TNur der Abschuss zählt: Artenschutz mit dem Gewehr

Der Berufsjäger Jens Kleinekuhle liegt in Blexen bei Schnee und Eis auf dem Deich und hält nach Füchsen Ausschau. Fast jede Nacht ist er unterwegs.Foto: Heilscher Foto: Heilscher
Dies ist die Geschichte des Würgers vom Blexer Hellweg und anderer seines Kalibers. Und die Geschichte des Mannes, der sich ihnen entgegenstellt, um Leben zu retten, das bedroht ist.
Nordenham. Es ist kalt auf dem Blexer Deich. Das Thermometer zeigt knapp unter null Grad. Die Landschaft ist zugeschneit. Der Mond leuchtet über der Szenerie. Die Maschinen von Kronos Titan brummen in der Nacht. Auf dem Deich liegt ein Mann, in der Hand eine Wärmebildkamera, neben sich ein Gewehr. Er sucht das Deichvorland ab. Diese Optik reagiert auf Wärme. Lebewesen sind so auf einige hundert Meter zu erkennen. Sie leuchten weiß oder rot. Am Rand der Weser sitzen zahlreiche Gänse. Aber die interessieren Jens Kleinekuhle nicht.
Jens Kleinekuhle ist Berufsjäger. Er ist im Groden dem Fuchs auf der Spur, den er an einem der Vorabende dort gesehen hat. Nun heißt es warten. Der Jäger muss lange warten. Gut zwei Stunden passiert erst einmal nichts. Zumindest läuft kein Fuchs ins Bild. Ein Hase taucht auf mit leuchtend roten Ohren – so zeigt es die Wärmebildkamera. Auf der Weser fahren Schiffe in beide Richtungen. Das Müllkraftwerk in Bremerhaven schiebt eine leuchtend rote Wolke in den Himmel. Die Welt sieht so anders aus durch eine Wärmebildoptik.
Bei Frost nachts auf dem Deich
Jens Kleinekuhle ist dick eingemummelt, um der Kälte zu trotzen, hat einen Ganzkörperanzug übergezogen, trägt dicke Stiefel, Mütze und Handschuhe sowieso. Der Reporter, der ihn begleitet, ist nicht so gut ausgestattet. Er hat aus seinem Kleiderschrank geholt, was der hergibt. Es reicht für diese Nacht. Wärmere Stiefel wären gut gewesen.
Jens Kleinekuhle hat gelernt, dem Wetter zu trotzen. Er tut das mit hohem persönlichen Einsatz. Stundenlang liegt er nachts auf einer Isomatte irgendwo in der Landschaft. Bei fast jedem Wetter und fast jede Nacht.
Er ist ein Mann mit einer Mission. Er jagt, um zu schützen, was einst charakteristisch war für unsere Landschaft, aber selten geworden ist: Wiesenvögel – Kiebitze, Uferschnepfen, Rotschenkel. Die Gleichung geht so: Je weniger Raubtiere, desto bessere Überlebenschancen haben die Wiesenvögel.
Gefundenes Fressen für Marder und Füchse
Jens Kleinekuhle weiß, dass es nicht so einfach ist. „Es gibt viele Faktoren, die zum Rückgang der Wiesenvögel geführt haben“, sagt er. Die Landwirtschaft hat sich geändert. Und damit meint er nicht nur eine häufige Schnittfolge auf intensiv genutzten Mähflächen. Auch die Botanik des Grünlandes sei eine andere geworden, mit schnell und hoch aufwachsenden Gräsern, die von Wiesenvögeln eher gemieden werden. Aber klar ist für ihn auch: Prädation, also die Erbeutung der Wiesenvögel durch Füchse, Marder oder neuerdings auch Marderhunde, spielt eine große Rolle.
Würger vom Hellweg räumt komplette Kolonie ab
Jens Kleinekuhle ist nicht nur Jäger, sondern auch Freilandökologe und Zoologe. Seit 2014 arbeitet er für die Naturschutzbehörde des Landkreises Wesermarsch und die Kreisjägerschaft als Berufsjäger. Zunächst war er ausschließlich im Vogelschutzgebiet Stollhammer Wisch tätig. Inzwischen ist er für die gesamte Wesermarsch zuständig – mit den Schwerpunkten EU-Vogelschutzgebiet V 65 Butjadingen, V64 Marschen am Jadebusen und Strohauser Plate. Er betreibt Artenschutz mit dem Gewehr.
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Wie fatal der Einfluss eines einzelnen Raubsäugers sein kann, hat nicht nur Jens Kleinekuhle schon mehrfach erlebt. Davon können auch andere Jäger und Landwirte berichten. Jens Kleinekuhle erzählt stellvertretend die Geschichte des Würgers vom Hellweg, wie er das Tier nennt. Der Hellweg ist ein Wirtschaftsweg in der Blexer Wisch. Ein einzelner Fuchs habe dort eine Kiebitzkolonie mit rund 50 Vögeln ausgelöscht. Der Fuchs hatte sich auf Altvögel spezialisiert. Schwupps schnappte er sich in der Nacht wieder einen brütenden Vogel. Bis Jens Kleinekuhle den Räuber zur Strecke brachte. Aber da war es in diesem Fall schon zu spät.
In zehn Jahren 2429 Prädatoren erlegt
Damit so etwas möglichst selten passiert, ist Jens Kleinekuhle das ganze Jahr über unterwegs – mit Gewehr und Fallen. Und mit einer bemerkenswerten Bilanz: seit Juni 2014 hat er 2429 potenzielle Prädatoren erlegt. Er wünschte sich dabei mehr Unterstützung durch die Jäger in den Revieren, denn gelöst ist das Problem mit der Prädation nicht. Aber es ist deutlich eingegrenzt worden.

Steinmarder haben sich in den letzten Jahren stark vermehrt an der Küste. Auch sie bedrohen die Wiesenvogelpopulation. Foto: Carsten Rehder
Das merkt man vor allem auf der Strohauser Plate. Auf dieser Insel kommen Raubsäuger nur selten vor. Wenn aber, dann können sie ganz schnell einen fatalen Schaden anrichten. Die Strohauser Plate ist bundesweit ein Vorzeigeprojekt in Sachen Wiesenvogelschutz. Kaum anderswo brüten so viele Kiebitze und Uferschnepfen auf einer vergleichbar großen Fläche. Das ist das Ergebnis eines Flächenmanagements im Sinne des Naturschutzes. Und das Ergebnis einer konsequenten Jagd.
Zahl der Raubsäuger nimmt zu
Während der Bestand der Wiesenvögel abgenommen hat, haben die Raubsäuger in der Wesermarsch tendenziell zugenommen. Und es sind mehr Arten geworden. Der Dachs ist zugewandert, ebenso der ursprünglich aus Ostasien stammende Marderhund. Auch die ersten Waschbären sind bereits gesichtet worden. Der Fuchsbestand war geradezu explodiert, sei in den Wiesenvogel-Schutzgebieten durch konsequente Bejagung aber zurückgedrängt worden, sagt Jens Kleinekuhle. Steinmarder gebe es hingegen weiterhin reichlich. „In einem leer stehenden Haus habe ich in Blexen innerhalb von zwei Jahren 35 Steinmarder gefangen.“
Immer weniger Wiesenvögel
Während die Zahl der Wiesenvögel auf der Strohauser Plate in den vergangenen Jahren gestiegen ist, ist sie in den Vogelschutzgebieten Butjadingen und Marschen am Jadebusen zurückgegangen – trotz intensiver Bejagung. Dabei sollen gerade in diesen Schutzgebieten die Weichen gestellt werden, um die bedrohten Arten zu erhalten. Die Vogelschutzgebiete haben eine Bedeutung weit über die Wesermarsch hinaus. Der NWLKN hat als Fachbehörde für den Naturschutz in Niedersachsen bereits Zielzahlen formuliert, die deutlich über dem jetzigen Bestand hinausgehen.

Um Kiebitze und andere Wiesenvögel zu schützen, werden Raubtiere in den Vogelschutzgebieten massiv bekämpft. Foto: privat
Um die Bestände zu sichern, die nach den jüngsten Zahlen etwa im EU-Vogelschutzgebiet Butjadingen bei 222 Brutpaaren des Kiebitz, 52 der Uferschnepfe und 51 des Rotschenkels lagen, werden nicht nur Verträge mit der Landwirtschaft geschlossen und der Berufsjäger eingesetzt. Der Landkreis hat in Moorsee auch sieben Hektar mit gutem Brutbestand einzäunen lassen.
Gefahr droht auch aus der Luft
Doch Jens Kleinekuhle weist auf die Gefahr aus der Luft hin. Bauern, die im Vogelschutzgebiet Butjadingen wirtschaften, bestätigen das. Denn nicht nur Füchse und Marder schnappen sich Jungvögel, das tun auch Rabenkrähen, Saatkrähen, Reiher, Bussarde und Rohrweihen. Studien aus den Niederlanden bestätigen diese Beobachtung.
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Die Rohrweihe ist ein großer Greifvogel. Seit immer mehr Gräben in Butjadingen dicht mit Schilf bewachsen sind, brütet die Rohrweihe auch mitten im Wiesenvogelschutzgebiet. Deshalb soll das Schilf in den Kernzonen des Schutzgebietes künftig kurzgehalten werden. Ein weiteres neues Problem sind die riesigen Saatkrähenschwärme, die die Wiesen nach Futter absuchen und dabei auch Kiebitzgelege nicht verschmähen. Diese Saatkrähen brüten vor allem in Nordenham, mitten in der Stadt. Saatkrähen, Bussarde, Rohrweihen stehen unter Schutz.

Sie sind stets dabei, wenn Jens Kleinekuhle auf Jad geht: die Jagdhunde Bruno (links) und Chica, zwei Deutsch Kurzhaar. Foto: privat
Zurück an den Blexer Deich, in die kalte Winternacht. Plötzlich hallt ein Schuss über den Groden. Nach gut zwei Stunden ist der Fuchs doch noch aufgetaucht, einige hundert Meter entfernt von dem Punkt, an dem der Jäger auf dem Deich lag. Jens Kleinekuhle ist im Schutz des Deiches in Richtung Fuchs gelaufen, hat angelegt und geschossen. Doch es ist kein toter Fuchs zu sehen. Auch seine beiden Jagdhunde, Bruno und Chica, finden nichts. Jens Kleinekuhle wird wiederkommen.

Würger vom Hellweg nennt Jens Kleinekuhle ihn. Dieser Fuchs hat in Blexen eine komplette Kiebitzkolonie abgeräumt. Bis ihn eine Kugel erwischte. Im Vordergrund der Nachtaufnahme ist ein Gelege zu sehen. Foto: privat