TKirschen, Kohlen, Kartoffeln: Welchen Versuchungen Polizisten 1947 erliegen

Das Leben der Deutschen hängt nach Kriegsende an der Kartoffel. Lebensmittelmangel und grassierende Unterernährung macht große Teile der Bevölkerung zu Dieben. Das Foto zeigt Bergarbeiter, die eine Kartoffelzuteilung erhalten. Foto: dpa
Wer umzieht, dem fallen beim Packen meist vergessene Schätze in die Hände. So auch den Zevener Polizisten, die die Station an der Lindenstraße zum Jahreswechsel verließen. Der Schatz: Eine Akte aus den Jahren 1945 bis 1952.
Zeven. Den Polizisten untersagt der Polizeichef indes das „Fringsen“. Es sind Dienstvergehen. Und sie häufen sich. Hagemeyer stellt in seinem „Befehl Nr. 7“ vom 10. Januar 1947 unmissverständlich klar, dass er Polizeibeamte, die sich „in Konflikt mit dem Strafgesetz gebracht haben“, unverzüglich des Dienstes entheben und bei schweren Vergehen festnehmen lassen werde.
Da die Verfehlungen einzelner Beamten Gerüchten Nahrung geben und die Polizei in ein schlechtes Licht stellen, erwartet Hagemeyer von allen Dienstvorgesetzten, „unzuverlässige Elemente unter der Beamtenschaft“ ausfindig zu machen. „Die augenblicklichen Notzeiten mit ihren vielseitigen Versuchungen und Gefahren“ seien von charakterfesten Beamten „mit Anstand“ zu überwinden.
Im Laufe des Monats werden drei Wachtmeister und ein Polizeimeister aus dem Dienst entlassen, „weil sie ihre Amtspflichten gröblichst verletzt haben“.
Wenig oder überhaupt keine Brennstoffzuteilung
Als charakterfest und unbeeindruckt von des Kardinals Worten erweist sich Oberrat Hagemeyer, als er Mitte Januar verlangt, die Kohlelager zu umstreifen. Er schreibt: „Im Hinblick darauf, dass die Bevölkerung wenig oder überhaupt keine Brennstoffzuteilung erhält, besteht in vermehrtem Maße die Gefahr der Kohlendiebstähle. Die Gefahr ist besonders groß auf Eisenbahngelände.“
Im Februar geraten Zuckerrüben in den Fokus der Polizisten. Militärregierung und Finanzverwaltung beklagen die Zunahme von Rüben-, Sirup- und Zuckerdiebstählen. Zuckerrüben werden, so steht es in der Mitteilung, mit Pferdefuhrwerken, Lastwagen und Traktoren von Feldern abtransportiert. „Es scheint, dass die Bauern machtlos sind gegen diese Überfälle.“

Frauen bücken sich nach Kohlenstücken und klettern den Waggon eines Kohlenzuges, um das begehrte Heizmaterial zu stehlen. Im kalten Winter 1946/47 hatte Josef Kardinal Frings den Kohleklau in seiner Silvesterpredigt moralisch gerechtfertigt. Foto: dpa
Hinzu kommt, dass „Maßnahmen der Zuckerraffinerien, das Stehlen von Zucker und Sirup durch die Angestellten zu unterbinden, versagt haben. Es wird angenommen, dass große Mengen von Rüben von den Züchtern an Privatpersonen gegen hohe Preise verkauft werden.“ Diese Schwarzmarktgeschäfte und das illegale Schnaps-Brennen seien zu unterbinden, fordert Hagemeyer.
Polizei darf keine deutschen Dienstpistolen einsetzen
Doch auch allerhand interne Angelegenheiten beschäftigen den Polizeichef und die Dienststellenleiter im Bezirk. Es gilt, den Einzug der grünen Uniform und die Ausgabe der blauen zu organisieren, den Wechsel der Achselstücke in die Wege zu leiten und die Änderung der Rangbezeichnungen zu vollziehen. Zudem steht die Vereinheitlichung der Bewaffnung vor dem Abschluss.
Mit Frühlingsbeginn verfügt die Militärregierung, dass deutsche Polizisten fortan ausschließlich im Besitz dienstlich gelieferter englischer oder amerikanischer Schusswaffen sein dürfen. Wer noch im Besitz einer deutschen Waffe ist, der hat sie umgehend abzugeben. Polizisten, die nach dem 7. April mit einer deutschen Waffe erwischt werden, haben „eine schwere Bestrafung durch die Militärregierung zu erwarten“.
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Auch Hagemeyer straft. Wegen Verletzung der ihnen obliegenden Amtspflichten entlässt der Oberrat im Februar 1947 zwei und im März weitere fünf Wachtmeister aus dem Dienst. Drei von ihnen waren in Rotenburg eingesetzt.
Konsequenzen droht der Polizeichef auch denen an, die gegen die Uniformvorschriften verstoßen. Mit Nachdruck weist er darauf hin, dass zur blauen Uniform zwingend ein schwarzes Koppel und im Straßendienst der Tschako zu tragen ist. Das Brustschild ist am „blauen Mantel auf der linken Seite mit dem unteren Rand einen Zentimeter über dem ersten Knopf von oben in der Verlängerung der Knopfreihe zu tragen“.
Überaus ernste Versorgungslage der Bevölkerung
Anfang April ergeht zudem die Anordnung, für den „notwendigen Ernteschutz“ in Absprache mit dem Selbstschutz in den Gemeinden zu sorgen. „Die überaus ernste Versorgungslage der Bevölkerung“ veranlasst Hagemeyer zu der Annahme, dass sich die hungernden Deutschen nach Öffnung der Kartoffelmieten und dem Beginn der Aussaat von Pflanzkartoffeln über die Felder hermachen und die Saat stehlen. Er ordnet Sonderstreifen in der Feldmark an.

Ein großer Teil der Zevener Bevölkerung, Flüchtlinge und Vertriebene, lebt nach Kriegsende für viele Jahre in solchen Baracken. Das Foto zeigt Bewohner einer Baracke der ehemaligen Fluko am westlichen Stadtrand. Foto: Museum Kloster Zeven
Überdies hält er es „für mehr denn je erforderlich“, die Jugend bei „Tanzlustbarkeiten“ zu überwachen. Das gilt im Hinblick auf die Einhaltung der Polizeistunde, auf die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen und auf den Kreis der Teilnehmer, wenn die Lustbarkeit als geschlossene Veranstaltung angemeldet ist.
Eine neue Aufgabe überträgt der nunmehr als Sub-Divisions-Kommandant der Polizei im Kreis Bremervörde firmierende Oberinspektor Wypior im Mai 1947 den Polizeistationen in Selsingen, Zeven, Sittensen, Tarmstedt und Bremervörde: Fortan sind Verbrecher-Lichtbildkarteien zu führen - und zwar „in zweckmäßiger Weise“.
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An dieselben Adressaten geht ferner die Information, dass die englische Regierung Letten, Litauer und Esten nicht als Bürger der Sowjetunion, sondern als Staatsangehörige Lettlands, Litauen und Estlands anerkennt. Da das Trio jedoch nicht Mitglied der Vereinten Nationen ist, unterstehen Letten, Litauer und Esten der deutschen Gerichtsbarkeit. Das ist für die Polizisten im Umkreis des Lagers Seedorf von Interesse, da dort zu dieser Zeit etwa 4000 von ihnen im sogenannten Baltic-Camp leben.
Das Halten von Brieftauben ist Deutschen wieder gestattet
Im Juni wendet sich Oberrat Hagemeyer mit einem Hinweis an seine Untergebenen: „Nach den gewonnenen Erfahrungen ist damit zu rechnen, dass jetzt zur Gewinnung von Brennholz“ von Unbefugten und Ungeschulten Sprengungen vorgenommen werden. Die Polizei habe dabei auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit zu achten.
Nicht mehr einzuschreiten brauchen die Beamten hingegen, wenn sie eine Brieftaube entdecken. Seit 1. Mai ist Deutschen das Halten von Brieftauben in der britischen Zone wieder gestattet. Umfangreiche Aufklärung der Bevölkerung über das Verhalten bei Munitionsfunden verlangt der Polizeichef nach einem Unglück, das sich Anfang Juni ereignete:
In Neuhaus entdecken Zivilisten am Ufer der Oste eine angeschwemmte Kastenmine. Sie rufen die Polizei. Ein Beamter wird zur Absperrung der Fundstelle abgestellt. Nach dessen Eintreffen explodiert die Mine. Der Polizist und drei Zivilisten kommen ums Leben. Einer der Zivilisten hatte die Mine bergen wollen. Oberrat Hagemeyer will die Bevölkerung nachdrücklich darauf hingewiesen wissen, dass „jede Berührung von Sprengkörpern mit Lebensgefahr verbunden und untersagt ist“.
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Anlass zur Sorge, der Ruf der Polizei nehme wiederum Schaden, sieht Hagemeyer gegeben, als im Alten Land das Obst an den Bäumen reif ist. Mitte Juli 1947 spricht er das Verbot aus, „dass Polizeifahrzeuge, für die eine dienstliche Notwendigkeit nicht besteht“ in das Anbaugebiet an der Elbe fahren.
Ihm sei wiederholt gemeldet worden, schreibt der Polizeichef, dass größere Mengen Kirschen mit Polizeifahrzeugen aus dem Sperrbezirk transportiert werden. Es seien „auffallend viele Polizeiwagen“ im Sperrgebiet unterwegs. Dem Treiben will er Einhalt gebieten.
Hagemeyer verfügt, dass der Stader Polizeikommandantur jede Fahrt mit einem Polizeiwagen ins Sperrgebiet anzuzeigen ist. Zudem verfügt er, dass Polizeibeamte, die sich im Sperrbezirk aufhalten, zu kontrollieren und wie Zivilisten zu behandeln sind. Sie haben sich auszuweisen und einen Passierschein vorzuzeigen. Der Oberrat verlangt, dass ihm zu melden ist, „wenn eine Sache nicht in Ordnung ist“.