TNeuanfang nach Schieflage: Paar rettet Handwerksbetrieb vor dem Aus

Kay Brömmer zeigt ein fast fertiggestelltes Fensterelement. Im Hintergrund die neue Geschäftsführerin Almina Sacirovic und Marvin Schlieckriede, technischer Leiter von Kemner Fenster und Fassadenelemente. Foto: Dührkop
Zum Jahresbeginn stand es schlecht um den Betrieb Kemner Fenster und Türen. Nach 145 Jahren geriet das Unternehmen in Schieflage. Entdeckt und gerettet wurde es von einem Paar aus Seevetal. Was die neue Geschäftsführerin nun anders macht.
Landkreis Cuxhaven. Der Name Kemner ist ein Begriff in Bad Bederkesa. Nicht nur durch das Möbelgeschäft (Home Company), sondern auch durch den benachbarten Handwerksbetrieb im Gewerbe- und Handelspark. Seit 145 Jahren gibt es Kemner Fenster und Türen bereits. Doch eine Zukunft war vor einigen Monaten noch ungewiss.
„Es fehlte an Aufträgen“, sagt Almina Sacirovic. Die Betriebswirtin hat nach den Ursachen geforscht, um zu verstehen, was im Betrieb schiefgelaufen ist. Kemner Fenster und Türen befand sich drei Monate in einem vorläufigen Insolvenzverfahren.
Ehepaar hat gezielt nach einem Betrieb gesucht
Auf den strauchelnden Betrieb aufmerksam wurde sie durch ihren Mann Mensur. Er betreibt Akquise für Unternehmensübernahmen. Das Ehepaar Sacirovic aus Seevetal bei Hamburg ist neuer Eigentümer von Kemner Fenster und Türen.
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Eine Betriebsnachfolge zu finden, wird für viele Geschäftsführer immer schwieriger. Nach Angaben der KfW-Bank könnte 231.000 mittelständischen Betrieben in Deutschland in diesem Jahr das Aus drohen, da die Inhaber keine Perspektive sehen. Nach Prognose der Industrie- und Handelskammer stehen in den nächsten fünf Jahren mehr als 250.000 Unternehmen vor der Betriebsschließung, wenn es nicht zur Übergabe kommt. Weder aus der eigenen Familie noch betriebsintern finden Geschäftsführer oft Nachfolger.
Neue Inhaber setzen auf Kompetenz der Mitarbeiter
Das Investoren-Paar Sacirovic hat gezielt nach einem soliden Betrieb gesucht, um die eigene Selbstständigkeit voranzutreiben. „Wir wollten immer gern in die Produktion, wo Wertschöpfung entsteht“, sagt sie. Überraschend ist, dass beide keine fachliche Expertise im Handwerk oder der Baubranche mitbringen. „Die Kompetenz haben die Mitarbeiter“, sagt Almina Sacirovic. Seit Mai ist sie Geschäftsführerin. Zweimal die Woche ist sie vor Ort in Bad Bederkesa.

Betriebsleiter Kai Brömmer (von links), Geschäftsführerin Almina Sacirovic und Marvin Schlieckriede, technischer Leiter, stehen stellvertretend für das zwölfköpfige Team bei Kemner Fenster und Fassadenelemente im Gewerbegebiet von Bad Bederkesa. Foto: Dührkop
„Wie ist das Unternehmen aufgestellt?“ Diese Frage kann Almina Sacirovic beantworten, da die Diplom-Kauffrau als Betriebswirtin gelernt hat, Jahresabschlüsse zu prüfen. Die Mutter von vier Kindern hat nach der Elternzeit gezielt nach einem eigenen beruflichen Standbein gesucht.
Es ist nicht das erste Unternehmen, in das sie mit ihrem privaten Vermögen einsteigen. Ihr Mann und sie haben bereits eine Bäckerei-Kette in Hamburg gekauft und führen sie erfolgreich weiter. „Wir sind Allrounder“, erklärt sie den Mut, Unternehmen zu übernehmen, „Wir sind wie ein Salamander, der sich an seine Umgebung anpasst.“
Den Vertrieb übernimmt die neue Chefin selbst
Um dem Betrieb eine Zukunft zu geben, verlässt sich die neue Geschäftsführerin nicht nur auf die zwölf Mitarbeiter, die alle übernommen werden konnten. Sie geht Klinken putzen, das heißt sie baut wieder die Kontakte zu Geschäftspartnern auf und stellt Bauunternehmern die Leistung vor. „Wir übernehmen den Vertrieb“, erklärt sie.
Für die Mitarbeiter ist das tatkräftige Engagement der Geschäftsführerin eine neue Erfahrung. Die Rückmeldungen sind positiv: „Kemner ist ein Begriff in der Branche“, stellt sie fest.
Auftraggeber sei oft die öffentliche Hand gewesen, so Mitarbeiter Marvin Schlieckriede, der als Lehrling für Holzmechanik bei Kemner angefangen hat. Kindergärten, Schulen und Verwaltungsgebäude haben Fenster von Kemner. Aber auch der private Hausbau ist Teil des Geschäfts. Sowohl die Fertigung neuer Fenster als auch die Reparatur und Instandhaltung gehören zum Angebotsspektrum.
Geschäftsführerin baut Kontakte zu Kunden wieder auf
Dass es eine Chance geben würde, wieder mehr Aufträge an Land zu ziehen, sieht Sacirovic durchaus. „Egal, ob Brötchen oder Fenster: Gegessen und gebaut wird immer“, sagt sie mit einem Lächeln. In guten Zeiten hat Kemner Fenster und Türen 3,5 Millionen Euro Umsatz im Jahr gemacht. Für das erste Jahr strebt Sacirovic 2 Millionen Euro an. Dass die Auftragslage wieder besser wird, sieht sie an den ersten Gesprächen mit potenziellen Kunden. „Es ist besser angelaufen, als wir dachten“, gibt sie sich optimistisch.
Fassadenelemente erweitern das Portfolio
Im gesamten Elbe-Weser-Raum zwischen Bremen und Hamburg will Kemner Aufträge ergattern. Das Angebot wurde auf Fassadenelemente erweitert. Dadurch hat sich auch der Name geändert: Kemner Fenster und Fassadenelemente.
Sie denkt sogar schon daran, neue Stellen zu schaffen. Gesucht werden Tischler, aber auch Quereinsteiger aus dem Handwerk sind willkommen. „Ich nehme auch gern Ältere“, sagt sie mit Blick auf die Erfahrung und Arbeitseinstellung der älteren Generation. Sie sieht es an ihrem Vater, der selbst als Rentner im Bäckerei-Unternehmen der Tochter mitarbeitet.