TNoch keine Entwarnung nach Hochwasser-Alarm im Landkreis Stade

Feuerwehrleute schließen das Deichschart in Guderhandviertel/Neuhof an der Lühe. Foto: Vasel
Drei Tage lang herrschte Hochwasser-Alarm an der Aue/Lühe sowie an der Oste. Die Feuerwehren waren über die Weihnachtsfeiertage kreisweit im Dauereinsatz. Doch die Gefahr ist noch nicht gebannt. Eine erste Bilanz.
Landkreis. Keller auspumpen, Gewässer leerpumpen, Dammbalken setzen, Sandsäcke schleppen und umgestürzte Bäume zersägen - so sahen die Weihnachtstage für viele Feuerwehrleute im Landkreis Stade aus. Landrat Kai Seefried dankte den Ehrenamtlichen von Feuerwehr, DLRG, Deichverbänden und Technischem Hilfswerk (THW), „die alle auch an Weihnachten für uns da sind“.
Mehr als 110 Mal mussten die Retter seit Heiligabend ausrücken, um Keller und Straßen im Landkreis von Wasser zu befreien. Erst seit der vergangenen Nacht entspannt sich die Situation leicht, das Einsatzgeschehen nimmt ab.
Kreisbrandmeister: „Wir haben die Lage im Griff.“
Kreisbrandmeister Peter Winter sprach am Dienstagabend - nach Rücksprache mit den Stadt- und Gemeindebrandmeistern - gegenüber dem TAGEBLATT von einer „stabilen Lage“. Das Wetter spiele den Feuerwehren und den Deichverbänden jetzt in die Karten. Der befürchtete Stark- und Dauerregen sei am Dienstag ausgeblieben, ebenso wie eine Sturmflut.
Nach tagelangem Dauerregen hat der Deutsche Wetterdienst (DWD) alle seine zeitweise für mehrere Bundesländer geltenden Unwetterwarnungen aufgehoben. Der Regen habe nachgelassen beziehungsweise an Intensität verloren, teilte der DWD am Dienstagmittag mit. „Bis auf Weiteres ist mit keinen ergiebigen Niederschlägen zu rechnen.“ Allerdings bleibe die Hochwasserlage an den Flüssen teilweise noch sehr angespannt.

Das Hochwasser im Buxtehuder Poggenpohl mit dem Blick in Richtung Horneburg. Foto: Feuerwehr Buxtehude
Dank der Südwindlage können und konnten die Sperrwerke an Oste und Lühe länger geöffnet werden, diese waren zeitweise randvoll. Die beiden Nebenflüsse konnten entwässert werden, die Pegel fielen. „Bei Nordwest hätten wir wieder Probleme bekommen“, sagt Winter. Trotz alledem gebe es keinen Grund zur Entwarnung, denn die Regenrückhaltebecken, Flüsse, Bäche und Gräben seien weiterhin voll, Überschwemmungsflächen im Bereich der Ober- und Unterläufe - wie etwa im Bereich der Aue - ständen teils komplett unter Wasser.
„Wir haben die Lage im Griff, es bleibt aber kritisch - trotz der Entspannung“, sagte Winter. Er hoffe, dass die Hochwasser-Welle aus Harsefeld an der Aue/Lühe ausbleibt.
Höchster Pegelstand bei 2,42 Meter über Normalhöhennull
Auch Oberdeichrichter Wilhelm Ulferts ist erleichtert. „Wir konnten zeitweise wieder Wasser aus dem Bullenbruch abpumpen“, sagte der Oberdeichrichter der II. Meile Alten Landes. Der Pegel an der Aue/Lühe hatte am 1. Weihnachtstag einen Spitzenwert von 2,42 Meter über Normalhöhennull erreicht, am 2. Weihnachtstag fiel der Pegel auf 2,34 Meter im Maximum. Immer wieder lief das Wasser über die Überlaufschwelle an der K36neu bei Horneburg in den Bullenbruch. Das passiert ohne menschliches Zutun automatisch ab einem Wasserstand von 2,30 Metern.
Feuerwehr
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Mit den Wasser- und Bodenverbänden war vereinbart worden, nicht gegen die volle Aue/Lühe zu pumpen. Damit sollten die Hauseigentümer im Überschwemmungsgebiet zwischen den Deichen im Bereich der Oberen Lühe entlastet werden.

Ein Heiligabend aufgeschütteter Notdeich schützt den Poggenpohl und Dammhausen. Foto: Vasel
Die Deichverbände kontrollieren mit ihren Deichgeschworenen in regelmäßigen Abständen die Deiche. Bisher gibt es keine Hinweise auf Problemstellen. In einigen Orten liegen gefüllte Sandsäcke bereit. Um Treibgut schnell aus den Flüssen holen zu können, ehe es sich dort verfangen und wie ein Staudamm wirken kann, wurden vorsorglich Bagger geordert. Ulferts: „Die Deichwacht ist alle drei Stunden unterwegs, um die Deiche zu überprüfen.“

Die Deichwacht läuft die Deiche an der Aue/Lühe alle drei Stunden ab, hier der Blick auf die Überlaufschwelle in Horneburg. Foto: Vasel
Kritische Lage an Aue/Lühe und in Dammhausen
Vor allem im Bereich Aue/Lühe war die Lage kritisch, auch Dammhausen war bedroht: Was war passiert? Für viele Feuerwehrleute in den Samtgemeinden Lühe und Horneburg war die Nacht am Morgen des 1. Weihnachtstages gegen 5 Uhr zu Ende. Keller in Neuenkirchen, Mittelnkirchen und Guderhandviertel liefen voll, in Guderhandviertel konnte ein Deichschart in letzter Minute geschlossen werden. Kurz darauf sicherte die Feuerwehr in Horneburg die Friedensbrücke am Vordamm mit Dammbalken. Dort stand das Wasser schon knapp unterhalb der Brücke.
Die Dammbalken ermöglichen, dass die zu niedrige Brücke bei einer Flut überströmt werden kann. Die große Sorge war, dass das Bauwerk zum Staudamm wird, indem sich Bäume aus dem Oberlauf vor der 1955 gebauten Brücke verkeilen. Deshalb wurde in einer Krisensitzung mit Vertretern der Feuerwehren, der Kommunen und der Deichverbände im Bereich der Samtgemeinden Lühe und Horneburg, der Gemeinde Jork und der Stadt Buxtehude beschlossen, einen Bagger auf die Brücke zu setzen - für den Notfall.

Die Dammbalken werden an der Friedensbrücke in Horneburg eingesetzt, damit das Wasser der Aue/Lühe das Bauwerk überströmen kann. Foto: Vasel
Auch in Buxtehude rückten die Ortsfeuerwehren Dammhausen, Hedendorf, Neukloster und Buxtehude aus. Stadtbrandmeister Nils Krugmeier ließ auf dem Aldi-Parkplatz rund 1500 Sandsäcke füllen - falls am Poggenpohl die Lage kritisch wird. Außerdem riegelten die Wehren einen Wasserlauf und den llsmoorbach am Durchlass unter der K26 mit Bigpacks ab, damit das Wasser vom Bullenbruch nicht nach Dammhausen abläuft - lediglich eine Vorsichtsmaßnahme, denn laut Oberdeichrichter Ulferts ist das Fassungsvermögen des Bullenbruchs noch längst nicht erreicht.

Feuerwehrleute packen Sandsäcke in Buxtehude. Foto: Vasel
Und: Für die Este bestand und besteht zurzeit keine akute Gefahr. Feuerwehrleute sicherten auch die Stromkästen am Poggenpohl mit Sandsäcken, bereits an Heiligabend hatten die Einsatzkräfte dort einen Notdeich aufgeschüttet. Dort hatten die Dammhauser bereits bei der Flut von 2002 einen Sandsackwall errichten müssen, auch seinerzeit hatte die überlaufende Aue/Lühe das Moor geflutet.
Anwohner fordern Tempo beim Bullenbruch-Polder
Anwohner und Feuerwehrleute kritisierten in Dammhausen, dass der - erst im Frühjahr 2023 planfestgestellte - Hochwasserentlastungspolder immer noch nicht fertig ist. Die Krux: Vor dem Bau der voraussichtlich 15 Millionen Euro teuren ‚Riesenbadewanne‘ im Bullenbruch müssen die Ausgleichsflächen hergerichtet sein. Das läuft. Es handelt sich um 24 Hektar am Mühlenbach im Moor bei Neukloster. Ein Teil der 5,2 Kilometer langen Schutzdeiche würde auch Dammhausen/Poggenpohl schützen - vor den Wassermassen, die bei Starkregenfluten von der Aue/Lühe (ein Drittel) und aus Bächen und Gräben von der Geest (zwei Drittel) in den Bullenbruch strömen. 2024 könnten die Bagger anrücken, drei bis vier Jahre werden bis zur Fertigstellung laut Deichverband ins Land ziehen. Die Überlaufschwelle - im Amtsdeutsch Hochwasserentlastungsanlage - in Horneburg steht bereits seit 2015.

Der Krisenstab tagt. Foto: Vasel
In Jork-Wisch haben die Ortsfeuerwehren Moorende, Estebrügge und Borstel sowie das Technische Hilfswerk aus Stade mit mehreren Pumpen in der Nacht zu Dienstag bis in den Nachmittag hinein erneut Wasser aus den Gräben über den Deich in die Elbe gepumpt. Allein die drei THW-Pumpen schaffen sieben Kubikmeter pro Minute. Außerdem haben Obstbauern ihre Beregnungspumpen umfunktioniert. Ihr Ziel: Stauraum für weiteres Wasser schaffen, das unaufhörlich aus der Feldmark nachläuft. Die Kreisstraße 39 in Jork war aufgrund der Hochwasser-Pumpaktion voll gesperrt. Weitere Hotspots lagen im Bereich Kehdingen und in Oldendorf-Himmelpforten, am Schöneworther Deich stand eine Straße unter Wasser, in Gräpel waren Häuser bedroht und in Engelschoff musste die Kreisstraße 63 wegen Hochwassers gesperrt werden.
Hochwasserlage bleibt niedersachsenweit angespannt
Die Deichverbände appellieren weiterhin an die Bürger, die aufgeweichten Deiche nicht zu betreten. Die Zufahrten und die Deichverteidigungswege sollten auf keinen Fall durch parkende Autos blockiert werden.
Der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) rechnet in den kommenden Tagen weiter mit einer angespannten Hochwassersituation. „Tatsächlich ist die Lage in ganz Niedersachsen sehr angespannt“, sagte NLWKN-Direktorin Anne Rickmeyer am Dienstag bei einem Vor-Ort-Termin mit Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) an der Okertalsperre im Harz. In vielen Teilen des Landes sei auch in den kommenden Tagen mit steigenden Pegelständen zu rechnen, betonte Rickmeyer. „Wir haben ja einmal Hochwassersituationen in den großen Flüssen, aber wir haben natürlich auch überall im ganzen Land viele kleine Bäche, die anschwellen.“
In Northeim in Südniedersachsen und Uplengen im Kreis Leer brachen Dämme, in Rinteln (Kreis Schaumburg) und Sandkrug (Landkreis Oldenburg) gab es erste Evakuierungen. Im Harz liefen zwei Talsperren über, die Stadt Braunschweig bereitete sich auf eine neue Scheitelwelle der Oker am späten Dienstagabend vor.
Zwar stimme die jüngste Regenprognose des Deutschen Wetterdienstes optimistisch. „Ich bin jetzt erst mal froh, dass es zwei bis drei Tage nicht regnen soll“, sagte Rickmeyer. „Das heißt aber nicht, dass wir jetzt überall schon fallende Wasserstände haben, weil wir einfach sehr viel Wasservolumen im System haben.“
Auch Ministerpräsident Weil betonte: „Es ist völlig klar, wir sind noch nicht über den Berg.“ Entlastungsmaßnahmen an einer Stelle führten anderswo zu einer Verschärfung der Lage, so Weil: „Wir werden einen langen Atem benötigen.“
Landesbischof Ralf Meister sagte zum Hochwasser an Weihnachten: „Ich bin zutiefst beeindruckt vom Einsatz all derer, die oft schon seit Tagen gegen das Hochwasser ankämpfen. Es ist nicht selbstverständlich, dass wir ein so professionell funktionierendes Sicherheitsnetz haben, das von beruflichen wie ehrenamtlichen Kräften getragen wird.“ Er bitte um Segen für alle Helferinnen und Helfer und alle Menschen, in den von den Überschwemmungen betroffenen Gebieten.