TTelemedizin in Kehdingen: Testlauf startet mit kleinen Problemen

Pflegepionier-Geschäftsführerin Melanie Philip (rechts) hat bereits den Rucksack mit der kompletten Telemedizin-Ausrüstung geschultert. Mit im Team sind Projektmanagerin Birte Riel, Co-Geschäftsführer Philipp Zell und Pflegeberaterin Sandra Lütje (sitzend). Foto: Helfferich
Einzigartig in Deutschland: Die Pflegepioniere wollen die Gesundheitsversorgung in Drochtersen und Nordkehdingen mit telemedizinischen Angeboten stärken. Wie das gelingen soll - und warum es zum Start hakte.
Drochtersen. Fachkräftemangel und demografische Entwicklung bewirken, dass die Versorgung durch Hausärzte und Pflegepersonal weiter abnimmt. Das führt zu weiten Wegen und womöglich zu einer Unterversorgung gerade älterer, nicht mehr mobiler Menschen.
Die Telemedizin könnte eine wohnortnahe Versorgung ermöglichen. Das versucht ein bundesweites Pilotprojekt im Laufe von drei Jahren in Kehdingen umzusetzen.
PuG: Pflege und Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum heißt das Projekt. Vor Ort leisten Pflegekräfte Routineuntersuchungen, wie Blutdruckmessen, EKG und Abhorchen, und leiten die Ergebnisse an den behandelnden Arzt elektronisch weiter.
Die Diagnostik bleibt beim Arzt. Er spricht mit dem Patienten über die Befunde in einer Videosprechstunde, bestellt ihn nur bei Bedarf in die Praxis. Das spart Zeit und Wege. Wie das funktioniert, darüber hat das TAGEBLATT kürzlich in einer Themenwoche zur medizinischen Versorgung berichtet.
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Projektmanagerin kommt aus Freiburg
Auf den Weg gebracht haben das Projekt die Pflegepioniere aus Oldenburg, die in Kehdingen auch das Bridge-Projekt für die Ansiedelung ausländischer Ärzte managen.
Beteiligt sind die Kommunen Drochtersen und Nordkehdingen, Ärzte aus Drochtersen, Nordkehdingen und Hechthausen, Pflegedienste, Pflegeberatung, Krankenkassen, Techniker und das Zentrum für Telemedizin Bad Kissingen (ZTM). Sie alle wirken an dem Pilotprojekt mit, das nach Wissensstand der Geschäftsführer Melanie Philip und Philipp Zell in dieser Form einzigartig in Deutschland ist.
Seit dem 1. April managt die Diplom-Betriebswirtin, Heilpraktikerin und Präventologin Birte Riel aus Freiburg das Projekt. Sie sucht auf der einen Seite neben dem bereits vorhandenen Telemedizinraum in Drochtersen (Kirchenstraße 10) weitere mögliche Standorte; auf der anderen Seite will sie interessierte Ärzte dafür gewinnen, mit in das Projekt einzusteigen.

Nordkehdingens Samtgemeindebürgermeisterin Erika Hatecke (vorne) ist Patientin im Testlauf mit Pflegeberaterin Sandra Lütje. Foto: Susanne Helfferich
Beim Testlauf hakte noch die Technik
Noch hakt es mitunter an der Technik. Das zeigte ein Testlauf vergangene Woche. Sandra Lütje - Pflegeberaterin beim Pflegedienst Stadt und Land und Versorgungsassistentin bei diesem Pilotprojekt - hat im Selbstversuch ihre eigenen Daten in die entsprechende App eingegeben und wollte nun in einer Videosprechstunde mit einer Ärztin darüber reden.
Doch die hatte ein Problem mit ihrem Tablet, und auf dem Handy ließ sich die App nicht öffnen. „Das ist eine wichtige Information für uns, dass ein Handy offenkundig als Endgerät nicht funktioniert“, so Philipp Zell.
Auch beim zweiten Versuch, mit der Nordkehdinger Samtgemeindebürgermeisterin Erika Hatecke als Patientin, dauerte es einen Moment, bis die Leitung für das Arztgespräch stand. Doch dann lief alles problemlos. „Die Telemedizin ist für uns in Kehdingen ein wichtiger Baustein, dem Ärztemangel entgegenzutreten“, sagt Hatecke.
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So sollen technische Probleme künftig vermieden werden
Um technische Probleme zu vermeiden, könne ein detaillierter Ablaufplan helfen, sagt Riel, die 25 Jahre in der IT-Branche als Projektmanagerin gearbeitet und vor elf Jahren ein Gesundheitsnetzwerk für Kehdingen aufgebaut hat.
In einem solchen Ablaufplan werde jeder einzelne Schritt vorgegeben, wie Arzt und Patient oder Pflege online zueinanderfinden. Außerdem wird die Freiburgerin zusammenstellen, was Pflegeheime, Arztpraxen und auch die Telemedizinräume benötigen.
„So können wir eine Blaupause für Nachahmerprojekte in anderen Regionen schaffen“, so Riel. Eine wichtige Voraussetzung sei eine stabile Internetverbindung, um Bild und Ton zuverlässig aufrechtzuerhalten.
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Telemedizin passt in einen Rucksack
Die medizinische Ausstattung für den Telemedizinraum in Drochtersen ist komplett und passt in einen Rucksack. Mit dem wird Sandra Lütje im ersten Schritt Pflegeheime in Kehdingen besuchen und die Patienten untersuchen. Später sollen die Pflegekräfte vor Ort die Daten eingeben können.
Im Sommer soll ein Tiny-Rathaus als mobiler Telemedizinraum in Kehdingen unterwegs sein, um die Bürgerinnen und Bürger zu informieren. Mit an Bord: Erika Hatecke, Samtgemeindebürgermeisterin von Nordkehdingen, und Mike Eckhoff, Bürgermeister in Drochtersen; in Kombination mit Bürgersprechstunden werben sie für das Pilotprojekt.
Es wird über den Europäischen Sozialfonds mit 560.223 Euro gefördert. Drochtersen und Nordkehdingen steuern rund 84.000 Euro beziehungsweise rund 56.000 Euro bei.
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Balje als weiterer Standort im Gespräch
Als Standorte für weitere Telemedizinräume sind Freiburg, Wischhafen, Assel und Balje im Gespräch. Baljes Bürgermeisterin Rike Feil hat sich bereits mit den Pflegepionieren getroffen.
Mit dem Dorfgemeinschaftshaus und der ehemaligen Sparkassenfiliale gibt es zwei mögliche Standorte. Außerdem hat eine erfahrene Krankenpflegerin aus der Gemeinde bereits Interesse gezeigt, in das Projekt einzusteigen.
Wichtig sei, die Ärzte aus Neuhaus auf der anderen Seite der Kreisgrenze mit ins Boot zu holen, so Feil, da die meisten Baljer wegen der räumlichen Nähe dort Patient seien. In der nächsten Ratssitzung soll das PuG-Projekt vorgestellt werden.