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Zweiter Weltkrieg

TKriegsende in den Dörfern vor 80 Jahren: Zerstörung und weiße Fahnen

Die gesprengte Eisenbahnbrücke über die Oste. Deutsche Einheiten haben sie nach ihrem Rückzug über die Oste in die Luft gejagt.

Die gesprengte Eisenbahnbrücke über die Oste. Deutsche Einheiten haben sie nach ihrem Rückzug über die Oste in die Luft gejagt. Foto: Foto: Heimatverein Burweg

Es sind die letzten Kriegswochen im Frühjahr 1945. In der Region hängen weiße Fahnen für die Briten - sobald die deutschen Soldaten abgezogen sind. Dennoch geht das Sterben weiter.

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Von Grit Klempow
Donnerstag, 08.05.2025, 05:50 Uhr

Landkreis. Im April 1945 rückt die Front immer näher. Tiefflieger greifen unentwegt Eisenbahnen, Fahrzeuge, Schiffe und Gespanne bei der Feldarbeit an. Durchhalteparolen des Nazi-Regimes und Nachrichten über Todesurteile sollen die Bevölkerung bei der Stange halten und einschüchtern.

Dennoch erreichen Kommandanten und Bürgermeister, dass die deutschen Truppen im Kreis über die Elbe abziehen oder die Gemeinden kampflos übergeben werden. Die in Stade auf dem Flugplatz stationierten Kompanien und der im Bunker untergebrachte Stab verlassen die Stadt am 19. April 1945.

Die Städte Buxtehude und Stade werden am 22. April und am 1. Mai durch englische Truppen besetzt. Zwischen dem 21. und 30. April erobern die Briten die Geestorte an der Bahnlinie in tagelangen Kämpfen. Es sind meist einzelne Gefechte und Angriffe der Wehrmacht oder SS-Trupps auf dem Rückzug, die den Beschuss der Dörfer durch die britischen Truppen herausfordern, bevor schließlich am 8. Mai 1945, heute vor 80 Jahren, der Zweite Weltkrieg und die Diktatur der Nazis ein Ende haben.

Windmühle brennt wie eine Riesenfackel

Hollenbeck liegt an der Vormarschstraße der Engländer unmittelbar vor der deutschen Verteidigungslinie. Am 26. April erscheinen die Engländer sehr früh und überraschen deutsche Soldaten im Dorf.

Sie fordern, überall die weiße Fahne zu zeigen. Um Mitternacht des 29. April lodert die Windmühle wie eine Riesenfackel - vermutlich von deutschen Soldaten in Brand gesetzt. Die Engländer hatten sie als Ausguck genutzt.

Die Front nähert sich Brest. Eine SS-Einheit versucht noch am 23. April, Brest in Verteidigungszustand zu versetzen. Einen Tag später sieht Bauer Ehlers die heranrollenden Panzerspähwagen der Engländer. Er jagt sein Vieh aus dem Stall und ruft den Nachbarn zu: Man rin in‘n Keller. Int Dörp is dicke Luft! Von Doosthof und Reith rücken die Engländer heran.

Feuerwalze geht auf Aspe über

Deutsche Soldaten schießen mit der Panzerfaust - der stundenlange Beschuss des Dorfes durch die Engländer und schwere Zerstörungen sind die Folge. Schnell brennen sechs Gebäude. Nachmittags greift die Feuerwalze auf Aspe über. Mindestens sieben Häuser brennen nieder.

Am Abend packen die meisten Brester Betten und brennbare Habe auf Wagen und flüchten in die Dunkelheit hinaus in die Waldungen. Am 30. April „rattern an die 200 Panzer durch Brest und Aspe“.

Nach dem Willen der örtlichen Wehrmachtsführung soll der Flecken Harsefeld „bis zum letzten Mann und Haus“ gehalten werden. Panzersperren sind an den meisten Ausfallstraßen errichtet.

Mitte April kampieren englische Kriegsgefangene aus dem Lager Westertimke an der Buxtehuder Straße und schwärmen durch den Ort. In den Nächten schleppen sich Reste des deutschen Heeres in Richtung Stade.

In den 30er Jahren wehen in der Langen Straße in Buxtehude Hakenkreuz-Flaggen.

In den 30er Jahren wehen in der Langen Straße in Buxtehude Hakenkreuz-Flaggen. Foto: Tageblatt-Archiv

Ultimatum an den Flecken Harsefeld

Tiefflieger greifen die Bahngleise an und treffen dabei ein Wohnhaus. Zwei Zivilisten sterben. Am 20. April soll Harsefeld in den Verteidigungszustand gesetzt werden - die Harsefelder fürchten um den Flecken. Einen Tag später rollen erstmals englische Panzerspähwagen in den Ort.

Die Briten verlangen die Versicherung, dass der Ort frei von deutschen Soldaten sei. Die kann auch Bürgermeister Johann Meybohm, „der alles aufbietet um den Flecken zu retten“, nicht geben.

Zwar räumt die Wehrmacht den Ort, setzt sich aber am Mühlenberg fest. Als ein deutscher Spähtrupp auf englische Panzer schießt, feuern die Engländer zurück - schnell brennen Gebäude. Kritisch ist der 23. April. Harsefeld erhält ein Ultimatum von eineinhalb Stunden.

Wenn dann keine bündige Erklärung darüber vorliegt, dass der Ort frei von deutschen Soldaten sei, werde Harsefeld durch Bomben in Trümmer geworfen. Die Menschen flüchten in die Wälder. Im allerletzten Augenblick kann eine befriedigende Erklärung abgegeben werden.

Panzer feuern ins Dorfzentrum

Am 29. April ist Aspe von britischen Truppen besetzt. Die Lage in Kutenholz spitzt sich zu. Der Bürgermeister und andere Männer müssen unter Gewaltandrohung die Panzersperre zwischen Gastwirt Lütjen und Kaufmann Dieckmann schließen. Es gibt Spannungen und Wortgefechte zwischen Bewohnern und SS-Leuten.

Blick auf den Explosionsort in Kutenholz, wo ein Panzer 1945 bei der Fahrt über eine Mine detoniert ist.

Blick auf den Explosionsort in Kutenholz, wo ein Panzer 1945 bei der Fahrt über eine Mine detoniert ist. Foto: Household Cavalry Museum Archive

Am 30. April, kurz nach 10 Uhr rollen mehr als 50 britische Panzer auf Kutenholz zu, verteilen sich um den Ort und schießen ins Dorfzentrum. Die Bewohner flüchten in Keller und Bunker. Bald brennt es im Dorf an mehreren Stellen. Ein Panzer wird auf der Landstraße durch eine Mine in die Luft gesprengt, das hat Hausdurchsuchungen und lange Verhöre zur Folge. Schließlich wird der Bürgermeister kurzzeitig verhaftet und verhört, als ein zweiter Sherman-Panzer am 1. Mai explodiert.

Die Briten befreien am 29. April das Kriegsgefangenenlager Sandbostel. Angesichts dieses Grauens und der durch die Deutschen verübten Verbrechen kann der Selsinger Pastor Baden die Briten nur mit mühevollem Zureden davon abhalten, umliegende Dörfer als Vergeltung dem Erdboden gleichzumachen.

Die Garde-Panzerdivision und zwei Brigaden der 51st Highland Division besetzen am 2. Mai 1945 Bremervörde. Am gleichen Tag dringen britische Truppen über Estorf, Gräpel und Oldendorf in die Ostemarsch und über Himmelpforten in das Kehdinger Moor vor.

Als die Engländer aus Richtung Sunde auf Kuhla vorrücken, sichten sie im Dorf zwei deutsche Soldaten und eröffnen das Feuer. Das Haus von Familie Hansen brennt. Bürgermeister Klaus Harms und sein Nachbar Carsten Peters nehmen weiße Fahnen und gehen den Engländern entgegen.

Als sie vor den Panzern ins Dorf zurückkehren, schreckt eine Detonation die Dorfbewohner auf - deutsche Soldaten haben die Brücke über den Mühlenbach in die Luft gejagt. Notdürftig flicken die Kuhlaer die Brücke auf Geheiß der Engländer. Nachts taucht die Waffen SS auf, fordert, die Brücke wieder abzubauen und droht, den Bürgermeister zu erschießen. Am nächsten Tag besetzen die Engländer Kuhla endgültig.

Hunderte Marinehelferinnen aus der Estetal-Kaserne müssen sich nach der kampflosen Übergabe der Stadt bei den Briten melden.

Hunderte Marinehelferinnen aus der Estetal-Kaserne müssen sich nach der kampflosen Übergabe der Stadt bei den Briten melden. Foto: TAGEBLATT-Archiv

Bedrohungen von beiden Seiten erlebt Bürgermeister Vollmers in Hammah. Den Ort hat er den Engländern kampflos übergeben. Nachts taucht ein deutscher Spähtrupp in seinem Haus auf, der sich an den Befehl der Gauleitung halten will, jeden Bürgermeister zu erschießen, der sein Dorf kampflos aufgibt. Vollmers kann sich „herausreden“ - die Soldaten machen sich davon.

Hammaher blicken auf Mündungsrohre der Panzer

Dass deutsche Soldaten im Dorf waren, beunruhigt wiederum die Briten. Sie befehlen den Hammahern am nächsten Tag, sich vor der Gastwirtschaft Schlichting zu versammeln. Auch der britische Einheitenführer droht, den Bürgermeister zu erschießen, weil der den Ort „feindfrei“ übergeben hat.

„Rund herum standen Panzer und Maschinengewehre und richteten ihre Mündungen auf die Zivilbevölkerung, die hauptsächlich aus Alten, Frauen und Kindern bestand. Wir hatten alle Angst und wurden dort erst gewahr, was nachts passiert war“, so Zeitzeuge Spreckels. Aber sowohl Vollmers als auch Hammah kommen glimpflich davon.

Weiße Fahnen nicht vor 16 Uhr

Weiße Fahnen nicht vor 16 Uhr - sonst werden diese Häuser mit Panzerfäusten in Brand geschossen - so die Drohung eines deutschen Hauptmanns der Marineartillerie, die am gleichen Tag noch in Burweg ist. Von Breitenwisch kommend schießt ein britischer Panzer auf Plätze im Dorf, wo sich noch deutsche Soldaten bewegen.

Kurz nach 16 Uhr des 3. Mai machen sich Adolf Haak und Christian Hagenah mit weißen Fahnen auf zu den Engländern, um Burweg zu übergeben, sie werden mit Warnschüssen auf Abstand gehalten. Erst als die deutsche Marineeinheit Burweg verlassen und sich über die Ostebrücke abgesetzt hat, besetzen die Briten Burweg.

Um 16.30 Uhr fliegt der Mittelteil der Eisenbahnbrücke über die Oste in die Luft. Auch die Straßenbrücke der heutigen B73 und der damaligen Reichsstraße 73 wollten die Deutschen sprengen - aber nur eine Ladung zündet. Die Brücke steht noch heute.

Das deutsche Korps Ems kapituliert am 5. Mai in Ebersdorf gegenüber der 51st Highland Division. Am 7. Mai 1945 übernimmt das 30. Britische Korps die militärische Oberhoheit zwischen Elbe und Weser. Kehdingen und das Alte Land werden erst nach der Kapitulation endgültig besetzt.

Quellen: Ausstellungsdokumentation „Mangeljahre“ von Christa Keller-Teske, Ortschroniken von Kuhla, Burweg und Hammah.

TAGEBLATT-Artikel „Vor 25 Jahren: So starb der Zweite Weltkrieg im Landkreis Stade“ vom 30.4.1970, der sich auf entsprechende Ortschroniken bezieht, die dokumentieren, wie die Menschen in den Dörfern die letzten Kriegstage erlebten. Eine Aufarbeitung des Schicksals, der Namenlosen, Verschleppten, Kriegsgefangenen, der Frauen und Männer, die misshandelt, hingerichtet und unbekannt in der deutschen Fremde verscharrt wurden, leisten diese Quellen in der Regel nicht.

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