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TIst Reiten im Watt zu gefährlich? Eine Expertin klärt auf

Ist das Reiten im Watt zu gefährlich und sollte verboten werden? Foto: Assanimoghaddam/dpa

Ist das Reiten im Watt zu gefährlich und sollte verboten werden? Foto: Assanimoghaddam/dpa

Jüngst kam es zu einem Reitunfall im Watt vor Duhnen. Nicht zum ersten Mal. Doch warum ist die Gefahr so groß? Sollte es verboten werden? Kann man die Risiken für Reiter und Pferd minimieren? Pferdewissenschaftlerin Dr. Vivian Gabor klärt auf.

Montag, 10.07.2023, 15:00 Uhr

Von Mareike Scheer

Wo die Gefahr liegt, zeigte einmal mehr der jüngste Unfall. Zwei Reiterinnen waren mit ihren Pferden im Watt unterwegs, als sich eines der Tiere erschreckte und die Reiterin vom Pferd fiel. Reiterlos galoppierte das Tier davon und rannte sich im tiefen Schlick fest.

Mehrmals hat sich das Pferd befreien können, bis es kurze Zeit später wieder feststeckte und irgendwann völlig entkräftet im Schlick liegen blieb - und später eingeschläfert wurde. Der Traum vom Ritt am Strand wurde zum Alptraum.

Doch warum verhalten sich diese Tiere so?

Der Schreckreiz ist runtergesetzt

„Pferde sind in der Fremde sehr sensibilisiert. Der Schreckreiz ist runtergesetzt. Der Fluchtinstinkt setzt früher ein als in anderen Schrecksituationen“, erklärt Dr. Vivian Gabor. Ihr Spezialgebiet ist das Lernverhalten des Pferdes und die Verknüpfung von Wissenschaft und Praxis. Sie betreibt ein Ausbildungszentrum für Mensch und Pferd in Einbeck und ist Gründerin des Instituts für Verhalten und Kommunikation (IVK).

Im Galopp dem Horizont entgegen - Der Traum eines jeden Reiters ist wohl der Ritt am Strand. Foto: Schuldt/dpa

Im Galopp dem Horizont entgegen - Der Traum eines jeden Reiters ist wohl der Ritt am Strand. Foto: Schuldt/dpa

„Diese Situation, dass Pferde schreckhafter sind, gibt es auch auf Turnieren oder bei Ausritten rund um das eigene Stallgelände. Dort kennen die Pferde in der Regel aber die Strecken. Im Watt haben sie dagegen gar keine Orientierung, zumal auch Landmarken fehlen können. Dann ist es für sie schwer einzuschätzen“, führt Gabor fort. „Dazu kommt, dass der Fluchtreiz ein intuitives, vorgefertigtes Muster ist. Es wird Adrenalin und Cortison ausgeschüttet, das Pferd geht in einen reinen Überlebensmodus. Da kann viel passieren, da Pferde dann nicht nachdenken wie wir Menschen - sie sind dann umgangssprachlich kopflos.“

Das bedeutet, dass Pferde kopflos in ein Auto oder einen Traktor rennen würden oder bei einem Brand im Stall gegebenenfalls sogar richtig ins Feuer laufen, weil es die gewohnte Umgebung ist, an der sie sich orientieren. „Bei Pferden spricht man von Flucht, Kampf und Erstarren. Als Erstes wählt ein Pferd immer eine kurze schnelle Flucht, um das Leben zu retten, dann erst würden es kämpfen und am Ende erstarren.“

Doch ist es dann nicht viel zu gefährlich, einen Ritt ins Watt zu wagen? Bei einem tragischen Unglück ertrank im Juli 2018 das Pferd einer Urlauberin in der Nordsee. Das Tier hatte sich von seiner Besitzerin losgerissen und konnte trotz intensiver Suche nicht gefunden werden. Einen Tag später sollen Schiffsleute den Kadaver eines Pferdes im Wasser treiben gesehen haben.

Reiten im Watt ist keine Tierquälerei

„Es ist keine Tierquälerei. Sonst ist alles, was wir mit irgendwelchen Tieren machen, Tierquälerei. Ob mit Hunden, Katzen oder anderen. Man kann es gut machen, so dass auch das Pferd etwas davon hat. Es kann es schön finden, mal richtig laufen zu können. Allerdings gehört da viel dazu. Mit guter Vorgehensweise, einem guten Gespür für das Pferd und Verantwortung - auch für die Umwelt. Man muss die kleinste Spannung im Pferd erkennen,“ sagt die promovierte Pferdewissenschaftlerin.

Eine Gruppe von Frauen und Männern reitet auf Pferden in Cuxhaven im Watt. Foto: Assanimoghaddam/dpa

Eine Gruppe von Frauen und Männern reitet auf Pferden in Cuxhaven im Watt. Foto: Assanimoghaddam/dpa

Und es bleibt natürlich ein Risiko, auch wenn dieses minimiert werden kann. Denn solche Schrecksituationen können vorbereitet werden, so dass das Pferd auch dann kontrollierbar bleibt. „Da geht es um Kommunikation und Blickschulung. Auch beim Freitraining vom Boden. Wann spannt mein Pferd an, wie kann ich es beruhigen und lösen? Ich lasse Pferde dann gerne seitwärts oder vorwärts abwärts gehen - dann kann man den Parasympathikus anschalten und kritische Situationen umleiten“, betont die Expertin.

Schrecksituationen müssen trainiert werden

Schrecksituationen sollten trainiert werden. Zunächst in der gewohnten Umgebung, später bei Ausritten im gewohnten Gebiet. „Dann kann das Pferd lernen, dass man es beschützt. Man kann dann auch absteigen, damit sich das Pferd an einem orientieren kann. Denn nur wenn es keine Orientierung hat, bekommt ein Pferd Panik und kann bis zur Erschöpfung in diesem Modus bleiben“, so Vivian Gabor. „Doch wird das Training langsam gesteigert, können solche Grenzgänge auch die Beziehung stärken und Situationen händelbar machen. Daher sollte man nur ins Watt reiten, wenn alle anderen (Schreck-)Situationen sich gut steuern lassen und im Watt dann auch zunächst nur mit Ritten entlang des Ufers begonnen werden. Schleifen reiten, damit das Pferd erkennt, wo es rausgeht. Und mit Artgenossen, an denen sie sich orientieren können.“

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