TKreiskantor Martin Böcker verabschiedet sich – Doch die Orgel verlässt er nicht

Kreiskantor und Organist Martin Böcker vor der Huß-Schnitger-Orgel in der St.-Cosmae-Kirche in Stade. Foto: Anping Richter
„Manche sagen, die Orgel ist wie eine Geliebte. Die Beziehung zu ihr ist ehegefährdend“, sagt Martin Böcker. Als Kreiskantor nimmt er jetzt Abschied - aber nicht von seiner Geliebten. Weshalb seine Ehe trotzdem hält und wie es jetzt weitergeht.
Stade. Martin Böcker hat nicht nur eine, sondern mehrere Geliebte. Heute ist er bei einer, die nicht mehr jung und schon durch viele Hände gegangen ist. Berühmte Hände: Die von Arp Schnitger zum Beispiel, der als junger, begabter Geselle des Meisters Berendt Huß an der Orgel der St.-Cosmae-Kirche in Stade mitbaute. Ein junger Kantor und Komponist, mit dem er sich gleich anfreundete, durfte das prachtvolle Instrument später oft spielen: Vincent Lübeck.
Als die Cosmae-Orgel 1673 fertig war, ging es mit dem Bau der Orgel von St. Wilhadi weiter. Schnitger wurde ein berühmter Meister und baute noch viele Orgeln in der Region. Und so bekam Martin Böcker, als er vor 37 Jahren Kantor des Kirchenkreises Stade wurde, nicht nur eine, sondern viele schöne und kostbare Orgeln in die Hände.
Erste Begegnung mit der Orgel: Der kleine Martin hält sich die Ohren zu
Dabei war es keine Liebe auf den ersten Ton: Böckers erste Erinnerung an die Orgel ist, wie er sich als Fünfjähriger in einer Ecke der Kirche versteckt und die Ohren zuhält. „Der örgelt so schief“, soll der kleine Martin seinen erstaunten Eltern jammernd erklärt haben. Doch weil die Familie kirchlich orientiert war, wuchs im ständigen Kontakt die Orgel-Liebe. Er lernte sie spielen und hätte gerne eine Ausbildung zum Orgelbauer gemacht. Doch seine Lehrerin stimmte ihn um: „Du baust keine Orgeln, du spielst die.“
Lesen Sie auch:
- Stade-Hahle: Was passiert eigentlich mit dem Geld aus dem Klingelbeutel?
- EKD: Digitale Spenden in Kirchen immer öfter möglich
- Spinnen kleben Horneburger Orgel zu – Instandsetzung kostet 72.000 Euro
Sie überzeugte auch seine Eltern, die davon zunächst nicht begeistert waren. Martin Böcker studierte in Herford Kirchenmusik und später in Arnhem in den Niederlanden historische Tasteninstrumente. Drei Jahre arbeitete er in Reinbek, bevor er 1987 Kantor und Organist in Stade und Kreiskantor des Kirchenkreises wurde.

Das zweite Zuhause hinter der Orgel in St. Cosmae: Auch, wenn die Jacke nicht mehr täglich am Haken hängt - seine Orgelliteratursammlung darf Böcker hier lassen. Foto: Anping Richter
„Unsere Stradivaris haben Pfeifen“, sagt Martin Böcker oft zu Touristen, um zu erklären, was es mit der norddeutschen Orgellandschaft auf sich hat. Kaum jemand weiß das besser als er: 1995 wurde er zum Orgelsachverständigen der Elberegion Niedersachsens bestellt. Er kennt alle Orgeln von der Hamburger Stadtgrenze bis nach Cuxhaven und niemand auf der Welt ist für mehr Schnitger-Orgeln zuständig als er.
Welche Orgel er am meisten liebt, kann der 65-Jährige gar nicht sagen. „Das Instrument macht die Musik“, sagt er. Die Cosmae-Orgel sei besonders geeignet für Musik vor 1700, die in Wilhadi für Hochbarock. „Wenn ich in Osten an der Orgel von 1890 improvisiere, klingt es gleich romantisch.“
Ähnlich ist es bei der Furtwängler-Orgel in der Buxtehuder Petri-Kirche. Dort ist er öfter, denn Sybille Groß, die Kantorin des Kirchenkreises Buxtehude, war früher seine Orgelschülerin: „Die Erste, die ich hier in Stade hatte“.
Der Organist hat schon weltweit Konzerte gegeben
Nach Neuenfelde, wo eine der bedeutendsten Schnitger-Orgeln steht, hat er einen guten Draht. Organist Hilger Kespohl hat bei Böcker studiert, als der noch einen Lehrstuhl in Bremen hatte. Später lehrte Böcker in Hamburg. Die Studenten kamen aus der ganzen Welt.
Kirchen-Casting
T Stade sucht den neuen Superkantor: Wie ein Musiker die Jury überzeugt
2002 gründete er die Orgelakademie als Zentrum zur Förderung der Orgelkultur im Elbe-Weser-Raum. Damals kam Annegret Schönbeck dazu, die dazu beitrug, das international anerkannte Profil der Orgelakademie zu prägen. Aus Japan, Korea, den USA, Australien und dem europäischen Ausland kommen Studenten mit ihren Professoren, um vor Ort zu arbeiten.
Die Kontakte in die internationale Orgelwelt haben Martin Böcker viele Einladungen beschert. Er hat Konzerte in Japan, Korea, Russland und vielen europäischen Ländern gegeben. In Japan sogar vor 2000 Leuten: „Kurz nach Beginn des Vorverkaufs waren alle Tickets weg.“ Wird Böcker all das nicht sehr vermissen, jetzt, da er geht?
Lesen Sie auch:
- Darum ist Neuenfelde ein Wallfahrtsort für Musikfreunde aus aller Welt
- Sensationsfund in Stade: „Schatz“ von Arp Schnitger entdeckt
- Baujahr 1669: Ein Stader Haus erzählt seine Geschichte
Nein, sagt er. Er ist dankbar, in seiner Arbeit für den Kirchenkreis sehr viel und künstlerisch sogar völlige Freiheit genossen zu haben. Doch jetzt komme mit Thorsten Ahlrichs ein Nachfolger, den er schon lange kenne und sehr schätze. Außerdem, verrät Böcker augenzwinkernd, behält er als Orgelsachverständiger die Schlüssel zu allen Orgeln: „Ich kann immer ran.“
Aussicht auf neue Bekanntschaften lindert den Abschiedsschmerz
Seine Frau sei zum Glück nicht eifersüchtig, sondern verständnisvoll, weil selbst sehr musikliebend. Wie seine Tochter, die Schulmusik studiert hat und jetzt unterrichtet. Sein Sohn, ein Forstwissenschaftler, kümmert sich um den Schwarzwald.
Für Böcker beginnt eine aufregende Zeit. Mit der Schauspielerin Johanna Krumstoh hat er mehrere Programme erarbeitet und wird in diesem Jahr 20 Konzerte geben. Allein im März sind Rezitationen mit Cembalo in fünf Städten geplant. Er hat gute Chancen, Bekanntschaft mit schönen Orgeln zu machen.
Abschiedskonzert
„Lieblingsstücke“ heißt das Konzert, mit dem sich Martin Böcker als Kreiskantor verabschiedet. In St. Cosmae wird er viele Klangfarben der historischen Orgel mit Musik aus Renaissance und Barock aus Norddeutschland, Frankreich, Spanien und den Niederlanden hören lassen. Auch das Präludium in c-Moll von Vincent Lübeck, Böckers berühmtem Vorgänger, steht am Sonnabend, 24. Februar, ab 16 Uhr auf dem Programm. Der Eintritt ist frei.