Zähl Pixel
Jugendtheater

TNazi-Gegner auf der Bühne: Erleben Jugendliche Rechtsextremismus auch in ihrem Alltag?

Aylin (links) und Kim mussten sich für ihre Rollen intensiv mit den Gräueltaten des Nationalsozialismus auseinander setzen.

Aylin (links) und Kim mussten sich für ihre Rollen intensiv mit den Gräueltaten des Nationalsozialismus auseinander setzen. Foto: Ahrens

„Die letzten Tage von Hans und Sophie Scholl“ schockieren die jungen Spieler des Mulsumer Jugendtheaters. Das historische Thema ihres neuesten Stücks ist hochaktuell. Auch in ihrem Alltag ist rechtes Gedankengut Thema - und Jugendliche sind besonders gefährdet.

author
Von Sophia Ahrens
Montag, 11.03.2024, 09:00 Uhr

Mulsum. Das spärliche Licht auf dem Saal des Deutschen Hauses in Mulsum sorgt für eine düstere Atmosphäre. Die Kälte, die der leere Raum vermittelt, passt zu dem, was sich auf der Bühne abspielt. Das Jugendtheater Bühne 19 probt ihr neuestes Stück. Im Juni führen sie „Die letzten Tage von Hans und Sophie Scholl“ auf.

In den vergangenen Monaten nahm in Deutschland die Debatte um das Erstarken von Rechtsradikalen deutlich an Fahrt auf. Millionen Menschen gingen auf die Straße, um gegen Rechts zu demonstrieren. Mit der Geschichte von Hans und Sophie Scholl, die für ihren Widerstand gegen die Nazis mit dem Leben bezahlten, bringen die Jugendlichen in Mulsum ein Thema auf die Bühne, das aktueller nicht sein könnte.

Leiterin Heike Götzke hat die Gruppe für Jugendliche vor zehn Jahren gegründet. Eine Auswahl der bisherigen Stücke: Anne Frank, Die Welle, Die Kinder vom Bahnhof Zoo. Bei der Bühne 19 wird oft ein ernster Hintergrund beleuchtet.

Jugendliche recherchieren intensiv zu Nazis und Widerstand

Für ihre Rollen recherchierten die Jugendlichen, die zwischen 14 und 22 Jahre alt sind, über das Leben des Geschwisterpaares Scholl. Aylin hatte die Namen der Widerstandskämpfer aus dem Geschichtsunterricht mitgenommen. „Was genau dahintersteckt, erfahre ich jetzt.“ Bei einer Gruppenreise nach München standen die Theaterspieler genau an dem Ort, an dem die Geschwister ihre Flugblätter verteilten - und dafür später zum Tode verurteilt wurden. Die Jugendlichen zeigten sich nachhaltig beeindruckt.

Schwere Kost: In seiner Rolle als Richter muss Samuel auch rechtsextremistische Parolen schwingen.

Schwere Kost: In seiner Rolle als Richter muss Samuel auch rechtsextremistische Parolen schwingen. Foto: Ahrens

Durch das Theaterstück setzten die Jugendlichen sich intensiv mit einer Zeit auseinander, in der Rechtsextremismus Normalität war. Wie begegnet er den Jugendlichen und jungen Erwachsenen heute im Alltag?

Aylin arbeitet in einem Jugendzentrum. „Die Jugendlichen sagen oft Sachen und wissen gar nicht, wovon sie reden“, erzählt die 22-Jährige aus Mulsum. Bekennenden, offenen Rechtsextremismus erleben die Theaterspieler eher selten oder nie. Als Witz verkaufte Sprüche unter der Gürtellinie kennen sie aber zur Genüge.

Witze auf Kosten der Herkunft

Mariella aus Kutenholz bekam an ihrer vorherigen Schule mit, wie Kinder zu einem Mitschüler mit Migrationshintergrund im Schwimmunterricht sagten: „Ich dachte, du kannst schwimmen, du bist doch übers Mittelmeer gekommen.“ Was der 15-Jährigen dabei besonders sauer aufstieß: Der Lehrer sei nicht auf die Aussage eingegangen. In ihrer Klasse hätte eine Gruppe Jugendlicher über Kriegsopfer gelacht, die in einem Film gezeigt wurden.

Heike Götzke (rechts) wählt für das Jugendtheater immer wieder kritische Stücke aus.

Heike Götzke (rechts) wählt für das Jugendtheater immer wieder kritische Stücke aus. Foto: Ahrens

„Es ist kein Rassismus, sondern eher Ignoranz“, sagt Kim (16). Sie erlebte, wie Schüler Stellwände einer Ausstellung zum Nationalsozialismus umschmissen. Maelle (14) aus Stade hörte im Schulbus, wie Jungs sich gegenseitig mit dem N-Wort betitelten. „Ohne Hintergrundwissen“, sagt sie.

Was einige noch als pubertären Leichtsinn abtun, ist für andere gefährliche Verharmlosung - oder geht sogar entschieden zu weit. „Es gibt Sprüche, die sind einfach zu viel“, sagt Mariella. Einige der jungen Theaterspieler wünschen sich, dass in der Schule mehr auf das Thema Rechtsextremismus eingegangen wird - auch abseits des Nationalsozialismus. „Weder Lehrer noch Mitschüler sprechen es an“, sagt Mariella zu den Entwicklungen, die im politischen Deutschland gerade stattfinden.

Kim erwähnt immerhin: Ihre Lehrerin hätte die Schüler wertfrei über die Buxtehuder Demo gegen Rechts informiert - und Kim sei hingegangen. Wenn Parteien im Unterricht vorgestellt würden, ginge es immer mehr um historische Fakten und Personen, als um Inhalte, berichtet Mariella.

Soziale Medien erleichtern Zugang zu Rechtsextremismus

Dabei sind vor allem Kinder und Jugendliche besonders gefährdet, im Internet und dort besonders in den Sozialen Medien an rechtsextreme Inhalte zu geraten. „Manchmal wird mir sowas reingespült und man fragt sich: Warum?“, sagt Aylin. „Mittlerweile gelten Online-Plattformen als zentrale Kanäle bei der Verbreitung rechtsextremer Propaganda. YouTube, Instagram und nicht zuletzt TikTok stehen im Fokus des Kinder- und Jugendmedienschutzes“, heißt es von der Bundeszentrale für politische Bildung.

Durch Social Media sinke die Hemmschwelle für Grenzverletzungen. Inhalte, die nah an der Lebenswelt der Jugendlichen sind, würden eine emotionale Bindung aufbauen. „Da die Heranwachsenden ihre soziale und politische Identität gerade ausbilden, kann der Kontakt zur rechtsextremistischen Szene riskant sein und zur Desorientierung beitragen“, heißt es von der Bundeszentrale.

Die Jugendlichen erzählen, sie seien meist geschockt von Kommentarspalten. Unter Videos, die sich gegen Rechts positionieren, fänden sich unzählige Kommentare mit „Alles Propaganda“, hat Kim beobachtet. Samuel (19) erzählt von einem Video über einen Mann mit Migrationshintergrund, der abgeschoben werden sollte. „Gute Reise“ las er darunter, ergänzt durch ein blaues Herz - die Farbe der neuen Rechten.

Aufführung im Juni

Mit ihrem Stück „Die letzten Tage von Hans und Sophie Scholl“ will die Gruppe „Bühne 19“ zum Nachdenken anregen. Am 14. Juni findet die Aufführung um 19 Uhr im Deutschen Haus in Mulsum statt. Der Eintritt ist frei.

Weitere Themen

Weitere Artikel