TNach Gewaltexzess im Stader Clan-Prozess: Die Ermittlungen laufen

Der Angeklagte Mustafa M. spricht mit seinen Anwälten Dinah Busse und Dirk Meinicke. Die Aufnahme entstand am Freitag, dem Tag des Urteils. Foto: Sina Schuldt/dpa-Pool/dpa
Der Clan-Prozess gipfelte am Freitag in brutaler Gewalt. Einer der beiden Nebenkläger griff den Angeklagten und dessen Frau an. Das ist bislang bekannt.
Stade. Der Stader Polizeisprecher Rainer Bohmbach sprach gegenüber dem TAGEBLATT von einer „erfolgreichen Lagebereinigung“ am vergangenen Freitag. Die Lage war ein Ausmaß an Gewalt im Stader Landgericht, das seinesgleichen sucht.
Wie berichtet kam es nach der Urteilsverkündung im Clan-Prozess, nachdem der Angeklagte zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden war, noch im Gerichtssaal zu körperlichen und verbalen Auseinandersetzungen zwischen den aus dem Libanon stammenden arabischen Großfamilien Rachid-Al-Zein und Miri.
Die Justizbehörden schalteten die Polizei ein. Die Bereitschaftspolizei half, die Clans im und vor dem Landgericht in der Stader Altstadt zu trennen. Des Weiteren habe die Polizei versucht, beide Familien „mit Gefährderansprachen“ (Bohmbach) vor weiteren Straftaten abzuhalten.
Die Stader Polizei hat die Ermittlungen aufgenommen. Laut Bohmbach sind zwei Strafanzeigen gestellt worden. Ins Detail wollte er mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen am Montag nicht gehen.
Vorgang in dieser Dimension gab es bisher nicht
„Einen Vorgang in dieser Dimension hat es am Landgericht Stade in den vergangenen 30 Jahren nicht gegeben“, sagt Pressesprecherin Petra Linzer, die das Durcheinander ebenso hautnah miterlebt hat wie die Pressevertreter.
Damit so etwas nicht wieder passieren könne, sei bereits am Montagmorgen eine Lagebesprechung einberufen worden, um aus der Situation zu lernen, was vonseiten des Landgerichts verbessert werden könne. Zudem sei für die beteiligten Mitarbeiter ein Kriseninterventionsteam angefordert worden, um das Erlebte nachzuarbeiten.
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„Wir werden solche Verfahren mit Zuschauern, die ihre Emotionen nicht im Griff haben und die das staatliche Gewaltmonopol nicht akzeptieren, immer wieder haben“, befürchtet Petra Linzer. Alle Kräfte seien darauf vorbereitet gewesen, dass am letzten Verhandlungstag etwas passieren könnte, so Linzer.
17 Wachtmeister sollten Verfahren schützen
17 Justizwachtmeister seien am Freitag allein für den Mordprozess im Einsatz gewesen: acht im Zuschauerraum hinter der Glaswand, fünf im Gerichtssaal und vier beim Einlass in der Ritterstraße. Dort sei zudem „ein Riesenaufgebot“ der Polizei in Bereitschaft gewesen. Es wurde von einer Bedrohungslage ausgegangen. Entsprechend habe die Polizei auch gleich eingegriffen, als sie über die kritische Situation im Gericht informiert wurde.

„Ein Riesenaufgebot“ der Polizei war am Freitag beim Clan-Prozess in Bereitschaft. Foto: Vasel
Das Landgericht werde nun Strafanzeige erstatten, so Linzer. Sie sieht gute Chancen auf Erfolg, da alle Zuschauer beim Einlass nicht nur durchsucht wurden, sondern auch ihre Personalien angeben mussten. Außerdem wurden ihre Ausweispapiere fotografiert.
Urteil wegen Mordes ist noch nicht rechtskräftig
Nach TAGEBLATT-Informationen haben Angehörige der Familie Miri die Anzeigen wegen Körperverletzung erstattet. Das bestätigte der Rechtsanwalt des noch nicht rechtskräftig wegen Mordes verurteilten Mustafa M. dem TAGEBLATT. Verteidiger Dr. Dirk Meinicke und seine Kollegin Dinah Busse sind „fassungslos“, dass Justiz und Polizei das Risiko angesichts der Gefahrenlage nicht erkannt hätten.
In Berlin wären die Angreifer aus den Reihen der Al-Zeins sofort in Ordnungshaft gekommen, so die erfahrenen Strafverteidiger. Meinicke bestätigte am Montag den Angriff eines der beiden Nebenkläger auf seinen Mandanten und dessen Frau - in einem Flur, der an den Schwurgerichtssaal angrenzt.
Hat Nebenkläger Ehefrau von Mustafa M. angegriffen?
Der Nebenkläger, den die Justizwachtmeister einige Sekunden lang nicht auf dem Zettel hatten, hatte den Schwurgerichtssaal noch nicht verlassen, während hinter der Panzerglasscheibe im Zuschauerraum die brutale Auseinandersetzung tobte.

Der35-jährige Mustafa M. wird in den Verhandlungssaal des Landgerichts Stade geführt. Foto: Sina Schuldt/dpa-Pool/dpa
Er war urplötzlich in den Flur gelaufen und in die Höhe gesprungen, um - über die Köpfe der Justizwachtmeister hinweg - auf das Ehepaar Miri einzuschlagen. Laut Meinicke habe der jüngere Bruder des getöteten Khaled R. der Ehefrau von Mustafa M. „zwei Faustschläge“, so Meinicke, versetzt. Auch Mustafa M. sei attackiert worden.
Im Zuschauerraum seien auch Vater und Mutter des Verurteilten Ziel der Attacken durch die Rachid-Al-Zeins gewesen. Justizwachtmeister verhinderten Schlimmeres - auch durch Einsatz von Gewalt und Pfefferspray. Die Staatsanwaltschaft Stade will die Täter zur Rechenschaft ziehen. Im Zuge der Ermittlungen werde geprüft, welche Straftaten vorliegen: Beleidigung, Körperverletzung und gemeinschaftliche Körperverletzung, all das stehe im Raum, so Pressesprecher Kai Thomas Breas.
Strafe ist den Al-Zeins zu niedrig
Während des fast neunmonatigen Prozesses war immer wieder von Ehre und Blutgeld die Rede. Die Miris hätten der Familie Rachid-Al-Zein nach dem Tod des Bruders Khaled R. und der Beerdigung in Beirut (Libanon) rund 300.000 Euro geboten, hieß es von Zeugen. Im Gegenzug sollten die Al-Zeins den Mord unter den Teppich kehren.
Doch Blut- und Schweigegeld hätten sie abgelehnt, so die Al-Zeins. Sie setzten stattdessen auf die Justiz, so einer der Nebenkläger in der Verhandlung. Er hoffte beim Auftakt, dass der Angeklagte Mustafa M. „eine gerechte, höchstmögliche Strafe“ bekomme. Doch das Gericht entschied im Mord-Urteil vom Freitag, dass die besondere Schwere der Tat nicht in Betracht komme. Damit war klar: Wird das Urteil rechtskräftig, drohen Mustafa M. aus Sicht der Al-Zeins nur 15 statt 25 Jahre hinter Gittern. Die Enttäuschung über den Richterspruch gipfelte in der Gewaltattacke.
Müssen die Stader sich jetzt Sorgen machen? Polizeisprecher Bohmbach sagt Nein: „Es gibt keine Anzeichen auf eine Außenwirkung.“
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