TPflegenotstand: „Nicht alle Kliniken werden sich am Markt halten können“

Gaben Impulse für die Zukunft der Pflege: Birgit Pätzmann-Sietas vom Präsidium des Berufsverbandes Kinderkrankenpflege (links) und Pflegewissenschaftlerin Inke Zastrow vom UKE. Foto: Knappe
In der Pflege und bei Medizinern herrscht Fachkräftemangel. In Buxtehude diskutierten Experten über das aktuelle „Chaos“ im Gesundheitssystem. Warum die Pflege in Heimen zu teuer ist und Krankenhäuser vor dem Aus stehen.
Buxtehude. „Der Bevölkerung ist noch nicht ganz klar, wie in Zukunft das Gesundheitssystem in Deutschland aussehen wird“, weiß Referentin Birgit Pätzmann-Sietas, die dem Präsidium des Berufsverbandes Kinderkrankenpflege Deutschland angehört. Was aktuell in der Gesetzgebung im Gesundheitswesen passiere, „das ähnelt heute eher einem Chaos oder einem Krimi“.
Die Hochschule 21 in Buxtehude, an der seit 2006 Pflegefachkräfte und Physiotherapeuten in dualen Studiengängen ihren Bachelor machen können, hatte am Sonnabend zum Pflegeforum eingeladen. Zwei Fachreferentinnen versuchten mit Kurzvorträgen lösungsorientierte Impulse zu setzen. Rund 60 Gäste - Studenten, Pflegefachkräfte und Vertreter von medizinischen Einrichtungen - waren gekommen.
Ausländische Pflegekräfte keine Gesamtlösung
Im Landkreis Stade soll die Zahl pflegebedürftiger Menschen von 10.000 im Jahr 2021 bis 2040 auf mehr als 14.000 steigen, so die Prognose des jüngsten Pflegeberichts. Bundesweit sei ein Anstieg des Bedarfs an Pflegekräften von 1,62 Millionen (2019) auf 2,15 Millionen im Jahr 2049 prognostiziert, sagte Referentin Birgit Pätzmann-Sietas.
Immer mehr Babyboomer gingen in Rente. Und auch die werden irgendwann pflegebedürftig - doch wer soll‘s machen? „Der Fachkräftemangel ist der Dreh- und Angelpunkt jeglichen Handelns“, sagt Pätzmann-Sietas. „Manchmal wird so getan, als seien Pflegekräfte aus dem Ausland die Gesamtlösung.“ Doch das funktioniere nicht, sie müssten gut integriert werden. „Aber sie sind nicht die Heilsbringer.“
UKE-Pflegewissenschaftlerin: „Wir müssen die Attraktivität der Pflegeberufe steigern“
Die Pflegewissenschaftlerin Inke Zastrow vom Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) berichtete beispielhaft vom UKE-Kompetenzmodell, das mit einer gezielten Akademisierung im Pflegebereich einhergeht. Im UKE sind längst auch Pflegefachkräfte mit Bachelor- und mit Master-Abschlüssen tätig. Der Wissenschaftsrat empfehle eine Akademisierungsquote von 10 bis 20 Prozent in der Patientenversorgung. Inzwischen liege diese am UKE bei 7,9 Prozent.
Die akademischen Pflegefachkräfte seien entgegen mancher Vorbehalte auch am Bett tätig. Sie spezialisierten sich auf medizinische und pflegerische Fachgebiete und Projekte und seien zudem bei der Planung und Koordination komplexer Pflegeprozesse oder der Analyse stationsbezogener Kennzahlen tätig. Die 15 am UKE tätigen „Advanced Practice Nurses“ (APN), also die Pflegefachkräfte mit Masterabschluss, seien in hochkomplexe Maßnahmen eingebunden. „Wir müssen die Attraktivität der Pflegeberufe steigern. Es ist ein Veränderungsprozess und wir müssen offen sein für neue Rollenprofile und einen Qualifikations-Mix.“
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Pionierarbeit an der Uniklinik Eppendorf
Da es in Deutschland bisher wenige Konzepte und Erfahrungsberichte gibt, wie akademisierte Pflegekräfte in der direkten Patientenversorgung arbeiten, spricht man am UKE von Pionierarbeit. Ein Gast aus dem Publikum fragte, wie die Stationsleitungen mit den Veränderungen zurechtkämen. Zastrow sagte, auch bei den Stationsleitungen gäbe es zurzeit einen Generationswechsel, den jüngeren falle die Einbindung der akademischen Kräfte teils leichter.
Im Zuge der anstehenden Krankenhaus-Reform „werden sich nicht alle Kliniken am Markt halten können“, sagte Pätzmann-Sietas und verwies dabei insbesondere auf kleinere Häuser mit Kapazitäten von 100 bis 200 Betten. Die Krankenhausreform sieht die Umwandlung etlicher Kliniken in sogenannte Level 1i-Krankenhäuser vor. Da werde nicht dauerhaft ein Arzt vor Ort sein, so Pätzmann-Sietas.

„Man hat in der Vergangenheit nicht transparent gemacht, wie wichtig die Gesundheitsberufe sind“, sagt Prof. Dr. Barbara Zimmermann, Fachbereichsleiterin Gesundheit und Vizepräsidentin der Hochschule 21. Foto: Knappe
„Stationäre Langzeitpflege werden wir uns künftig nicht mehr leisten können“
Es werde künftig Krankenhäuser, Level1i-Krankenhäuser, eine umfassende Digitalisierung, KI und einen Ausbau der ambulanten Patientenversorgung geben. Es werde klar die Devise gelten: ambulante Versorgung vor stationärer Versorgung. Im Zuge des geplanten Pflegekompetenzgesetzes sollen pflegerische Kompetenzen erweitert werden. Bislang oblägen Verordnungen von Krankenpflege-Maßnahmen ausschließlich der Ärzteschaft, erläutert Pätzmann-Sietas. Gast-Teilnehmerin Susanne Froese aus Buxtehude arbeitet beim Medizinischen Dienst Bremen. Sie verwies darauf, dass die Pflege in Heimen zu teuer sei: „Die stationäre Langzeitpflege werden wir uns künftig nicht mehr leisten können“, das sei kein Modell für die nächsten 20 Jahre mehr.
Weitere Gastteilnehmer kritisierten, dass der Wert professioneller Pflege in der Öffentlichkeit nicht sichtbar sei. Bernd Lambrecht, Pflegedirektor der Elbe Kliniken, bedauerte, dass die Pflegekammer in Niedersachsen gescheitert ist. Sie hätte als Sprachrohr verschiedener Heilberufe fungieren können.

Im Landkreis Stade soll die Zahl pflegebedürftiger Menschen von 10.000 im Jahr 2021 bis 2040 auf mehr als 14.000 steigen, so die Prognose des jüngsten Pflegeberichts. Foto: Oliver Berg/dpa