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Vorbereitung auf Ernstfall

TKonteradmiral Ralf Kuchler: „Wir müssen die Dinge vom scharfen Ende her denken“

Ralf Kuchler ist seit 2023 Kommandeur der Führungsakademie in Hamburg.

Ralf Kuchler ist seit 2023 Kommandeur der Führungsakademie in Hamburg. Foto: Bundeswehr/Christian Gelhausen

Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, sprach von einer „Mammutaufgabe“, als Ralf Kuchler Ende August 2023 als Kommandeur der Führungsakademie in Hamburg-Nienstedten vereidigt wurde. Wie ist jetzt der Stand?

Von Guido Behsen Sonntag, 24.03.2024, 05:00 Uhr

Hamburg. TAGEBLATT: Admiral Kuchler, wie fühlt man sich als Soldat im Frühjahr 2024?

Konteradmiral Ralf Kuchler: Der Kern unseres Berufes ist, im Notfall kämpfen zu können, zur Waffe zu greifen, um unsere Grundwerte zu verteidigen, unsere Liebsten zu verteidigen. Insofern ist die Situation jetzt für einen Soldaten, der den Eid auf unsere Verfassung abgelegt hat, keine Situation, die ihn erschreckt. Was uns meiner Meinung nach alle eint, ist die Tatsache, dass uns allen bewusst wird, wie real ein solches Szenario werden kann. Der Hintergedanke, dass diese Bereitschaft wahrscheinlich nicht abgefordert werden wird – von diesem Luxus müssen wir uns alle verabschieden.

Daran führt wirklich kein Weg vorbei?

Was im Moment die Ukraine und die Verlautbarungen aus Russland betrifft: Nein. Wir stehen vor einer Anstrengung, die die gesamte Gesellschaft, den gesamten Staat, den gesamten europäischen Kontinent betrifft. Das ist, denke ich, eine große Herausforderung.

Worin besteht sie Ihrer Meinung nach vor allem?

Wir alle wünschen uns Frieden. Das liegt in der Natur des Menschen. Aber jetzt sind wir in einer Situation, in der wir als Gesellschaft, als Nation, als Staatengemeinschaft wehrhaft sein müssen. Es liegt nämlich leider auch in der Natur mancher Menschen anzunehmen, man könne sich seine Absichten mit Gewalt nehmen und das regelbasierte Zusammenleben aller Menschen mit Füßen treten. Das dürfen wir nicht zulassen. Es kostet jetzt natürlich viel Anstrengung, uns verteidigungsfähig und kriegstüchtig aufzustellen. Die täglichen Nachrichten tragen sicherlich dazu bei, dass immer mehr Menschen immer bewusster wird, wie ernst die Lage ist. Die Tatsache, dass Russland die Aggression noch über Jahre durchhalten kann oder will, die ist ja nicht neu, man muss Herrn Putin und seinen Gefolgsleuten nur zuhören.

Das sind beunruhigende, ja beängstigende Aussichten...

... die mir auch persönlich durchaus Sorge machen. Allerdings kann ich auch feststellen, dass ich gerade heute überzeugt davon bin, den richtigen Beruf ergriffen zu haben. Ich kann einen Beitrag dazu leisten, dass es hoffentlich nicht zum Ernstfall kommt. Ebenso aber auch, dass wir vorbereitet sind, wenn es denn zu dem Ernstfall kommt. Mehr, als mein Bestes zu geben, kann ich nicht tun.

Seit einem halben Jahr geben Sie Ihr Bestes als Kommandant der Führungsakademie der Bundeswehr.

In dieser Funktion habe ich die Aufgabe, den Führungsnachwuchs der Bundeswehr auf das vorzubereiten, was uns möglicherweise am scharfen Ende erwartet. Aber eben auch – und das ist das hohe Gut – mit Besonnenheit und Breite auszubilden, um Konflikte von allen Seiten zu beleuchten und auch immer Optionen mitzubedenken, wie es eben nicht zu einem gewaltsamen Konflikt kommen muss. Abschreckung ist in der gegenwärtigen Situation ein geeignetes und notwendiges Instrument. Das setzt aber voraus, dass wir unser Handwerk verstehen und unser Gegenüber das auch weiß.

Was erwartet die Offizierselite an der Akademie?

Eine umfassende militärische, politik-, gesellschafts-, rechts- und sozialwissenschaftliche Ausbildung. Woran wir aktuell arbeiten, ist ergänzend die mentale Dimension der Zeitenwende. Wir wollen dem Führungsnachwuchs vor Augen führen, wie wichtig es ist, die Verantwortung zu übernehmen und entscheidungsfreudig zu sein. In Zeiten einer realen Kriegsbedrohung können wir es uns nicht leisten, Entscheidungen auf viele Ebenen zu heben und alles lange abzuwägen. Wer keine klaren Entscheidungen trifft, läuft Gefahr, dass der Gegner ihn vor vollendete Tatsachen stellt und es dann gar keine Handlungsoptionen mehr gibt. Unser Ziel ist der Generals- und Admiralstabsoffizier, der das militärische Handwerk beherrscht, der eigenverantwortlich und kritisch denkt und in diesem Verständnis auch entscheidungsfreudig führt – im Frieden wie im Kampf.

Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, sprach bei Ihrer Vereidigung von einer Mammutaufgabe, die vor Ihnen liege. Warum?

Das zielt eher auf die mentale als auf die materielle Situation ab, auf unser Mindset. Wir müssen die Dinge vom scharfen Ende her denken, wir müssen verinnerlichen, dass wir kämpfen können müssen, weil wir gewinnen müssen. Warum? Weil es dazu keine Alternative gibt. Dazu zählt, dass wir uns insgesamt wieder stärker auf die Härten und Entbehrungen einstellen müssen, die unser Beruf mit sich bringen kann. Das zu ertragen und zu vermitteln, vorzuleben und einzufordern, ist vornehmlich die Aufgabe des militärischen Führers. Wir müssen in unserem Denken gewillt sein, die Komfortzone zu verlassen.

Wie gelingt das?

Ich vergleiche das gerne mit Arztbesuchen. Wir wünschen uns alle, dass wir nicht krank werden und es geht auch keiner gerne zum Arzt. Aber wenn denn eine Operation unvermeidbar ist, dann hoffen wir inständig, dass der Chirurg sein Handwerk beherrscht, und das auch mitten in der Nacht oder am Wochenende. Und so ist das mit dem Militär auch zu sehen. Wir müssen einen möglichen Gegner von Beginn an wissen lassen: Wenn er eine rote Linie überschreitet, sind wir willens und fähig zum Einsatz militärischer Gewalt.

Kann so eine Aufgabe in Anbetracht der Situation auch Spaß machen?

Junge Menschen, die hochmotiviert und auf dem Höhepunkt ihrer geistigen und in der Regel auch körperlichen Leistungsfähigkeit sind, auf ihre Rolle als Führungskraft vorzubereiten und mitzuprägen: Das ist eine zutiefst befriedigende Aufgabe, die natürlich auch Spaß macht.

Sie stammen aus einer Soldatenfamilie?

Ja. Mein Großvater ist als U-Boot-Fahrer im Zweiten Weltkrieg gefallen. Mein Vater und mein Onkel waren ebenfalls Marineoffiziere. Auch mein Bruder ist viele Jahre auf nahezu allen Fregatten der Deutschen Marine zur See gefahren.

War Ihnen schon früh klar, dass Sie auch Soldat werden wollen?

Ziemlich früh. Ich wollte einer Aufgabe nachgehen, die nicht nur dem reinen Broterwerb dient, sondern einem übergeordneten Ziel, in diesem Fall der Verteidigung unserer Werte und unserer Freiheit. Klingt vielleicht etwas pathetisch, ist aber so. Eine Uniform zu tragen, meinem Land, seiner Bevölkerung zu dienen und für unsere Werte einzustehen, erfüllt mich bis heute mit Stolz.

Und nebenbei haben Sie auf diesem Weg viel von der Welt gesehen. Gibt es besondere Sehnsuchtsorte?

Ganz ehrlich? Ich habe immer mein Zuhause vermisst, wenn ich weg war. Ich habe wirklich so ziemlich alle Teile der Welt gesehen durch die Seefahrt. Aber so richtig wohl fühlte ich mich immer, wenn ich wusste, es geht zurück in die Heimat. So schön die fremde Ferne auch war, habe ich doch immer wieder festgestellt: Wie schön ist eigentlich dein Zuhause. Und wie verlässlich. Wir leben in einem tollen Land mit einem berechenbaren Staatsapparat, garantierten Rechten, einem hohen Wohlstand und einem extrem guten Bildungssystem. Das ist nicht selbstverständlich.

Sie wurden in Kiel geboren...

... aber aufgewachsen bin ich die ersten fünf Jahre in den USA und dann an der Nordsee in Jever. Die Ausbildung habe ich unter anderem in Flensburg und auf der „Gorch Fock“ gemacht. Studiert und insgesamt zwölf Jahre gelebt habe ich in Hamburg. Ich bin ein Norddeutscher und wohne jetzt in Lüneburg. Ich sage immer: Hamburg ist die schönste Stadt der Welt – aber noch schöner ist das Örtchen Lüneburg vor ihren Toren. Am Wochenende findet man im Zentrum kaum einen Parkplatz, weil alle Hamburger zu uns rausfahren...

Die Versetzung an die Führungsakademie war eine Art Heimkehr, oder?

Ja. Die Aufgabe war mein absoluter Wunsch, inhaltlich wie räumlich. Ich war ja auch Kommandant auf der Fregatte „Hamburg“, es gab also schon mal eine berufliche Verbindung mit einer sehr eng gepflegten Partnerschaft zwischen Stadt und Besatzung. Jetzt als Kommandeur der Führungsakademie wieder in Hamburg Dienst tun zu dürfen, das ist schon toll.

Mit allen repräsentativen Pflichten, die dazugehören?

Ich liebe das Hanseatische. Veranstaltungen wie zuletzt das Matthaei-Mahl sind für mich auch eine hervorragende Möglichkeit, den anderen Gästen im Gespräch die Bundeswehr und die Führungsakademie näherzubringen, das ist wichtig. Zudem nimmt unser Erster Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher die Bundeswehr in wirklich hervorragendem Maße wahr. Die Bundeswehr ist hier in Hamburg auch deswegen ein Teil der Stadt, weil die Politik es vorlebt.

Auf dem Gelände der Clausewitz-Kaserne befindet sich auch ein evangelischer Kindergarten...

... in den auch Angehörige der Führungsakademie ihre Kinder geben. Und wenn Sie wissen wollen, wie es eigentlich in einer friedliebenden Welt zugeht, dann schauen Sie da vorbei. Ich war schon ein paarmal dort. Da sitzt ein japanischer Junge neben einem aus Serbien, und sie verständigen sich mit Händen und Füßen, spielen und lachen.

Da hat dann auch der Soldat einmal Pause?

Ich könnte Ihnen jetzt sagen, Soldat sind Sie immer. Das gehört zum Mindset, zur Mentalität, zum Selbstverständnis als Offizier. Aber Ihre Frage zielt sicherlich in eine andere Richtung. Nach dem Dienst gehe ich gern schwimmen oder laufen oder spiele Basketball mit meinen Söhnen. Früher habe ich auch am Marathon und Triathlon teilgenommen, aber das habe ich aufgegeben, um den Rücken etwas zu schonen.

Zur Person: Konteradmiral Ralf Kuchler ist seit dem 31. August 2023 Kommandeur der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, der höchsten militärischen Ausbildungseinrichtung der deutschen Streitkräfte. 1969 in Kiel geboren, trat er 1989 in die Bundeswehr ein, absolvierte seine Offiziersausbildung auf dem Segelschulschiff „Gorch Fock“ und studierte Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsingenieurwesen an der Universität der Bundeswehr in Hamburg. Obwohl ihn verschiedene Verwendungen nach Berlin, Bonn und Brüssel führten: Dem Norden und der See blieb er treu. So war er Kommandant der Fregatte „Hamburg“ und Kommandeur der Einsatzflottille 2 in Wilhelmshaven. Kuchler lebt mit seiner Familie in Lüneburg, wo er sich vornehmlich um Haus und Garten kümmert.

Bitte ergänzen Sie...

Ostsee oder Mittelmeer? Nordsee.

Mein Lieblingsort in Hamburg … sind die Landungsbrücken.

Fisch- oder Franzbrötchen? Franzbrötchen. Solange die Außenbordkameraden mir nichts tun, tue ich ihnen auch nichts.

Lachen kann ich über... schwarzen Humor.

Mich ärgert... Engstirnigkeit.

Schwach werde ich bei... Nutella.

Mit oder ohne Butter? Ohne. Und am besten auf Franzbrötchen.

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