TMit Sport und Herz: Wie VLG-Schüler Senioren Lebensfreude schenken

Ihre Lieblingsfarbe sei Rot, auch wenn man es an der Farbe ihrer Mütze nicht erkennen könne, erzählt Ingrid Goslar. Foto: Wertgen
Das VLG in Stade startet ein generationenverbindendes Pilotprojekt: Schüler und Senioren bewegen sich gemeinsam, lernen voneinander und erleben miteinander.
Stade. Ein Mädchen hüpft mit einem Springseil über den Sportplatz des Vincent-Lübeck-Gymnasiums, zwei Jungs gehen auf Kinderstelzen hinterher. „Das habe ich früher auch gerne gemacht“, bemerkt Ingrid Goslar mit einem Lächeln.
Die 93-Jährige macht ihr Laufabzeichen. Wer sich mindestens 15 Minuten bewegt, erhält eine Medaille. Nach einer Stunde gibt es sogar Gold. Rund 140 Schüler des VLG begleiten Goslar und andere Senioren aus umliegenden Pflegeheimen.
VLG startet Pilotprojekt
Was hier in Stade beginnt, ist mehr als nur eine Sportstunde. Es ist ein Experiment mit Herz: Ab September treffen sich Schüler der Klassen 5 bis 7 regelmäßig mit Seniorinnen und Senioren. Sie bewegen sich zusammen, lernen voneinander und wachsen über sich hinaus.

Bei den Schülern beliebt: Nils-Christian Schwarz ist am VLG „Lehrer des Jahres“ und Initiator des Projekts. Foto: Wertgen
„Bildung endet nicht an der Klassenzimmertür“, sagt Nils-Christian Schwarz, Sportlehrer und einer der Initiatoren. Die Schülerinnen und Schüler sollen durch das Miteinander mit den Senioren fachlich, sozial und persönlich wachsen. „Es ist ein Lernprozess auf Augenhöhe“, betont Schwarz.
Viele Ohren für Senioren
Im Mittelpunkt steht der Dialog zwischen den Generationen. An der Seite von Ingrid Goslar gehen Marta Dieckman, Iman Akram, Hanna Rinkenbach und Linn Langelotz. Die Schülerinnen fragen interessiert, hören gespannt zu. Goslar erzählt von ihrem Geburtsort und einer schönen Kindheit - bis der Krieg ausbrach. „Wir können uns glücklich schätzen, dass es heute anders ist“, reagieren die vier Mädchen empathisch.

Marta Dieckman, Iman Akram, Hanna Rinkenbach, Linn Langelotz und Esteban Di Naro Gonzalez mit Ingrid Goslar und Erika Cernoch. Foto: Wertgen
Die vielen Kinder haben keine Berührungsängste, sprechen die Senioren höflich an. „Da waren ja gar keine Rabauken dabei“, sagt Erika Cernoch später und lächelt fröhlich. Die 98-Jährige begleiten teilweise acht Schüler gleichzeitig. Sie habe viel erlebt und viel zu erzählen.
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Zertifizierte Sportassistenten
Das gemeinsame Laufabzeichen war der Startschuss für das Projekt, das für die Kinder nach den Sommerferien beginnt. Die Jugendlichen werden dann im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft zu zertifizierten „Sportassistenten“ und „Lebensfreunden“ ausgebildet.

Lora Tietz übernahm das Aufwärmen. Foto: Wertgen
In speziellen Unterrichtseinheiten lernen sie, wie man Sportgruppen anleitet und worauf es beim Umgang mit älteren Menschen ankommt - von motorischen Besonderheiten, Krankheiten, altersgerechter Kommunikation bis hin zum Tod.
Auch Schülerinnen und Schüler der 9. Klasse begleiten die Kinder. Beim Laufabzeichen gab Lora Tietz einen Vorgeschmack. Die Leichtathletin übernahm das Aufwärmen und hatte Übungen für ihre Mitschülerinnen sowie angepasste Bewegungen für die Senioren vorbereitet.
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Viele Senioren leben einsam
Das Projekt soll nicht nur junge Menschen an ehrenamtliches Engagement und soziale Berufe heranführen: „Wir wollen die Menschen aus der Einsamkeit holen“, sagt Ergotherapeutin Wencke Delekat.
Das Angebot richte sich primär an ältere Menschen, die alleine und sozial isoliert leben. Die Zielgruppe dürfte groß sein: Die Zahl der Pflegebedürftigen hat sich seit 2014 auf 5,6 Millionen Menschen verdoppelt.

Der symbolische Startschuss fiel am Donnerstag. Das eigentliche Projekt beginnt nach den Ferien. Foto: Wertgen
2024 lebten rund 85 Prozent der Frauen und 88 Prozent der Männer mit mindestens Pflegegrad 1 in einer ambulanten Wohnsituation alleine oder mit weiteren Personen, wie aus dem „Report Pflegebedürftigkeit“ des Medizinischen Dienstes hervorgeht.
Eine Altersbegrenzung gäbe es nicht, sagt Delekat. Sie rechnet damit, dass sich überwiegend Menschen ab 70 Jahren melden werden.
Wie VLG-Schüler Senioren Lebensfreude schenken
Die Hochschule 21 begleitet das Projekt wissenschaftlich, der Niedersächsische Leichtathletikverband (NLV) sowie lokale Vereine wie die Hospizgruppe Stade und der VfL Stade bringen ihre Expertise ein. Die beiden Lions Clubs finanzieren das Pilotprojekt im ersten Jahr mit 5000 Euro und der Philologenverband Niedersachsen hofft, dass das Projekt Schule macht.

Demenzkranke Senioren, die im letzten Jahr teilnahmen, können sich heute noch erinnern, freut sich Wencke Delekat. Foto: Wertgen
Kinder lösen Idee aus
Die Idee entstand vor einem Jahr, als Wencke Delekat und Schüler des Schulsanitätsdienstes an selber Stelle Heimbewohner beim Laufabzeichen für Seniorensport begleiteten.
Delekat war begeistert, wie die Kinder mit den Senioren umgingen, und stellte der Schule die Idee vor, den Kontakt zu intensivieren. „Die Frage ist nicht, ob wir das machen, sondern wann“, rennt sie bei Schulleiter Rouven Wauschkies offene Türen ein. Sie entwickeln das Konzept für eine AG.

Ninel Wegerich und Svea Rike Melches. Foto: Wertgen
AG stößt auf großes Interesse
Sportlehrer Schwarz ist von der Idee überzeugt, hat aber zunächst Sorge, ob die AG bei Schülern auf zu wenig Zuspruch treffen könnte. „Wie blöd war ich, daran zu zweifeln?“, sagt er ehrlich. Als Schwarz das Konzept in den Klassen vorstellt, sagen die meisten Kinder zu. Auch Svea Rike Melches hört gespannt zu und muss mit den Tränen kämpfen.

Alle Teilnehmer bekamen am Ende eine Medaille. Foto: Wertgen
Die 12-Jährige kennt es von ihrer demenzkranken Oma, wie Senioren mitunter sozial isoliert leben. Sie freut sich, Menschen helfen zu können, denen es ähnlich geht. „Wir können schöne Erlebnisse schenken“, liegt ihre Freundin Ninel Wegerich richtig: „Das war ein schöner Nachmittag“, freut sich Ingrid Goslar kurz vor der Abfahrt über die Kinder, die ihr Herz am richtigen Fleck haben.
Interessierte können sich beim VLG unter 04141/79790-0 melden.

Erika Cernoch enthüllte das neue Projekt. Foto: Wertgen
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