TMachen lange Wartezeiten die Patienten aggressiver?

Die Gewalt in Praxen und Kliniken nimmt zu. Inzwischen kündigen Mitarbeiter, weil es ihnen reicht. Was sind die Gründe für die zunehmende Aggressivität im Gesundheitswesen? Foto: Sebastian Gollnow
Ist es die Verärgerung über lange Wartezeiten beim Arzt, die einige Patienten immer aggressiver werden lässt? Oder eine überzogene Erwartungshaltung? Die Landesregierung beschäftigt sich mit der „kurzen Zündschnur“ vieler Patienten.
Bremerhaven. Beleidigungen, Tritte, Anspucken: In Praxen und Kliniken gibt es immer mehr Übergriffe durch aggressive Patienten. In einigen Kliniken werden schon die Türgriffe abgeschraubt. Und einige Mitarbeiter kündigen, weil es ihnen reicht. Dass den Helfern im Gesundheits- und Rettungswesen schon lange nicht mehr nur Dankbarkeit, sondern Aggressivität und sogar Gewalt entgegenschlägt, ist eine bekannte traurige Wahrheit. Wie groß das Ausmaß ist, hat jetzt der Senat in einem umfassenden Papier zusammengefasst. Aber warum werden die Patienten immer aggressiver, wenn sie im Wartezimmer von Praxen und Kliniken auf ihre Behandlung oder lange auf einen Termin warten müssen? Das Senatspapier, das auf Anfrage der FDP-Bürgerschaftsfraktion verfasst wurde, liefert mögliche Erklärungen.
Frustration wegen langer Wartezeiten
Die Landesregierung fragte bei den Verbänden der Leistungserbringer nach. Dort erklärt man sich die stark zunehmende Aggressivität und die Übergriffe auf die Beschäftigten mit der Frustration der Patienten über lange Wartezeiten bei einer gleichzeitig hohen Belastung der Praxen und Kliniken. Vermutet wird zudem, dass eine erhöhte Anspruchshaltung der Patienten an die Gesundheitsversorgung eine Rolle spielen könnte. „Der Wunsch nach einer vollständigen und schnellen, möglichst ambulanten Versorgung kollidiere zum Beispiel mit den Versorgungsrealitäten in der Krankenhauslandschaft“, heißt es in der Stellungnahme des Senats. Er selbst hält es auch für möglich, dass steigende wirtschaftliche und soziale Belastungen die Zunahme der Übergriffe erklären können.
Reform der Notfallversorgung
Die Landesregierung sieht großen Veränderungsbedarf bei der Steuerung des Patientenaufkommens. Die Reform der Notfallversorgung, die auf Bundesebene diskutiert werde, könnte im Land Bremen zum Aufbau von Notfallzentren führen, an die sich Patienten außerhalb der regulären Sprechstunden mit ihren ambulanten Notfällen wenden können.
Der Senat bestätigt, dass auch Sprachbarrieren ein großes Problem im Gesundheitswesen sind. Allerdings sei noch nicht hinreichend geklärt, welche Bedeutung sie im Zusammenhang mit den Gewaltvorkommnissen haben. Er weiß auch nicht, wie groß die Anzahl der Patienten ohne Deutschkenntnisse ist.
Auf die Frage der FDP, wie er die oft von Patienten kritisierte schlechte Erreichbarkeit von Arztpraxen beurteilt, antwortet der Senat eher unbestimmt. Er verweist auf eine Umfrage der Kassenärztlichen Bundesvereinigung aus dem Jahr 2021. Nur 18 Prozent der Befragten im Land Bremen sagten, dass ihnen die Wartezeit auf einen Termin zu lang war. 42 Prozent gaben an, dass sie kurzfristig einen Termin bekommen haben. Allerdings habe man zu wenig Informationen, um das Thema hinreichend beurteilen zu können, heißt es in der Senatsantwort.
Erschütternde Umfrageergebnisse
Über das Ausmaß der Übergriffe in Kliniken, Praxen und bei Einsätzen der Rettungsdienste ist der Senat trotz großen Dunkelfelds hinreichend informiert. Laut einer aktuellen Umfrage der Kassenärztlichen Bundesvereinigung gaben 48 Prozent der Befragten an, dass körperliche Gewalt gegen Mitarbeiter in den vergangenen fünf Jahren zugenommen hat. Die Kliniken registrieren ebenfalls eine zunehmende Bedrohungslage. Besonders die Mitarbeiter in den Notaufnahmen berichten von Beleidigungen, Gewalt und Zerstörung von Inventar. Und Rettungsdienste wie die der Feuerwehr Bremerhaven listen jedes Jahr Vorfälle von Beleidigung, Aggressivität und Anspucken auf.