TJetzt doch: Drochterser Bürger zeigen Interesse an Telemedizin

Telemedizin-Vorführung in Assel: Die Haut am Arm von Joachim Grantz sieht gesund aus. Die Aufnahmen, die Pflegefachkraft Sandra Lütje gemacht hat, lassen sich in hoher Auflösung betrachten. Foto: Knappe
Jetzt wollen sie es wissen, Skepsis hin oder her: Nachdem die erste Info-Roadshow zur Telemedizin floppte, zeigten Drochterser Bürger bei Folge-Veranstaltungen reges Interesse.
Drochtersen. Das hat seinen Grund: Viele wissen, dass es um die hausärztliche Versorgung auf dem Land schlecht bestellt ist, und dass in den kommenden zehn Jahren weitere Hausärzte in Rente gehen werden, auch in der Gemeinde Drochtersen. „Jeder dritte Hausarzt in Deutschland ist über 65 Jahre alt. Und es gibt nicht so viel Nachwuchs wie nötig wäre“, sagt Birte Riel vom Team des Pilotprojekts „Pflege und Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum (PuG)“. Das Pilotprojekt in Drochtersen und Nordkehdingen ist auf dreieinhalb Jahre angelegt. Telemedizin soll als ein Baustein dienen, um eine wohnortnahe hausärztliche Versorgung zu sichern.
Wischhafener Arzt macht den Praxistest
Zum Telemedizin-Info-Abend in Hüll kamen sechs Interessierte, in Dornbusch ebenfalls ein halbes Dutzend, in Asselermoor erschienen neun. In Assel wurde es direkt eng in der alten Gemeinde: 22 Bürger kamen, darunter auch welche, die kein Handy nutzen. Reiner Wilke aus Assel (72) sagte: „Ich will erstmal wissen, wie das funktionieren soll.“
Birte Riel wandte sich an die Bürger: Sie wisse, dass die meisten Alteingesessenen jetzt noch einen Hausarzt hätten - jetzt gehe es darum, etwas zu unternehmen, „damit wir in zehn Jahren nicht den Mangel erleiden“. Anders sehe es bei Zugezogenen aus, die bereits jetzt Probleme hätten, einen Hausarzt im Ort zu finden, der noch Patienten aufnehme.
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Projektziel ist, dass Hausärzte und Patienten durch telemedizinische Untersuchungen Wege, Zeit und Kosten sparen. Der Wischhafener Hausarzt Rainer Feutlinske hat die Telemedizin kürzlich in der Praxis getestet: Drei seiner Patienten im Freiburger Seniorenheim ließ er telemedizinisch untersuchen, diagnostizierte selbst und zeigte sich von der Technik überzeugt.
So funktioniert die Telemedizin
Telemedizinische Untersuchungen sollen künftig geschulte Fachkräfte oder geschulte Praxismitarbeiterinnen übernehmen: Sie führen die Untersuchungen vor Ort am Patienten mit digitalen Geräten durch: EKG, Abhören von Herz und Lunge, Blutdruck, Blutzucker, Blutsauerstoff und Wunduntersuchungen per Kamera. Pflegefachkraft Sandra Lütje vom Projektteam demonstrierte mithilfe von Besucher Joachim Grantz, wie es geht: Sie erstellte hochaufgelöste digitale Bilder von der Haut am Unterarm des Probanden.

Großes Interesse an Telemedizin in Assel: 22 Bürger kamen. In Assel schließt die Hausarztpraxis zum Jahresende. Foto: Knappe
Solche Ergebnisse - in Bildern, Zahlen, Kurven und Tönen - werden dem Arzt digital übermittelt, er stellt dann die Diagnose. Die Ergebnisse sollen dann entweder in einem Videocall oder telefonisch mit dem Patienten besprochen werden. Möglicherweise könnten sich mehrere Hausärzte auch eine Untersuchungsfachkraft teilen, sagte Birte Riel.
Bürger-Kritik: Zwei Termine für eine Diagnose
Eine Bürgerin kritisierte: „Dann muss ich aber mehr Zeit einplanen, ich brauche dann ja zwei Termine, um zu meinen Untersuchungsergebnissen zu kommen.“ Birte Riel gab zu bedenken, dass man auch bei einem realen Arztbesuch häufig viel Zeit im Wartezimmer einplanen müsse.
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Sie sagte, es müsse sich zeigen, wie die Abläufe später seien: Möglich ist es, dass Ärzte feste Video-Sprechstunden für Patientengespräche einplanen. Wahrscheinlicher sei es aber, dass der Arzt einfach zurückrufe. Ärzte müssten sich natürlich auch für Telemedizin Zeit nehmen. „Wir hatten es schon, dass gesagt wurde, das Wartezimmer ist voll, es sei jetzt keine Zeit für eine Video-Sprechstunde“, berichtete Riel.
Auch Kardiologe Stephan Brune will mitmachen
Birte Riel betonte, dass Ärzte beim Einsatz von Telemedizin einmal pro Quartal ihre Patienten persönlich sehen müssen. Auch Fachärzte sollen ins Boot geholt werden. Der Stader Kardiologe Dr. Stephan Brune habe bereits seine Teilnahme zugesagt. Patienten aus abgelegenen Regionen - etwa Balje - könnten so für nötige Kontrolluntersuchungen weite Wege zu Fachärzten in den Städten erspart werden.
Es gibt schon Probanden für Telemedizin
Ein Teilnehmer wollte wissen, ob im Rahmen des Pilotprojekts schon Patienten regulär telemedizinisch behandelt würden. Das ist nicht der Fall. Gesucht werden aber weiterhin Probanden, die im Rahmen des Projekts ihre Gesundheits-Check-ups telemedizinisch machen lassen, um die Technik zu testen.
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Von den neun Bürgern, die in Asselermoor zum Info-Abend gekommen waren, hätten sich sechs gleich als Probanden gemeldet, freute sich Riel. Die Untersuchungen können aktuell im telemedizinischen Raum in Drochtersen, Kirchstraße 10, durchgeführt werden. Beabsichtigt sei aber, solche Untersuchungen auch in den einzelnen Ortsteilen zu ermöglichen.
„Mir hat das gut gefallen“, sagte Brigitte Gröne aus Assel. „Ich bin erstaunt, wie viele Untersuchungen telemedizinisch gemacht werden können“, sagt die 69-Jährige. Sie fände es gut, in Assel zu Fuß zu einer telemedizinischen Untersuchung gehen zu können. „Gerade, wenn man sich mal klöterig fühlt und sich nicht ans Steuer setzen möchte.“
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels hieß es, die Hausarztpraxis in Assel werde zum Ende des Jahres schließen. Das ist nicht der Fall. Wir haben den Satz gestrichen.