TMörder, Räuber und Diebe auf Entzug: Besuch im Maßregelvollzug Brauel

Kontrolle muss sein: Die Patienten bauen während ihrer Therapie Holzbauwerke wie Vogelfutterstellen oder Igelhäuser. Matthias Brandt muss die Werke auf Sicherheit kontrollieren. Foto: Wenzel
Wer unter Drogen ein Verbrechen begeht, landet möglicherweise hinter Gittern im Stader Nachbarkreis. In der Entzugsklinik bei Zeven hilft Matthias Brandt den Gefangenen, ihren Alltag zu meistern.
Brauel. Ein grüner, mehrere Meter hoher Gitterzaun mit Stacheldraht ist das Erste, was zu sehen ist, wenn man auf das Maßregelvollzugszentrum (MRVZN) in Brauel bei Zeven zukommt. Unauffällig und mitten im Wald gelegen, führt der einzige Weg hinein durch eine Schleuse. Eine Frau und ein kleines Mädchen wollen rein. Sie möchten jemanden besuchen. Die Frau geht unsicher auf die Schleuse und das Sicherheitspersonal zu, das Kind dagegen gut gelaunt und hüpfend. An der Pforte warten die Eingangskontrollen auf die beiden.
Verantwortlich für die reibungslosen Kontrollabläufe ist der Sicherheitsbeauftragte Matthias Brandt. Seit fünf Jahren hat der 38-Jährige diesen Posten. Er sorgt gemeinsam mit seinem Team des Koordinationsbüros dafür, dass alle Kontrollen auf Drogen, Alkohol und gefährliche Gegenstände durchgeführt werden, damit nichts davon in die Klinik gelangt. Vor zwölf Jahren hat er als Mitarbeiter im Pflege- und Erziehungsdienst in der Einrichtung angefangen, dann hat er sich weitergebildet. „Jeder, der hier rein will, wird kontrolliert, auch Kinder“, sagt Brandt. „Leibesvisitationen oder so etwas machen wir in der Regel nicht, nur auf Verdacht. Aber jeder muss durch den Metalldetektor.“ Auch Handys müssen abgegeben werden, da sie auf dem Gelände streng verboten sind.
Suche nach Papier: Methoden für Schmuggel sind vielfältig
Dass trotzdem Verbotenes immer wieder den Weg hinter den Zaun findet, ist Brandt klar. Der Grund dafür ist offensichtlich: Manche Patienten dürfen das Gelände zeitweise verlassen, je nachdem, welche Lockerungen nach dem individuellen Therapieplan erlaubt sind. Da ist es nicht unmöglich, etwas wieder mit hineinzubringen. „Die Patienten sind kreativ und finden immer wieder Mittel und Wege, Handys oder Rauschmittel in die Einrichtung zu schmuggeln. Wir treffen immer wieder auf neue genutzte Methoden und Präparate. Im Internet kann man für diesen Zweck auch genug Hilfsmittel bestellen“, sagt der 38-Jährige.
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Neuerdings sucht das Kontrollteam nach Papier - auch wenn es nur ein kleiner Schnipsel ist. Es ist gerade Trend, eine flüssige Droge auf Papier zu sprühen und dann zu rauchen. Das sorgt für einen Rausch. Dafür reicht schon die Größe eines Papierkaros. Deshalb darf auch niemand das vermeintlich selbst gemalte Bild vom Kind mitnehmen.
Das Ziel in Brauel nach der Haft: Wohnung und Job
Im niedersächsischen Brauel sitzen Männer, die unter Einfluss von Rauschmitteln Straftaten begangen haben. Sie sind unter anderem verurteilt wegen Mordes, Raubüberfällen mit und ohne Waffen oder wegen Diebstahls. In dieser Klinik sollen sie den nach Paragraf 64 StGB gerichtlich angeordneten Entzug machen. Im Schnitt dauert der Aufenthalt in der Entzugsklinik zwei Jahre. Ziel ist es, dass die Patienten am Ende des Aufenthalts resozialisiert sind, bestenfalls eine eigene Wohnung und einen Job haben und ihr Leben eigenständig führen können.

Immer viel zu tun: Obwohl Matthias Brandt, Sicherheitsbeauftragter des MRVZN in Brauel, einen Job mit viel Verantwortung und vielen verschiedenen Aufgaben hat, hat er immer ein offenes Ohr für die Mitarbeiter und Patienten. Foto: Wenzel
All das soll während der Zeit in der Einrichtung in Brauel erreicht werden. Vor Therapieantritt im MRVZN haben viele Patienten bereits in Haft einen Vorwegvollzug hinter sich gebracht. In Brauel angekommen, durchlaufen die Patienten mehrere Stationen. Angefangen wird in der geschlossenen, danach geht es in die halboffene Behandlungsphase. Die Patienten können erste unbegleitete Ausgänge machen, etwas einkaufen oder Termine wahrnehmen. Auch Arbeiten und Lernen in den internen Werkstätten und der Schule gehört dazu. Zum Schluss sind die Patienten in der offenen Behandlung, können das Gelände verlassen, um zu arbeiten oder sich einen Job zu suchen. Patienten, die viele Jahre hinter Gittern verbracht haben, müssen das Leben in Freiheit neu lernen. Auch die Entwicklung der Technik kann zu einem Kulturschock führen, weshalb sie in Brauel in dieser Phase begleitet werden.

Immer viel zu tun: Obwohl Matthias Brandt, Sicherheitsbeauftragter des MRVZN in Brauel, einen Job mit viel Verantwortung und vielen verschiedenen Aufgaben hat, hat er immer ein offenes Ohr für die Mitarbeiter und Patienten. Foto: Wenzel
Von obdachlos bis reich kommen alle Männer in Brauel an, Frauen gibt es hier nicht mehr. Viele Insassen sind durch die Drogensucht völlig abgemagert oder haben sich wegen ihrer Obdachlosigkeit lange nicht gewaschen. Hier können sie duschen und an Gewicht zunehmen. Auch der Tag-Nacht-Rhythmus muss von vielen gelernt werden. „Wenn jemand sagt, ‚Ich kann endlich wieder träumen‘, weiß ich, dass er auf einem guten Weg ist, von der Sucht loszukommen“, erklärt Brandt. Denn: „Die Drogen machen dem Gehirn das Träumen teilweise unmöglich“, schiebt er nach.
Matthias Brandt ist ein ruhiger Beobachter
Brandts Telefon klingelt. Ein zukünftiger Patient fragt, was er alles für seinen Aufenthalt im Vollzugszentrum in seinen Koffer packen darf. Er braucht Klamotten für Winter und Sommer, alles Weitere bekommt er hier neu vom Personal, lautet die Antwort. Matthias Brandt, der nicht nur für die Sicherheit, sondern auch für die Aufnahme neuer Patienten zuständig ist, ist ein ruhiger und gelassener Typ. Er ist ein Profi auf seinem Gebiet, den so schnell nichts aus der Ruhe bringt, spricht mit ruhiger und fast leiser Stimme. „Ich war schon immer jemand, der in stressigen Situationen ruhig statt aufgeregt wurde. Ich beobachte viel und bin eher zurückhaltend, was für diesen Job sehr hilfreich ist“, so der dunkelhaarige Mann über sich selbst.
Vertrauen trotz kreativer Betrugsversuche
Im Büro hat Brandt viele Gegenstände, die Patienten versteckt oder für ihre Zwecke präpariert haben: Schuhkartons oder Getränkedosen mit doppeltem Boden, winzige „Knasthandys“ und eine selbst gebaute Tätowiermaschine. Auch Fake-Penisse und Fake-Urin wurden sichergestellt. Damit wird von manchen Patienten versucht, die unumgängliche Urinprobe an der Eingangskontrolle nach dem Freigang zu fälschen.
Trotz allem wollen Brandt und sein Team den Straffälligen auch Vertrauen entgegenbringen. Die Sicherheitsmaßnahmen werden deshalb im rechtlichen Rahmen und individuell gewählt. Sie sollen hier auf ein eigenständiges Leben außerhalb von Knast oder Therapie vorbereitet werden. „Unser Ziel ist, dass jeder, der seine Zeit hier abgesessen hat, einen Job und eine Wohnung hat. Manche wollen die Hilfe und manche nicht. Die Regeln sind bekannt und wichtig für die therapeutische Arbeit. Wer sich hier nicht benimmt, kommt zurück in die JVA.“
Patienten sind höflich, aber auch manipulativ
Ein Rückfall ist während eines Drogenentzugs normal, erzählt Brandt weiter. Ausschlaggebend ist, wie der Patient dann damit umgeht: Ob er dazu steht und sich Hilfe holt, oder versucht, den Konsum zu vertuschen.
Auf dem Weg in die Werkstatt, in der die Männer mit Holz arbeiten und verschiedene Sachen bauen können, begegnet dem Sicherheitsbeauftragten ein Patient. „Ich darf übers Wochenende zu meiner Familie fahren“, sagt er im Vorbeigehen mit einem breiten Grinsen und strahlenden Augen.
Die Patienten sind kreativ und finden immer wieder Mittel und Wege, Handys oder Rauschmittel in die Einrichtung zu schmuggeln.
Matthias Brandt, Sicherheitsbeauftragter des MRVZN
Die Patienten respektieren den 38-Jährigen, scheinen ihn zu schätzen. „Herr Brandt, was verschafft uns die Ehre?“, wird er in der Werkstatt von einem Untergebrachten begrüßt. Brandt reagiert höflich, aber distanziert. Er nimmt alle Äußerungen und Anliegen auf und reagiert professionell, lässt sich auf kein Gesabbel ein.
Bei dem Sicherheitschef kommen alle Anfragen auf Lockerungen an. Er berät die Vollzugsleitung dazu, das wissen auch die Straftäter. „Man muss bei den Patienten aufpassen. Sie können manipulativ sein“, weiß er.
Brandts Telefon klingelt wieder. Die Justiz fragt, ob der erwartete Patient schon angekommen ist. Brandt verneint. „Heute soll noch ein Mann seine Therapie im Vollzug antreten. Wir werden sehen, ob er heute noch kommt, wenn nicht, wird die zuständige Staatsanwaltschaft informiert“, sagt er und macht sich auf den Rückweg in sein Büro, in dem viel Papierkram wartet.

Selbstgemaltes kommt an die Wand: Die Patienten malen Bilder in ihrer Therapie. Die Kunst wird in den Räumlichkeiten zur Dekoration aufgehängt, von Fußball über Superhelden bis Hello Kitty ist alles dabei. Foto: Wenzel