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Top-Thema 2023

TNordkehdingen und die schwierige Suche nach Photovoltaik-Flächen

So könnte die Agri-PV-Anlage von Next2Sun in Krummendeich aussehen.

So könnte die Agri-PV-Anlage von Next2Sun in Krummendeich aussehen. Foto: Next2sun

Die Umsetzung der Energiewende werde für 2023 das beherrschende Thema in Nordkehdingen sein. Das sagte Samtgemeindebürgermeisterin Erika Hatecke Anfang des Jahres. Sie behielt recht - und die Planung hierfür wird die Samtgemeinde auch im kommenden Jahr beschäftigen.

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Von Susanne Helfferich
Donnerstag, 28.12.2023, 15:11 Uhr

Nordkehdingen. 2023 setzte sich in Nordkehdingen die Nachfrage nach Flächen für Photovoltaik fort. 14 Anfragen liegen der Samtgemeindeverwaltung insgesamt vor. In Arbeit sind vier Bebauungspläne: zwei für Freiflächenphotovoltaik in Oederquart - von Vattenfall und Denker&Wulf - sowie zwei B-Pläne für Agri-PV in Krummendeich (Wechtern und im Zehntweg).

Photovoltaik spielte bis zu der von der Bundesregierung 2022 ausgerufenen Beschleunigung der Energiewende in Nordkehdingen kaum eine Rolle. Ruckzuck breiteten nun Investoren ihre Pläne in den Ratssitzungen in Oederquart und Krummendeich aus. Oft seien Grundbesitzer oder Anlieger aus allen Wolken gefallen, wenn sie von diesen Plänen erfuhren, erinnert sich Samtgemeindebürgermeisterin Erika Hatecke im Gespräch über das zu Ende gehende Jahr. Sie ist in Oederquart auch Gemeindedirektorin. Die Reaktion des Oederquarter Rates: „Er entschied, Anfragen nur dann weiter zu verfolgen, wenn die Flächen bereits durch Vorverträge mit den Eigentümern gesichert sind“, so Hatecke.

Bürgerwindpark musste Pläne zurückstellen

Das traf bei einem Antrag des Bürgerwindparkes Oederquart nicht zu. Der Plan: Im Bruch sollte auf 80 Hektar ein Solarpark errichtet werden. Hierfür müssten landwirtschaftliche Flächen einbezogen werden, um eine zusammenhängende Fläche zu schaffen. Gespräche mit den Eigentümern würden geführt, so Geschäftsführer Jürgen Goldenstein.

Außerdem plante der Bürgerwindpark im Randbereich des Oederquarter Moores und den Torfabbauflächen in der Gemeinde Isensee in Kooperation mit der Unteren Naturschutzbehörde ein Pilotprojekt. Nach Auskunft von Goldenstein stehen noch Untersuchungen zum Artenschutz aus. Beide Anträge wurden zurückgestellt.

Nordkehdingen legte frühzeitig Potenzialanalyse vor

Die Samtgemeinde hatte frühzeitig reagiert. Im Juni 2022 gab Nordkehdingen als erste Kommune im Landkreis Stade eine Potenzialflächenanalyse für Photovoltaik in Auftrag, deren Ergebnisse das Oederquarter Ingenieurbüro Oldenburg Anfang 2023 vorlegte. Aber sie wurden zunächst zurückgehalten. „Wir hatten Sorge, von Anfragen überrannt zu werden“, erklärt Hatecke.

Einig war sich die Politik: Hochwertige landwirtschaftliche Flächen sollten nicht für Photovoltaik freigegeben werden. Derzeit sind im Regionalen Raumordnungsprogramm (RROP) des Landkreises Vorbehaltsgebiete Landwirtschaft tabu für Freiflächenphotovoltaik. So soll es auch nach Überarbeitung des aktuellen Raumordnungsprogramms bleiben. Daher beschloss der Samtgemeinderat im Juli 2023 einen Kriterienkatalog, der Bodenwertpunkte festlegte: Je höher die Punktzahl, desto besser der Boden. Weitere Kriterien waren die Gesamtgröße der Freiflächenphotovoltaik-Anlage (nicht mehr als 70 Hektar) und der Mindestabstand zu Siedlungen (100 Meter) und Einzelhäusern (50 Meter). Außerdem ist festgelegt, dass die Flächen mit Agri-PV zu mindestens 85 Prozent weiter bewirtschaftet werden sollen.

Freiflächenphotovoltaik im Norden nur beschränkt

Wesentlich ist: Flächen mit einem Bodenwert von mehr als 50 Punkten stehen für Freiflächen-Photovoltaik nicht zur Verfügung. Die Konsequenz daraus war ernüchternd: Sämtliche Flächen nördlich der Moorstraßen stünden damit nicht mehr für Freiflächen-PV zur Verfügung, so der Samtgemeinderatsvorsitzende Jörg Oldenburg (CDU) im Juli 2023.

Auf der 193 Quadratkilometer großen Fläche der Samtgemeinde Nordkehdingen bleiben die Möglichkeiten für Freiflächenphotovoltaik somit beschränkt: „Flächen, die unseren in der Potenzialanalyse aufgestellten Kriterien entsprechen, gibt es nur in Krummendeich und Oederquart, teilweise ins Wischhafener Moor reichend“, sagt Samtgemeindebürgermeisterin Hatecke, „Moorflächen sind gemessen an den Bodenpunkten nicht so hochwertig.“ Dort gebe es auch Eigentümer, die Flächen bereitstellten.

Ein Kriterienkatalog unterstützt seit diesem Jahr die Nordkehdinger Gemeinden bei der Entscheidung über Photovoltaik-Flächen.

Ein Kriterienkatalog unterstützt seit diesem Jahr die Nordkehdinger Gemeinden bei der Entscheidung über Photovoltaik-Flächen. Foto: Daniel Bockwoldt/ZB/dpa

Agri-PV-Flächen werden weiter bewirtschaftet

Anders sind die Bedingungen für Agri-PV: aufgestelzte Anlagen die weiterhin eine landwirtschaftliche Nutzung ermöglichen. Sind die Flächen nicht größer als 2,5 Hektar und werden zu 85 Prozent weiter landwirtschaftlich bewirtschaftet, benötigen sie nicht einmal einen Bebauungsplan. „Dann reicht ein Bauantrag“, so Stefan Köller vom Planungsamt der Samtgemeinde. Sie sind privilegiert.

Bei den beiden Anträgen aus Krummendeich geht es um deutlich größere Vorhaben. Der eine Landwirt will in Wechtern 27 Hektar für Solarenergiegewinnung nutzen. Er plant mit senkrechten, in Nord-Süd-Richtung stehenden, zweiseitigen Freiflächenphotovoltaikanlagen. Der andere Investor möchte auf einer 36 Hektar großen Fläche südlich des Ortes und westlich der K9 am Zehntweg mit zweiseitigen Modulen in Ost-West-Ausrichtung arbeiten, die sich nach Sonnenstand ausrichten. Beide Projekte gehen jetzt in die Bauleitplanung; Bebauungspläne werden aufgestellt und der Flächennutzungsplan entsprechend angepasst.

Keine Windenergieanlagen zwischen den Deichen

Die erneute Überarbeitung des RROP setzte in Nordkehdingen vor dem Hintergrund der Energiewende neue Hoffnungen frei: Unerfüllt bleibt wohl der Wunsch aus Kehdingen, Windenergie zwischen den Deichen anzusiedeln. Die Gemeinden Balje, Freiburg und Krummendeich hatten den Landkreis gebeten, die Realisierung zu prüfen. Im dortigen EU-Vogelschutzgebiet im Landschaftsschutzgebiet Kehdinger Marsch weht ziemlich viel Wind. Doch der Schutzstatus scheint in Stein gemeißelt. Erika Hatecke hält das für fragwürdig: „Was sollte jetzt im Vordergrund stehen: der Artenschutz oder Klimaschutz?“, so Hatecke, „wenn die Energiewende nicht gelingt, hat das Auswirkungen auf den Menschen, aber auch auf die Artenvielfalt.“

Sie wünscht sich, dass die Situation differenziert behandelt wird: Gibt es Bereiche, in der sich besonders schützenswerte Arten aufhalten, aber andere Bereiche, die Windenergie ermöglichen? Warum werden nicht kameragesteuerte Abschaltsysteme genutzt? Und welche Bedeutung hat es, dass Tausende von Nonnengänsen immer weiter im Binnenland auf den Feldern rasten?

Nahwärme aus dem Suedlink-Tunnel?

In Nordkehdingen drehen sich bereits 47 Windenergieanlagen mit insgesamt 92 Megawatt Leistung. Der Bürgerwindpark Oederquart wünscht sich einen weiteren Windpark am Seeweg, mit Platz für vier Anlagen. Möglicherweise wird der Windpark in Balje-Hörne wieder ins RROP aufgenommen und dann repowert. Das Repowering im Windpark Oederquart-Wischhafen läuft. 18 Megawatt Leistung werden abgebaut und durch 40,8 Megawatt ersetzt. Auch am Kajedeich soll repowert werden.

Es gibt in Nordkehdingen außerdem Überlegungen zur Nutzung von Nahwärme. Auch wenn in Oederquart entsprechende Pläne für den Bereich Fasanenweg/Alter Sportplatz sowie das geplante Baugebiet Gerdts Weide derzeit aus Kostengründen auf Eis gelegt wurden. Die Übertragungsnetzbetreiber Tennet (Suedlink) und Amprion planen Stromtrassen unter der Elbe, beide Tunnel kommen auf Wischhafener Gebiet heraus. „Die Leitungen produzieren Wärme und da stellt sich für uns die Frage, ob diese Abwärme für ein Nahwärmenetz genutzt werden kann“, so Hatecke. Wie auch immer: Die Energiewende setzt einiges in Bewegung.

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