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Dorfchronik

TNSDAP-Vergangenheit: Als der Moorschullehrer „entbräunt“ wurde

Moorschule im Oederquarter Bruch.

Moorschule im Oederquarter Bruch. Foto: Bernd Staats

Als Ex-Mitglied der NSDAP hatte es der Lehrer Schindowski 1946 schwer, im Schuldienst Fuß zu fassen. Es ist nur eine von vielen lesenswerten Geschichten in der neuen Dorfchronik von Oederquart.

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Von Susanne Helfferich
Samstag, 23.08.2025, 05:50 Uhr

Oederquart. In seinem Tagebuch berichtete Moorschullehrer Schindowski von seinen Schwierigkeiten, wieder in den Schuldienst zu kommen. „Weil ich wahrheitsgemäß angegeben hatte, daß ich seit 1937 in der Partei und in der H. J. war“, notierte er.

Schließlich seien alle „harmlosen Nazis entbräunt“ worden, und so habe er im Oktober 1946 den Bescheid erhalten, die Schulstelle an der einklassigen Schule Bruch zu übernehmen. Drei Tage später zog die Lehrerfamilie um: von der Kehdinger Straße in Stade in den Bruch in Oederquart, wo Schindowski fortan acht Jahrgänge in einer Klasse unterrichtete.

Das alte Schulgebäude des Moorschullehrers Schindowski.

Das alte Schulgebäude des Moorschullehrers Schindowski. Foto: Bernd Staats

Die bisherige Dorfchronik, die Dorfschullehrer Hermann Poppe geschrieben hatte, endet 1947. Seither hat sich viel getan im Ort, was bisher nicht aufgeschrieben ist. „Solange man jung ist, interessieren sich die wenigsten für die Dorfgeschichte“, sagt Hans-Heinrich Janßen, ehemaliger Oederquarter Bürgermeister: „Wenn dann die Fragen aufkommen, was wo passiert ist und wie das Dorf früher aussah, ist es meist zu spät.“

Die ehemalige Schule Oederquart/Bruch.

Die ehemalige Schule Oederquart/Bruch. Foto: Privat

2018 riefen Janßen, Bernd Staats und Heinrich Kühlcke-Schmoldt die Oederquarter per Wurfzettel auf, in ihren Schubladen und auf den Böden Fotos, Aufzeichnungen und Dokumente zur Geschichte des Dorfes zu suchen. Es kam tatsächlich viel Material zusammen. 54 Themenblöcke füllen inzwischen fast 500 Seiten und damit zwei Bände.

Marga Cochu schreibt Oederquarts Geschichte auf

Die drei Männer bewährten sich als Jäger und Sammler. Doch es fehlte die Edelfeder, die die Ausbeute schriftlich in Form gießen kann. Schließlich sprachen sie vor zwei Jahren Marga Cochu, Oederquarterin und ehemalige Rektorin der Grund- und Oberschule in Freiburg, an. Seither beschäftigt sie sich kaum mit etwas anderem.

Sie sind die Chronisten von Oederquart (von links): Martha Cochu, Hans-Heinrich Janßen, Heinrich Kühlcke-Schmoldt und Bernd Staats vor Oerichsheil.

Sie sind die Chronisten von Oederquart (von links): Martha Cochu, Hans-Heinrich Janßen, Heinrich Kühlcke-Schmoldt und Bernd Staats vor Oerichsheil. Foto: Helfferich

Vor dem Schreiben musste das umfassende Material gesichtet und sortiert werden. Dabei stießen die Chronisten auf manch interessante Geschichte oder ungewöhnliche Formulierung, wie beim besagten Moorschullehrer Schindowski.

Die heutigen Oederquarter Chronisten können sich noch gut an ihre Kindertage erinnern, als es im weitläufigen Oederquart noch fünf Einkaufsläden, zwei Mühlen, 13 Gaststätten, fünf Schulen, eine Autowerkstatt, einen Schuhmacher, einen Schlachter und einen Friseur gab.

Die Bäckerei Kühlcke, rechts vom Gasthof Staats, steht heute noch.

Die Bäckerei Kühlcke, rechts vom Gasthof Staats, steht heute noch. Foto: Bernd Staats

Friedrich Staats, Vater von Bernd Staats, fuhr mit dem Milchwagen durch den Ort.

Friedrich Staats, Vater von Bernd Staats, fuhr mit dem Milchwagen durch den Ort. Foto: Bernd Staats

Walter Loock verkaufte in seinem Kolonialwarengeschäft auch edle Stoffe. In der Backstube von Kühlcke wurde frisch gebacken. Und Friedrich Staats, Vater von Bernd Staats, fuhr mit dem Milchwagen durch den Ort und verkaufte Käse.

Pferdezucht seit 1873 mit Deckstation in Landesbrück

Eine große Rolle spielte die Pferdezucht mit der Deckstelle Landesbrück. Seit 1873 seien dort Deckhengste des Landgestüts Celle beherbergt worden, heißt es in der Chronik. Mitte der 1980er Jahre wurde die Deckstelle komplett saniert und auf den neuesten Stand gebracht. In Anwesenheit des damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht, Vater von EU-Präsidentin Ursula von der Leyen, wurde 1986 das neue Gebäude eingeweiht.

Zur Einweihung der neuen Deckstation in Landesbrück kam auch Niedersachsens Ministerpräsident Ernst Albrecht (Dritter von rechts).

Zur Einweihung der neuen Deckstation in Landesbrück kam auch Niedersachsens Ministerpräsident Ernst Albrecht (Dritter von rechts). Foto: Bernd Staats

Mit der neuen Deckstation erfolgte auch die Umstellung von der natürlichen Paarung - Natursprung genannt - zur künstlichen Besamung. Die Deckhengste wurden mit der Bahn nach Cadenberge gebracht und von dort - geritten oder geführt - nach Landesbrück.

So wurden die Stuten zur Deckstation in Landesbrück gebracht.

So wurden die Stuten zur Deckstation in Landesbrück gebracht. Foto: Heinrich Ehlers

Die Stuten wurden dabei miteinander verknüpft: Die vordere Stute geritten, die zweite in den Schweif der ersten geknotet, die dritte in den Schweif der zweiten und so weiter. Eine weitere Besonderheit: Es gab ein Kehdinger Pferdehalfter, das noch heute von Edgar Goedecke, dem ehemaligen Samtgemeindebürgermeister und Sohn des Wischhafener Reepschlägers August Wilhelm Goedecke, aus Seilen gefertigt wird.

Einzug der Windenergie drohte, das Dorf zu spalten

Ein großes Kapitel ist auch dem Einzug der Windenergie in Oederquart gewidmet. 1993 wurde Nordkehdingen in einer Studie des Deutschen Windenergie Instituts (DEWI) als windhöffig eingestuft, woraufhin ein Investor aus Nordrhein-Westfalen Flächen pachten oder kaufen wollte. 26 Oederquarter gründeten dann aber die Bürgerwindpark Oederquart Erschließungs- und Verwaltungsgesellschaft mbH und nahmen das Projekt selbst in die Hand.

Die Gemeinde Oederquart warb im Jahr 2001 für die Akzeptanz der Windkraftanlagen.

Die Gemeinde Oederquart warb im Jahr 2001 für die Akzeptanz der Windkraftanlagen. Foto: Gemeinde Oederquart

Widerstand gegen Windräder.

Widerstand gegen Windräder. Foto: Bürgerinitiative gegen noch mehr Windräder

1997 nahm der Bürgerwindpark seine erste Anlage mit einer Nennleistung von 1500 Kilowatt in Betrieb. 1998 folgten die nächsten Anlagen östlich des Freiburger Weges. Und so sollten weitere Windmühlen projektiert werden. Doch es entbrannte eine öffentliche Diskussion zwischen Gegnern und Befürwortern.

Eine Bürgerbefragung lehnte mit knappen 54 zu 56 Prozent neue Planungen ab. Doch das fragliche Gebiet war inzwischen im regionalen Raumordnungsprogramm des Landkreises Stade ausgewiesen. So konnte die Errichtung der Windenergieanlagen nicht mehr verhindert werden.

Unterstützung für Oederquarter Vereine

Heute gibt es kaum noch Stimmen gegen die Windenergie. Die Gemeinde Oederquart hat von der Windenergie über hohe Steuereinnahmen profitiert. Die von den Gesellschaftern des Bürgerwindparks eingerichtete Gemeinnützige Stiftung Oederquart unterstützt ehrenamtliche Vereine und Initiativen.

Die neue Chronik wird viel Lesestoff bieten. Dass das zu viel sein könnte, fürchtet Bernd Staats, Initiator und Hobbyfotograf, nicht: „Wir haben die Themen so breit gefächert, dass wir alle Interessen im Dorf erreichen.“ Durch die umfangreiche Bebilderung der beiden Bände sei auch das Wiedererkennen ein großer Reiz. Ende November soll die Chronik fertig sein - rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft.

Mit dem Kehdinger Halfter zur Deckstation. Pferdezucht spielte in Oederquart eine große Rolle.

Mit dem Kehdinger Halfter zur Deckstation. Pferdezucht spielte in Oederquart eine große Rolle. Foto: W. Ernst

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Im Kolonialwarengeschäft von Walter Loock wurden auch Stoffe verkauft.

Im Kolonialwarengeschäft von Walter Loock wurden auch Stoffe verkauft. Foto: Bernd Staats

Acht Jahrgänge in einer Klasse unterrichtete der Moorschullehrer Schindowski im Bruch.

Acht Jahrgänge in einer Klasse unterrichtete der Moorschullehrer Schindowski im Bruch. Foto: Bernd Staats

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