anfangs - wie damals nicht unüblich - die Räume mit einer Flüchtlingsfamilie teilte. Ende der 50er Jahre ging es für das Ehepaar Sorge in das Haus des ehemaligen Cuxhavener Oberbürgermeisters Karl Olfers in der Nummer 6.

„Im Erdgeschoss mit Gartenanschluss erlebten meine Großeltern einige glückliche Jahre. Hier durften meine Brüder und ich herrliche Sommerferien verbringen wie auch in den 70er Jahren nach dem Umzug in das Haus Nummer 2 (Ecke Hamburg-Amerika-Straße). Als das Haus 1979 verkauft wurde, mussten meine Großeltern auf ihre alten Tage nochmals umziehen, und zwar in den Strichweg 174.“

Enkel und Urenkel sind Offiziere der Bundesmarine

Dort verstarb Herbert Sorge am 9. April 1980 an den Folgen eines Lungenemphysems.

Nachruf auf Herbert Sorge im Jahr 1980 in den CN.

Nachruf auf Herbert Sorge im Jahr 1980 in den CN. Foto: cnv

Seine Frau Elsbeth lebte bis zu ihrem Tod im Jahr 1985 in der Nähe von Heidelberg nahe ihrer Tochter Wega, die kürzlich im großen Familienkreis ihren 90. Geburtstag begangen hat.

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Georg Schmidt-Thomée: „Mein Bruder ist in die Fußstapfen unseres Großvaters getreten und ist heute ebenfalls Kapitän zur See in der Marine. 1995 hat er als Kommandant mit seinem Schnellboot sogar einmal Cuxhaven einen formellen Besuch abgestattet. Auch sein Sohn ist in die Marine eingetreten und dient aktuell als Kapitänleutnant auf einer Korvette.“

1962 hielt Herbert Sorge in der VHS einen Vortrag über die Marinestadt Cuxhaven, den die Cuxhavener Zeitung besonders umfangreich dokumentierte. Nur sein früheres Wirken wurde mit keinem Wort erwähnt. Foto: Stadtarchiv Cuxhaven

1962 hielt Herbert Sorge in der VHS einen Vortrag über die Marinestadt Cuxhaven, den die Cuxhavener Zeitung besonders umfangreich dokumentierte. Nur sein früheres Wirken wurde mit keinem Wort erwähnt. Foto: Stadtarchiv Cuxhaven Foto: Stadtarchiv Cuxhaven

Sein Großvater habe durchaus Verständnis dafür gezeigt, dass die Stadt Cuxhaven und ihre Bürger die NS- und Kriegszeit samt Kapitulation über viele Jahre verdrängt hätten, weil es so im ganzen Land der Fall war. Dass aber auch später sein Beitrag zur Stadtgeschichte kaum Würdigung erfahren habe, sei für ihn sehr ernüchternd gewesen. 1962 hielt Sorge auf Einladung der VHS einen langen Vortrag über Cuxhaven und die Marine, verbunden mit dem Appell, eine „dritte Menschheitskatastrophe“ zu verhindern.

Kriegstagebuch hat Geschehnisse haarklein festgehalten

Noch ein Blick zurück ins Jahr 1945 aus einer anderen Perspektive: Der Verlauf der letzten Kriegstage ist detailliert im Kriegstagebuch des Admirals Deutsche Bucht Gustav Kleikamp festgehalten, das der Duhner Martin Brütt im Bundesarchiv aufgespürt hat. Die Unterlagen belegen, dass Großadmiral Dönitz die Anordnung zur Zerstörung der deutschen Häfen am 30. April aufgehoben hat. Dieser Befehl wurde natürlich als geheime Kommandosache an die Dienststellen weitergeleitet.

Das Kriegstagebuch des im Fort Kugelbake stationierten Admirals Deutsche Bucht, Kleikamp, enthält viele Details zu den Ereignissen in Cuxhaven. Demnach war dies auch der einzige Ort, der sich gegen das Verbot, die militärischen Versorgungslager für die Zivilbevölkerung zu öffnen, widersetzt hat.

Für den 7. Mai 1945 notiert Admiral Kleikamp im Kriegstagebuch: „Nichts zu bemerken, außer der Tatsache, dass britische Truppen (...) in das bisher nicht besetzte Gebiet zwischen Wesermünde und Cuxhaven einrücken.“ Zu dem Zeitpunkt ist in seiner Dienststelle im Fort Kugelbake schon eine britische Wache mit einem Offizier und 20 Mann eingetroffen. Quelle: Bundesarchiv

Für den 7. Mai 1945 notiert Admiral Kleikamp im Kriegstagebuch: „Nichts zu bemerken, außer der Tatsache, dass britische Truppen (...) in das bisher nicht besetzte Gebiet zwischen Wesermünde und Cuxhaven einrücken.“ Zu dem Zeitpunkt ist in seiner Dienststelle im Fort Kugelbake schon eine britische Wache mit einem Offizier und 20 Mann eingetroffen. Quelle: Bundesarchiv Foto: Bundesarchiv

In knappen Worten ist unter „Vorkommnisse“ die Unterrichtung der Cuxhavener Militärspitze über den als „Heldentod“ deklarierten Selbstmord Adolf Hitlers festgehalten. Durchhalteparolen fielen längst nicht mehr auf fruchtbaren Boden. Keiner wollte noch eine große Schlacht. Als Hamburg - aber nicht Cuxhaven - am 3. Mai zur Offenen Stadt erklärt wurde, wurde der Wunsch nach einer Gleichbehandlung übermächtig. Kleikamp missbilligte dies, ordnete jedoch schon mal die Zerstörung aller nicht mehr unbedingt benötigten geheimen Kommandosachen und Geheimschreiben an.

Haarklein und mit Uhrzeitangaben wird für den 4. Mai das wiederholte Vorsprechen einer durch Herbert Sorge begleiteten Delegation der Stadt Cuxhaven (Rathaus- und Wirtschaftsvertreter) beschrieben, die eine kampflose Übergabe erwirken wollte. Die Männer wurden von Dienststelle zu Dienstelle verwiesen; jedes Mal mit der Angst im Nacken, noch an die Wand gestellt zu werden. Zu einer offiziellen Erklärung wollte sich aus vermutlich denselben Gründen kein Militärvertreter hinreißen lassen. Spätabends gab es lediglich die formlose Zusicherung, dass ab dem nächsten Morgen kein Schuss mehr fallen werde.

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