T„Meine Blüten sind für Bienen sehr attraktiv“: Der Baum des Jahres im Interview

Heiner Baumgarten vom BUND zeigt Blätter und Fruchtansatz der Mehlbeere. Foto: Anping Richter
Die Mehlbeere ist der Baum des Jahres. Ein solcher wächst jetzt auch in Stade - der erste seit Ewigkeiten. Was macht die Mehlbeere so besonders? Und welche anderen Bäume mag sie überhaupt nicht? Das und einiges mehr erklärt sie im Interview.
Stade. Sorbus Aria, Sie sind der Baum des Jahres und haben in Stade einen Standort bekommen. Herzlichen Glückwunsch und willkommen in der Stadt. Wie fühlen Sie sich?
Es geht mir bestens, danke der Nachfrage. Allerdings bin ich auch nicht anspruchsvoll. Sie müssen übrigens nicht den botanischen Namen benutzen, sondern dürfen mich gerne Mehlbeere nennen.
Bisher hat man von Ihnen, mit Verlaub, ja eher wenig gehört, Frau Mehlbeere. Wie kommt es jetzt zu der Ehrung?
In meiner Familie gibt es einige Prominente, die mir die Show stehlen, allen voran der Apfel. Aber jetzt ist mir meine Bescheidenheit zugute gekommen: Ich bin robust, kaum anfällig für Schädlinge, mag offene, lichte Standorte und komme gut mit Wärme und Trockenheit klar. Die Stiftung Baum des Jahres denkt deshalb, dass ich in Zukunft eine bedeutende Rolle bei der Begrünung der Städte spielen werde.
Ihr Name klingt besonders. Schmecken Ihre Beeren mehlig?
Wie mein Verwandter, der Apfel, gehöre ich zu den Kernobstgewächsen. Meine Früchte sind eigentlich keine Beeren, sondern Apfelfrüchte. Und ja, irgendwann werden sie weich und mehlig. Aber im Herbst sehen meine leuchtend orangen Rispen toll aus und werden oft bewundert. Nach dem ersten Frost bekommen meine Früchte Süße und Aroma. Als Mus, Marmelade, Gelee oder Saft schmecken sie angeblich sehr gut, das kann ich natürlich nicht beurteilen. Sie enthalten viel Vitamin A und C und sollen auch gegen Husten helfen. Früher wurde das getrocknete Fruchtfleisch zermahlen und dem Brot beigemischt. Das macht es länger haltbar. Wahrscheinlich kommt mein Name daher.
Die Früchte der Mehlbeere.
Foto: Pixabay
In Stade sind Sie laut den Grünplanern der Stadtverwaltung ziemlich einzigartig: In den vergangenen 25 Jahren stand keine Mehlbeere auf den städtischen Pflanzlisten, und auch im Baumkataster ist keine aufgeführt. Macht das die Fortpflanzung nicht etwas schwierig?
Ich will nicht prahlen, aber meine Blüten sind für Bienen sehr attraktiv. Und echte Mehlbeeren wie ich sind in Nordwestdeutschland zwar selten, aber ich neige zur Bastardierung. Das ist nichts Unanständiges, es ist einer meiner ökologischen Vorzüge: Mit der Vogelbeere (Eberesche, Sorbus aucuparia) oder der Elsbeere (Sorbus torminalis) entstehen oft natürliche Kreuzungen. Diejenigen, die besonders gut in die Umgebung passen, bilden dann Verbreitungsschwerpunkte.
Sie scheinen für sich und ihre Nachkommen ja sehr zuversichtlich in die Zukunft zu blicken, Frau Mehlbeere. Gibt es etwas, vor dem Sie sich fürchten?
Ja. Großbäume wie Buchen, Eichen oder Ahorn. Ihre breiten Kronen nehmen mir das Licht, dagegen kann ich mit meiner bescheidenen Größe von 12 bis 15 Metern nicht ankommen. Aber die anderen stehen ja eher im Wald. Wenn es optimal läuft, könnte ich hier in Stade 150 bis 200 Jahre alt werden.

Den Baum des Jahres hat diesmal die Stadt Stade spendiert. Bürgermeister Sönke Hartlef, Heiner Baumgarten vom BUND, Ratsherr Horst Deede (UBLS) und Landrat Kai Seefried pflanzen die Mehlbeere ein. Foto: Anping Richter
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Genau, Sie stehen nicht im Wald, sondern an der Ecke vom Bohrfeld zum Heidbecker Damm, mitten im Industriegebiet. Nicht gerade die netteste Umgebung für einen Baum, oder?
Wie gesagt, ich bin ein idealer Stadtbaum und darum gar nicht unzufrieden. Meine schlanke Krone wird nicht in den Straßenraum ragen, und über meine Früchte wird sich auch niemand ärgern: Sie bleiben den Winter über am Gehölz. Nach dem ersten Frost stürzen sich die Amseln, Drosseln, Finken, Dompfaffen, Rotkehlchen, Elstern, Krähen, Meisen und Eichelhäher auf mich. Von meinem Laub leben Falterarten wie Baum-Weißling, Gelber Hermlin und Segelfalter. Wissenschaftler haben 157 pflanzenfressende Insekten- und Milbenarten auf den heimischen Sorbus-Arten nachgewiesen. 31 davon haben sich nur auf mich spezialisiert - auf die echte und einzigartige Mehlbeere.
Anmerkung der Redaktion: Für die Übersetzung danken wir dem Baumversteher und Kreisvorsitzenden des BUND, Heiner Baumgarten.